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Lahav Shani im Interview Kann Musik Versöhnung bringen?

Von Bruckner über Bach nach Israel in die Gegenwart: Lahav Shani gibt als künftiger Chefdirigent gerade Konzerte mit den Münchner Philharmonikern und einem äußerst breiten Programm. Im großen BR-KLASSIK-Interview erzählt er von seinen Vorbildern, seiner Karriere, und welche Rolle die Weltpolitik für seine Musik spielt.

Lahav Shani in München 2023. | Bildquelle: picture alliance / SZ Photo | Alessandra Schellnegger

Bildquelle: picture alliance / SZ Photo | Alessandra Schellnegger

BR-KLASSIK: Herr Shani, Sie sind der künftige Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Sie sind der aktuelle Chefdirigent des Israel Philharmonic. Sie sind Chef in Rotterdam, noch bis 2026. Sie sind Pianist, Sie haben Kontrabass studiert, und Sie sind erst 35. Das liest sich eindrucksvoll.

Lahav Shani: Die Zeit geht sehr schnell, natürlich. Aber ich bin so froh, dass ich mit solchen Orchestern, mit solchen Musikern musizieren darf und kann. Und gerade bei der Münchner Philharmoniker macht das einfach ganz, ganz große Freude.

BR-KLASSIK: Sie haben ja schon mit 16 Ihren ersten Auftritt mit dem Israel Philharmonic gehabt und mit 18 dann das Tschaikowsky-Klavierkonzert unter Zubin Mehta spielen dürfen. Sie hätten auch Pianist werden können. Bei den Münchner Philharmonikern haben Sie gleichzeitig dirigiert und den Solopart übernommen...

Lahav Shani: So etwas mache ich ziemlich oft. Also "play-conduct" - spielen und dirigieren gleichzeitig. Kammermusik mag ich auch besonders, das mache ich sehr gerne mit meinen Orchestermusikern. Klavierabende oder Recitals mache ich aber viel weniger, nur alle zwei Jahre oder so ein Programm…

BR-KLASSIK: Haben Sie denn Zeit zum Üben?

Lahav Shani: Genau deswegen… und mir fehlt nicht nur die Zeit zum Üben, ich habe auch überhaupt keine Routine. Es ist nicht so, dass ich jeden Tag spielen kann oder jede Woche oder auch nur jeden Monat. Deswegen mache ich eben gern beides gleichzeitig, wenn das geht.

Ein Ratschlag von Daniel Barenboim

BR-KLASSIK: Daniel Barenboim hat es ja ziemlich gut hingekriegt, gleichzeitig Dirigent und Pianist zu sein. Ist er Ihr Vorbild?

Lahav Shani: Aber natürlich, ja. Er war aber vorher schon ein super Pianist, bevor er überhaupt angefangen hat zu dirigieren. Er hat ein ganz großes Repertoire gehabt, hat es aufgenommen und gespielt. Ich habe ihn einmal, als ich ihn kennengelernt habe, vor vielen Jahren, gefragt. Ich habe ihm gesagt, ich würde gerne sowohl Pianist wie auch Dirigent sein. Was denken Sie? Und er sagte: 'Machen Sie es nicht.' Ich frage:  'Wirklich?' Und er sagt: 'Machen Sie es nicht. Nur, falls Sie das wirklich müssen. Dann machen Sie es.'

BR-KLASSIK: In München haben Sie Bach und Bruckner dirigiert. In der nächsten Woche sind Sie dann mit zeitgenössischer Musik teils aus Israel bei den Philharmonikern. Wollen Sie damit zeigen, wer Sie sind und wofür Sie stehen in der Breite des Repertoires?

Lahav Shani: Ja, und das bin ich auch. Und ich denke, das kann das Orchester auch. Die Münchner Philharmoniker haben diese wunderbare Tradition mit Bruckner. Mir ist wichtig, dass wir das behalten. Aber natürlich leben wir jetzt, 2024.

Großer, eigenwilliger Vorgänger: Sergiu Celibidache

BR-KLASSIK: Sergiu Celibidache, Ihr Vorgänger bei den Münchner Philharmonikern, hatte eine ganz eigene musikalische Philosophie mit diesen unglaublich langsamen Tempi. Was verbinden Sie mit ihm?

