Aufgekrempelte Hosen, Schmerbauch, Röhrenstiefel und ein Schädel, so blank wie ein Globus. Anton Bruckner war seinerzeit eine der auffälligsten Gestalten im Stadtbild von Wien. Und obwohl er 18 Jahre in der Metropole lebte, dachte er nicht im Traum daran, sich optisch oder sprachlich der feinen Gesellschaft anzupassen. Seinen 200. Geburtstag hätte er wahrscheinlich mit Geselchtem, Grießknödeln, Sauerkraut und einigen Seideln Bier gefeiert. Was Bruckner ausmacht und warum seine Musik so guttut, erfahren Sie hier.
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Anton Bruckner ist sehr katholisch. Von klein an werden ihm Rituale, Gebete, eine gewisse Hörigkeit und ein Schicksalsglaube eingeimpft. Als Halbwaise und Sängerknabe im Stift Sankt Florian nimmt er alles an. Er ist weder besonders dankbar, noch undankbar. Irgendetwas anzuzweifeln, kommt ihm nicht in den Sinn, schließlich ist alles gottgegeben!
Unser großes Bruckner-Dossier – hier finden Sie Hintergründe, Geschichtliches, Konzertvideos, zahlreiche Übertragungen in Radio und TV und vieles mehr.
Anton Bruckner an der Orgel | Bildquelle: picture alliance / akg Die Verhältnisse, aus denen der Oberösterreicher stammt, sind bescheiden. Schon mit zehn unterstützt Bruckner als Aushilfsorganist den Gottesdienst. Seine Familie schätzt die Musik und ist fromm. Also ist es kein Wunder, dass auch Anton Josef Bruckner erst mal bei der Kirchenmusik andockt. Er wird Domorganist in Linz. Messen und Motetten entstehen. Seine sakralen Klanggebilde sind ungemein berührend: wenn sich wie aus dem Nichts eine einzelne Stimme über die anderen erhebt und wieder erlischt, so rätselhaft schön wie ein Glühwürmchen. Dazu kommt der satte Wumms der Orgel, der als wohliger Schauer in Bruckners Körper prickelt. An den Manualen und Pedalen verliert er sich im Fantasieren über Melodien von Bach, Mendelssohn oder Schubert. Hier ist er der Dompteur, der mit Händen und Füssen alle Pfeifen nach seinem Willen tanzen lassen kann. Im Kristallpalast in London jubeln Bruckner 70.000 Menschen zu. An einer der größten Orgeln der Welt improvisiert er über Händels berühmten "Halleluja"-Chor. Anton Bruckner ist sowas wie der Mick Jagger der Orgel, er rockt jeden Saal und das Publikum flippt aus. Und Bruckner selbst freut sich zwar über den Erfolg, bekommt die ersehnte Orgelprofessur in Wien, aber das Leben als Star, als "Imperator an der Orgel", wie er genannt wird, taugt ihm nicht. Zumal er da vornehmlich Werke anderer Komponisten spielen muss. Bruckner pfeift also auf den Ruhm des reisenden Virtuosen und widmet sich einer ganz neuen Sache: der Symphonie.
Sagenhafte 2.056 Takte komponiert Anton Bruckner in der dritten Symphonie. Zum Vergleich: Der komplette "Ring des Nibelungen" von Richard Wagner erstreckt sich über 21.910 Takte. Das sind schon ein paar Takte mehr, klar. Aber wer gibt sich schon den "Ring" an einem Abend? Bruckner widmet diese XXL-Symphonie passenderweise seinem Superhelden Wagner. Einziger Haken: Kein Orchester will die Riesenschlange aufführen, weil das Ding unspielbar ist. Also beginnt Bruckner mit dem Zerstückeln, Überarbeiten, Korrigieren, dem Domestizieren der Schlange für den Konzertgebrauch. Am Ende vergehen zwischen Beginn und Uraufführung der dritten Fassung 18 Jahre! Das Idol Wagner ist da längst tot.
