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Lise Davidsen über Beethovens "Fidelio" Zwischen Liebe, Machtmissbrauch und Gerechtigkeit

Die norwegische Sopranistin Lise Davidsen wird als Jahrhundertstimme gefeiert, seit sie 2019 als Elisabeth in Wagners "Tannhäuser" bei den Bayreuther Festspielen debütiert hat. In der laufenden Serie von Beethovens "Fidelio" an der Metropolitan Opera New York singt sie die Leonore und wird nach der letzten Vorstellung für den Rest des Jahres pausieren – "for a happy reason" (sie erwartet nämlich Zwillinge.) Ein Gespräch über Beethoven und Verdi, über die Schönheit des Central Parks – und darüber, ob Frauen die besseren Menschen sind.

Lise Davidsen | Bildquelle: James Hole

Bildquelle: James Hole

BR-KLASSIK: Wenn Sie kurz den Reiz der Partie der Leonore in Beethovens "Fidelio" umreißen müssten – was würden Sie sagen?

Lise Davidsen: Es ist auf alle Fälle der Mut dieser Frau – und dass sie das, was sie macht, aus Liebe und um der Gerechtigkeit willen macht. Ja, sie ist eine unglaublich starke und mutige Frau – und das interessiert mich.

BR-KLASSIK: Sie haben kürzlich an der MET eine andere Leonore gesungen – die Leonora in Giuseppe Verdis "Macht des Schicksals". Sie sind im deutschen wie im italienischen Fach zuhause – was verlangt Verdi stimmlich von seiner Leonora? Und was verlangt Beethoven?

Lise Davidsen: Das ist eine sehr interessante Frage, denn Beethoven ist von all dem deutschen Repertoire, das ich singe, am nächsten an dem dran, was Verdi verlangt. Es ist diese Balance zwischen den feinen Gesangslinien, die er zieht, den Koloraturen, die er auch fordert, und der großen Dramatik. Natürlich kann man Deutsches und Italienisches nicht direkt vergleichen, aber für meine Stimme verlangen Verdi und Beethoven dasselbe: Drama auf der einen Seite und dann wieder fast kammermusikalisches Singen und die Aufforderung, die Stimme zurückzunehmen. Auch menschlich sind sich die beiden Damen ähnlich: Sie sind mutig, sie ziehen ihr Ding durch – und auch wenn sie in unterschiedlichen Lebenssituationen stecken, haben sie gemeinsam, dass sie das, was sie tun, aus Liebe tun.

BR-KLASSIK: "Doch toben auch wie Meereswogen dir in der Seele Zorn und Mut, so leuchtet mir ein Farbenbogen, der hell auf dunklen Wellen ruht." Ein wunderschöner Text für Leonores große Arie …

Lise Davidsen: Ein wunderschöner Text, ja, fast wie ein Gedicht.

BR-KLASSIK: Bezieht sich das angesprochene Zurücknehmen auch auf diese Arie, die ja als großer Ausbruch endet?

Lise Davidsen probt mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks  | Bildquelle: BR/Severin Vogl Lise Davidsen im Herbst 2024 beim BRSO als Isolde | Bildquelle: BR/Severin Vogl Lise Davidsen: Ja und nein. Diese Partie kann von ganz unterschiedlichen Stimmen gesungen werden. Meine Aufgabe ist nicht so sehr ein Zurücknehmen der Stimme, sondern der Versuch, die verschiedenen Farben anzubieten, die diese Leonore hat. 

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Lise Davidsen war im Herbst 2024 beim BRSO und gab ihr Debüt in Wagners "Tristan und Isolde" unter der Leitung von Simon Rattle

BR-KLASSIK: Der erste Teil ihrer großen Arie ist ein einziger Appell an die Menschlichkeit.

Lise Davidsen: Das stimmt! Sie erlebt ja am eigenen Leib, wohin uns Machtmissbrauch führt. Sie versucht mit all der Kraft, die ihr zur Verfügung steht, Pizzarros Welt zu demontieren – und ihrer Umwelt klarzumachen, dass das, was diese Führungspersönlichkeit tut, nicht in Ordnung ist.

BR-KLASSIK: Wie, glauben Sie, war die Beziehung zwischen Leonore und ihrem Florestan, bevor das alles passiert ist?

Lise Davidsen: Es wird ja immer wieder diskutiert, wie lange sie sich überhaupt schon kennen. Ich denke, sie sind schon eine ganze Weile ein Paar, sie kennen sich gut. Florestan ist der politische Kämpfer – und Leonore hat ihn immer schon unterstützt, weil sie weiß und erlebt hat, wie wichtig ihm sein Kampf für die Freiheit ist. Sie müssen schon länger zusammen sein. Sie glaubt an ihn und sie glaubt an eine gemeinsame Zukunft. So zumindest sehe ich dieses Paar.