Lahav Shani: Also ich bin nicht mit allem einverstanden. Aber man kann so viel von ihm lernen. Mein Gott. Vor allem, wenn man seine Proben sieht. Was er über Musik sagt, wie er darüber denkt, wie er sich mit Phrasierung, Kontrapunkt, Balance beschäftigt. Das ist total interessant und auch eigentlich immer richtig. Und trotzdem mache ich es auf meine Weise.

Besondere Jugendliebe: "Sacre du Printemps"

BR-KLASSIK: Wann konnten Sie zum ersten Mal eine Partitur so lesen, dass Sie die Noten in Ihrem Kopf gehört haben?

Lahav Shani: Ziemlich früh. Das erste Mal, dass ich das bewusst machte, war mit Strawisnkys "Sacre du Printemps". Da war ich 14 Jahre alt.

Ich war total verliebt. Ich wollte es alles verstehen. Warum klingt das so? Und was passiert genau?
Lahav Shani

BR-KLASSIK: Wow. Aber Sie hatten das Stück wahrscheinlich vorher schon oft gehört?

Lahav Shani: Nein, gar nicht oft… Das war die erste Partitur, die ich auswendig lernte.

BR-KLASSIK: Ausgerechnet das Sacre! Das ist so kompliziert, das können ja viele gestandene Dirigenten selbst mit Noten nicht dirigieren! War das sportlicher Ehrgeiz?

Lahav Shani: Nein, ich war total verliebt. Ich wollte es alles verstehen. Warum klingt das so? Und was passiert genau?

BR-KLASSIK: Und dann ist Ihnen klar geworden: Das wäre mein Beruf?

Lahav Shani: Noch nicht. Das kam durch den Kontrabass eigentlich als ich im Orchester spielte und dieses Gefühl hatte mit anderen Musikern auf der Bühne. Dann dachte ich, das würde ich sehr gerne weiter in meinem Leben machen.

BR-KLASSIK: Sie sind ja aus einer Familie, die sehr musikalisch ist.

Lahav Shani: Mein Vater ist ein Chordirigent, und von ihm habe ich ganz viel gelernt, vor allem als ganz kleines Kind, aber auch später. Er war einfach überhaupt der erste Dirigent, den ich kannte und den ich in den Proben gesehen habe…

BR-KLASSIK: Aber wenn man den Vater als Vorbild hat, kann das ja auch hemmend sein. Mir fällt ein Mariss Jansons, wo der Vater auch Dirigent war. Der hatte immer das Gefühl, sich beweisen zu müssen. War das für Sie ein Problem?

Lahav Shani: Wir beide haben nie daran gedacht und ich liebe meinen Vater. Wir sind uns sehr nah und haben auch sehr viel über Emotionen gesprochen und nicht nur über Musik. Aber natürlich macht es immer großen Spaß, über Musik zu reden mit ihm. Ich lerne immer noch ganz viel von ihm, vor allem, wenn wir über Chorrepertoire sprechen. Er ist so erfahren und zugleich so neugierig. Er kommt zu jedem meiner Konzerte.

BR-KLASSIK: Kritisiert er Sie auch? 

Lahav Shani: Wenn er so denkt, dann ja. Aber normalerweise denkt er, dass es gut war. Aber wenn er was zu sagen hat, sagt er es ganz offen.

BR-KLASSIK: Und auch andersrum, nimmt er jetzt auch Ihren Rat an?

Lahav Shani: Wenn ich in seine Konzerte gehe. Aber das passiert ja leider nicht mehr so oft, weil ich vor allem in Israel bin, um selbst zu dirigieren.

Konfrontation von Politik und Musik in Israel

Lahav Shani und Anne-Sophie Mutter bei Klassik am Odeonsplatz 2024. | Bildquelle: picture alliance/dpa | Matthias Balk Lahav Shani mit Anne-Sophie Mutter bei Klassik am Odeonsplatz 2024. | Bildquelle: picture alliance/dpa | Matthias Balk BR-KLASSIK: Herr Shani, Sie haben gerade einen sehr bewegenden und auch berührenden Artikel veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung. Da geht es darum, dass Sie als Chefdirigent des Israel Philharmonic und als Israeli und Jude immer wieder gefragt werden, wie sie zum Nahostkonflikt stehen. Sind Sie da quasi in einer politischen Rolle wider Willen?

Lahav Shani: Natürlich, ja. Als dieser ganz große Protest war, vor mehr als ein Jahr, habe ich das Gefühl gehabt, es kann nicht sein, dass 200.000 Menschen auf der Straße marschieren und wir spielen einfach das Konzert.