Bruckners Lieblingsfeind: der Kritikerpapst Eduard Hanslick | Bildquelle: picture alliance / akg Jede der neun Symphonien (plus zwei Testläufe) sind für Bruckner ein Gerangel und er verpasst ihnen oft mehrere Facelifts: hier ein bisschen abhobeln, da ein bisschen aufspritzen. Und schließlich noch ein bisschen im schwülstigen Ton bei Dirigenten herumbetteln, damit das Werk überhaupt aufgeführt wird. Leider rechnen die Kritiker dem Komponisten Bruckner seinen Perfektionismus nicht besonders hoch an. Vor allem Eduard Hanslick von der einflussreichsten Zeitung "Neue Freie Presse" dreht dem Komponisten aus jeder neuen Symphonie einen neuen Strick. Ihm missfällt Bruckners Wandel vom Kirchenmusiker zum Symphoniker – zu einem "Neudeutschen à la Wagner". Erst ab der siebten Symphonie stellt sich zaghafte Anerkennung ein, auch wenn Bruckners Selbstzweifel deshalb nicht automatisch weggeblasen sind. Der junge Dirigent Arthur Nikisch leitete die Uraufführung in Leipzig. Ab da wächst Bruckners Fangemeinde endlich. Sein berühmtester Fürsprecher ist kein Geringerer als der Mann, der auch Wagners "Parsifal" uraufgeführt hat: Hermann Levi.
Bis der Tag des Konzertes kommt, wird die halbe Stadt wissen, wer und was Herr Bruckner ist, während bisher – zu unsere Schande sei es gesagt – kein Mensch dies wußte!
Bruckner ist ein Einzelgänger, obwohl er nichts gegen eine Heirat einzuwenden hätte. Eigentlich. Ihn verzaubern vor allem junge Damen wie Serviererinnen, Stubenmädchen, Statistinnen oder auch Bäckereiverkäuferinnen. Seine Beute ist im Regelfall zwischen 17 und 23 Jahre alt. Als Zahlenfanatiker führt er Buch über die ganzen Fräuleins. Oft wechselt er nicht einmal einen Blick mit ihnen und ist trotzdem sofort schockverliebt. Spitzt man die Ohren, kann man genau das in seinen Symphonien hören: Wie ein Tornado baut sich das Orchester auf, ein pulsierender Rhythmus treibt es voran. Und kurz bevor es im fortissimo platzt: Finito! Was dann folgt, ist eine zarte, säuselnde, leise Verzückung, bis das Spektakel wieder von Neuem beginnt, sprich: Ein neues Fräulein biegt um die Ecke.
Insgesamt neun Mal stellt Bruckner einen Heiratsantrag, den letzten im Alter von 70 Jahren, die Verlobte ist erst 22. Dass es zu keiner Eheschließung kommt, liegt nicht am Altersunterschied, vielmehr an den unterschiedlichen Konfessionen. Ida Buhz ist protestantisch, was für den Erzkatholiken Bruckner ein No-Go ist. Vielleicht hat aber auch Bruckners langjährige Hausangestellte Kathi Kachelmaier dazwischengefunkt, oder Bruckners instabiler Gesundheitszustand. Warum es bei Bruckner mit den Frauen nie geklappt hat, wo er beruflich erfolgreich war und mit nur drei Litern Bierkonsum pro Tag auch kein Saufkopf, darüber ließe sich viel spekulieren. Sigmund Freud würde sich wahrscheinlich vor Vergnügen an diesem verklemmten Fall die Hände reiben. Man kann es aber auch einfach hinnehmen. So, wie ein Brucknerfreund es beschreibt:
Bruckner liebte oft und oft, aber stets nur par distance und diskret.