BR-KLASSIK: Die beiden kämpfen gegen eine Willkürherrschaft. So gesehen wird "Fidelio" auch zu einer Oper für unsere Gegenwart, oder?

Lise Davidsen: Natürlich kämpfen wir auch dafür, woran wir glauben. Und wir kennen in unserer Welt Staatsmänner, die ihr Land regieren wie Pizzarro. Das hat schon einen hohen Wiedererkennungswert. Allerdings eröffnen sich durch die Oper keine konkreten Einblicke in die politischen Verhältnisse. Wir sehen nur den "bösen" Pizzarro und die "gute" Leonore. Vor allem, wenn man "Fidelio" zum ersten Mal sieht.

"Fidelio" aus der MET auf BR-KLASSIK

Am 15.03.2025 übertägt BR-KLASSIK die Vorstellung der "Fidelio"-Produktion an der MET in New York ab 20:03 Uhr, u.a. mit Lise Davidsen (Leonore), David Butt Philip (Florestan), Tomasz Konieczny (Pizarro) und Susanna Mälkki (Leitung)

BR-KLASSIK: Könnten Frauen die Welt retten? Vielleicht eher als Männer?

Lise Davidsen: Frauen sind überhaupt die besseren Menschen (lacht) … Nein, kleiner Scherz! Ich glaube nicht, dass Frauen grundsätzlich besser sind im Weltretten. Wenn du die Welt retten willst, ist es völlig unerheblich, ob du eine Frau oder ein Mann bist. Aber es ist natürlich so, dass es viel mehr Männer in Machtpositionen gibt – und einige von ihnen nützen ihre Macht eben aus. Das ist das Problem. Ich glaube, dass es ebenso viel Männer wie Frauen gibt, die die Welt gerne besser machen würden.

BR-KLASSIK: Die Metropolitan Opera in New York ist ein sehr großes Haus. Was bedeutet das für den Gesang? Muss man lauter sein als in kleineren Häusern?

Lise Davidsen: Man muss sich als Sänger und Sängerin auf jedes Haus einstellen – egal ob klein oder groß. In Beethovens "Fidelio" kommt noch ein Aspekt hinzu: die gesprochenen Dialoge. Da heißt es bei größeren Häusern schon aufpassen, dass die Sprache gut rüberkommt. Doch grundsätzlich ist die MET ein tolles Haus für Stimmen. Man kann sich außerdem in allen Häusern ausprobieren, in denen man singt – und man wird immer die Balance finden, die für die verschiedenen Produktionen und die verschiedenen Häuser wünschenswert ist. In der MET habe ich noch nie einen Gedanken daran verschwendet, ich müsste jetzt lauter singen als in kleineren Häusern. Die MET ist sehr gesangsfreundlich.

BR-KLASSIK: Wir haben von Leonores Gegenwelt gesprochen. Was ist denn Ihre Gegenwelt zur Opernbühne? Wie können Sie entspannen?

Lise Davidsen: Am besten kann ich entspannen, wenn ich in meiner Freizeit mit meiner Familie zusammen bin. Wenn ich in New York bin, gehe ich sehr gern in den Central Park. Da kann ich spazieren und auch joggen. Diese Oase inmitten einer lauten Stadt fasziniert mich immer wieder. Denn manchmal wird mir der "Big Apple" mitsamt dem ganzen Verkehr einfach zu viel. Aber dann gehe ich zehn Minuten und entspanne an diesem wunderbaren Ort. Gerade wenn man, so wie ich, viel in Städten unterwegs ist, tut ab und zu ein bisschen Natur einfach gut.

BR-KLASSIK: Sängerin zu sein, ist anstrengend und herausfordernd. Was Ihr Leben betrifft, werden Sie bald vor ganz anderen Herausforderungen stehen. Mit dieser Fidelio-Serie an der MET beenden Sie erst einmal ihre öffentlichen Auftritte für den Rest des Jahres 2025 – aber "for a happy reason", wie Sie auf Ihrer Website schreiben.

Lise Davidsen: Ja und ich glaube, diese Zeit wird nicht weniger stressig sein. Allerdings wird es ein vollkommen anderer Stress sein. Ich bin schwanger und werde nach der letzten "Fidelio"-Vorstellung nach Hause fliegen, weil ich danach nicht mehr fliegen darf. Und dann werde ich daheim auf meine Zwillinge und auf mein neues Leben warten.

BR-KLASSIK: Wir wünschen Ihnen alles Gute. Haben Sie eine wunderbare Zeit mit ihrer Familie! Und wir freuen uns, wenn wir Sie 2026 wieder auf der Bühne sehen.

Lise Davidsen: Vielen Dank für das Gespräch.

Sendung: "ARD Oper" – Live aus der Metropolitan Opera New York am 15.03.2025 ab 20:03 auf BR-KLASSIK

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