BR-KLASSIK: Gegen die Justizreform der Regierung Netanjahu…

Das war klar, dass nicht genug gemacht wurde, um die Menschen zusammenzubringen.
Lahav Shani über die israelische Justizreform

Lahav Shani: Ja wir waren damals an einem sehr kritischen Moment, wo sehr viele Leute und ich auch das Gefühl gehabt haben, es ist zu zerbrechlich jetzt und wenn man keine Lösung findet, ganz schnell, dann haben wir ein ganz großes Problem. Und das hat nichts mit Politik zu tun. Das ist was ganz Menschliches und es war eine richtige Furcht. Es war klar, das ist so polarisiert, dass unsere Gesellschaft so nicht weiter weiterleben kann. Man sagt immer, wir sind Musiker, wir machen nur Musik und Politik ist für andere Leute. Ich bin kein Politiker, ich habe auch keine Lösungen und keine Antworten zu all den großen Fragen. Aber einige Sachen sind für mich ganz klar. Und das war klar, dass von der Regierung nicht genug gemacht wurde, um die Menschen zusammenzubringen.

Repräsentant für Israel?

BR-KLASSIK: Das Israel Philharmonic Orchestra ist ja kein im engeren Sinn staatliches Orchester. Wie weit nehmen Sie die Rolle an, Repräsentant des Volkes und Staates von Israel zu sein?

Lahav Shani: Wir sind stolz, das Orchester und ich, dass wir die Kultur Israels repräsentieren können auf der ganzen Welt. Und egal wo wir spielen, in Europa, in Amerika, in Fernost, immer sagt man uns: 'Ihr seid die besten Botschafter des Staats Israel.' Wir sehen uns so, aber das hat nichts mit einer Partei zu tun oder mit der Regierung. Das hat mit der israelischen Kultur zu tun. Das hat mit der Tatsache zu tun, dass das Israel Philharmonic Orchestra 1936 gegründet wurde von Bronislaw Huberman.

BR-KLASSIK: Lange bevor der Staat Israel gegründet wurde…

Lahav Shani: Das war sozusagen eine neue Heimat für alle diese Musiker, die aus Europa wegmussten. Und das ist ein vielleicht der allerwichtigste Teil in der Geschichte des Orchesters. Und das vergesse ich auch nicht.

BR-KLASSIK: Nun planen Sie, gemeinsam mit Musikern aus dem Israel Philharmonic und den Münchner Philharmonikern ein Konzert zu geben mit Mahlers Sechster und einem Stück eines israelischen Komponisten. Stattfinden soll das am 8. Mai 2025, also am Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Politischer geht es ja kaum…

KONZERT MIT LAHAV SHANI UND SEONG-JIN CHO mit den Münchner Philharmonikern am 21. September 2022 | Bildquelle: Tobias Hase Lahav Shani mit den Münchner Philharmonikern. | Bildquelle: Tobias Hase Lahav Shani: Na ja, es ist einfach ein ganz starkes Gefühl. Es ist was ganz Menschliches. Dass diese zwei Völker, diese zwei Orchester, wunderbare Menschen, zusammenspielen können. Heute, 80 Jahre später. Und für mich ist das eine ganz große Ehre, heute diese zwei Orchester zu leiten und die zusammenzubringen. Es gibt ganz viel Freundschaft zwischen den Musikern dieser zwei Orchester. Also einige davon haben bei dem anderen schon gespielt. Und ja, wir freuen uns alle drauf.

Ich weiß nicht, ob die Musik selbst Versöhnung bringen kann, aber wir können die Versöhnung zelebrieren. Mindestens.
Lahav Shani

BR-KLASSIK: Es wird ja oft vorschnell gesagt, dass Musik Versöhnung bringe. Aber in dem Fall ist es nach so langer Zeit gelungen, nach so viel Schmerz, Leid, Schuld und auch Auseinandersetzung…

Lahav Shani: Ja, das ist was unglaublich Positives heute. Ich weiß nicht, ob die Musik selbst Versöhnung bringen kann, aber wir können die Versöhnung zelebrieren. Mindestens.

Zunehmender Antisemitismus

BR-KLASSIK: Sie leben seit 15 Jahren in Berlin. Jetzt fühlen sich die Juden in Deutschland bedroht, und sie sind akut bedroht. In München vor dem israelischen Generalkonsulat und dem NS-Dokumentationszentrum hat es gerade einen Anschlagsversuch gegeben. Das Gefühl, als Israeli, als Jude in Deutschland zu leben, hat sich schrecklicherweise verändert, verschlechtert.