Anton Bruckner nach der Verleihung des Franz-Joseph-Ordens | Bildquelle: picture alliance / akg Jetzt wird der Kauz aus Ansfelden 200 Jahre alt. Das Netz spuckt stündlich neue Artikel über Anton Bruckner aus. Der Trend geht da zur psychologisierenden Interpretation seiner Persönlichkeit, wohingegen auf Fremdenverkehrsportalen in Bruckners Heimatland eher die Fun Facts über ihn kursieren. Mit Sicherheit sind alle skurrilen Anekdoten über Bruckner schon zig Mal wiedergekäut worden, so oft, dass jede oberösterreichische Kuh neidisch würde ob dieser effizienten Verdauung. Aber vielleicht findet ja ein Hobby-Holmes tatsächlich noch einen vergilbten Zeitungsartikel über Bruckners Dritte. Einer, der vor neuen Wortschöpfungen vom ewigen Stänkerer Eduard Hanslick nur so strotzt. Oder der zehnte Heiratsantrag Bruckners taucht in einem geheimen Notizbuch Bruckners auf – gestellt an die 18-jährige Wurstfachverkäuferinnengehilfin Wilma aus Wien.
Was auch immer in diesen alten, neuen, hypothetischen Artikeln über Bruckner stehen mag, an einer Sache wird sich nichts ändern: Anton Bruckner ist ein besonderer Sonderling, der bombastisch subtil komponiert hat. Darum gleichen im Brucknerjahr die Litfasssäulen einem Bruckner-Werkverzeichnis. In den Konzertsälen und Kirchen wird Bruckners Musik rauf und runter gespielt. Die Aufforderung lautet also: Leute, hört mehr Bruckner! Und zwar aus gutem Grund! Bruckners Musik ist gerade in unserer Zeit, wo Optimierungswahn und mediale Reizüberflutung das Leben beherrschen, sowas wie die "verrückte einsame Insel". Wo die Musik einen hin- und herbeutelt zwischen dem Gefühl, man wäre so bedeutend wie ein Komet und so nichtig wie ein Staubkörnchen. Wem das jetzt zu poetisch daherkommt, dem sei es kurz und knapp mit Adorno gesagt: Aus Bruckners Musik spricht eine "nachtdunkle Unberührtheit". Amen.
Kommentare (3)
Sonntag, 08.September, 17:03 Uhr
Eberhard Klotz
Zum Artikel von Silvia Schreiber "Anton Bruckner"
Dank für den guten und zumeist auch geschichtlich gut recherchierten Artikel. Einmal abgesehen von den 70.000 Zuhörern, vor denen Bruckner angeblich in London improvisiert haben soll. Dies ist schon lange als eine Erfindung von Bruckners damaligen Freunden widerlegt, um Bruckner auch in seiner Heimat bekannter zu machen. Vielleicht waren es nur 7.000? Der zuweilen oberflächliche Sprachstil hat mich auch gestört. Erinnert mich ein wenig an den krampfhaft-peinlichen Versuch gewisser Lehrer in den 70 - Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die versuchten, Schopenhauer oder Schiller bei den 14jährigen "cool rüberzubringen". Es gibt aber einfach Dinge in der Geistes - und Kunstwelt, denen man damit nicht gerecht werden kann. Und dazu gehört auch Bruckners tiefgründige, hochgebildete sinfonische Tonspache.
Montag, 02.September, 16:04 Uhr
Thomas Landrile
"Anton Bruckner" von Sylvia Schreiber
Ein sprachlich gelungener, interessanter Artikel. Ich stolpere lediglich über ein paar saloppe Formulierungen, z.B "andockt", "rockt", "Wumms", die den Text doch etwas ins Gewöhnliche und Mediokre abgleiten lassen, im Stile einer großen deutschen Boulevardzeitung. Auch stelle ich mir unwillkürlich die Frage, was wohl der Verfasserin "von klein an ... eingeimpft" wurde. Nie und nimmer kann es sich bei Bruckners christlichem Glauben um einen "Schicksalsglauben" handeln. Im Gegenteil, er erlöst von Notwendigkeit, Determinismus, Fatum. Auch nicht verstehe ich Adornos "nachtdunkle Unberührtheit" und das "Amen" am Schluss. Hier würde ich mich über die kontextuelle Einbindung und eine mögliche Erklärung freuen.
Samstag, 31.August, 09:47 Uhr
di.jansky @gmail.com
Bruckner
Ein traumhafter Artikel Glückwunsch!