Lahav Shani: Ja, ja. Und gleichzeitig denke ich auch, das ist so gar nicht normal, dass wir Israelis, wenn so was passiert wie in München, dass wir sofort denken: 'Na ja, aber das passiert und man muss weiterleben damit.' Wir sind in Israel so daran gewöhnt, dass alles passieren könnte. Ja, also man sollte eigentlich total erschrocken sein, aber irgendwie habe ich das Gefühl: 'So ist das Leben.' Es ist besser, dass das man lebt, dass man das Beste machen kann, was man überhaupt kann, wenn man lebt. Und Musik zu machen zum Beispiel ist wirklich ein Geschenk.

BR-KLASSIK: Sie haben ja zusammen mit Igor Levit Konzerte für Angehörige der von der Hamas entführten Geiseln gegeben.

Lahav Shani: Igor Levit hat mich angerufen, ein paar Tage nach dem 7. Oktober. Er hat mir zuerst eine SMS geschickt und sagte: 'Ich möchte nach Israel und ich möchte spielen, egal für wen, sag einfach, was ich machen kann.' Ich habe ihm zurückgeschrieben, mich bedankt, aber sagen müssen, dass es keine Konzerte mehr gibt. Wir können gar nicht spielen, das Publikum darf gar nicht kommen. Also leider kann ich nichts anbieten. Aber danke. Und wenn was was kommt, dann sage ich es gleich. Dann hat er mich sofort angerufen und sagte: 'Nein, nein, nein, Du hast mich ganz falsch verstanden. Ich habe meinen Flug schon gebucht. Ich habe schon ein Hotel, ich komme morgen. Also ich kann für ein Publikum von 2000 Menschen spielen. Oder für zwei. Das ist mir völlig egal. Hauptsache, ich spiele für jemanden. Ich will kein Geld. Es ist ein ganz starkes Gefühl für mich. Ich muss da sein. Jetzt.' Also das war was ganz, ganz Besonderes, muss ich sagen.

BR-KLASSIK: Können Sie sich auch vorstellen, für Palästinenser, für Leute aus dem Gazastreifen mit Musik da zu sein? Im Augenblick ist das unvorstellbar. Aber vielleicht irgendwann.

Lahav Shani: Im Augenblick weiß man gar nicht, wie die Zukunft noch aussehen könnte. Natürlich hoffe ich, dass irgendwann alle Grenzen nicht mehr da sind. Und wir können mit allen spielen, mit Palästinensern, aus Gaza, aus der Westbank, egal wo. Traurig, dass das nicht unsere Realität ist.

BR-KLASSIK: Sie haben trotzdem die Hoffnung auf Frieden geäußert. Woher nehmen Sie diese Kraft?

Lahav Shani: Das ist der einzige Weg für mich. Der einzige Weg.

Sendung: Meine Musik am Samstag, 7. September, 11:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Donnerstag, 12.September, 03:25 Uhr

Georg

wunderbare Chance

Es ist großartig, dass Lahav Shani als Chef in München und Tel Aviv so für Musik und Versöhnung wirken kann. Eine immense Chance. Was für ein sympathischer, fantastischer Musiker! Ein Glücksfall für München dass der Lieblingskandidat des Orchesters es auch geworden ist.

Montag, 09.September, 23:15 Uhr

Gerd

Teilzeitjob?

Wird Shani bei Amtsantritt einen seiner beiden Chefdirigentenjobs aufgeben, oder macht er das Ganze nur so nebenbei? Das wäre ja wirklich suboptimal. Schon bei Levine war es nicht ganz so glücklich, und der konnte wenigstens mit Erfahrung punkten, Shani hat doch sehr wenig vorzuweisen, und es ist unverständlich, warum man ihn auf so vielen Hochzeiten tanzen lässt. Dabei täte dem Orchester nach vielen Jahren mit Teilzeitpultstars ein akribischer Orchestererzieher, der auch im Münchner Kulturleben insgesamt involviert ist, ganz gut.

Überhaupt war Shanis Wahl sehr intransparent und meines Wissens war auch das Orchester nicht involviert.

Besonders sympathisch kommt er in dem Interview auch nicht rüber.

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