Er ist der Marathon-Mann der Orgelwelt: Gerhard Weinberger. Kaum war er mit der Gesamteinspielung aller Orgelwerke von Johann Sebastian Bach fertig, folgte ab 2010 die Aufnahme des gesamten Orgelwerks von Max Reger. Weinberger ist damit der einzige Organist weltweit, der diese zwei Orgel-Giganten komplett diskographisch bezwungen hat. Eingespielt hat er die Werke ausnahmslos auf Orgeln der Reger-Zeit.
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Gerhard Weinberger
Max Regers Orgel-Gesamtwerk
Mit Bach fängt für Gerhard Weinberger alles an. Denn für Max Reger sei Bach "Musikgottvater" und "Anfang und Ende aller Musik". Seine große "Phantasie und Fuge über B-A-C-H" von 1900 bringt den Durchbruch und festigt Regers Ruf als großer Orgelkomponist. Das Werk hat Weinberger oft gespielt, und so steht es auch gleich auf seiner ersten Reger-CD. Ein guter Übergang für ihn, denn 2008 hatte er gerade seine Bach-Gesamtaufnahme vollendet. Damals war das große Reger-Projekt aber noch in weiter Ferne, wie sich Weinberger erinnert: "Es war zunächst so, das eigentlich keine Gesamteinspielung geplant war, sondern nur ausgewählte Werke. Das war natürlich auch meinem Alter geschuldet, wenn man mit 65 oder mit 67 sowas beginnt. Dann weiß man nicht, wie das endet."
Eine Gesamteinspielung war zunächst nicht geplant.
Es endet wunderbar! Die Musikkritik ist einhellig begeistert und drängt auf Fortsetzung. Aus der anfänglichen Best-of-Auswahl großer und kleiner Reger-Lieblingsstücke wird dann doch eine Reger-Gesamteinspielung. 75-jährig schließt Weinberger sie nach dreizehn Jahren ab. Und einer Sache war er sich dabei immer sicher: "Von Anfang an wollte ich diese Werke auf Orgeln der Reger-Zeit spielen, noch dazu, wo in den letzten Jahren und den letzten Jahrzehnten so viele Restaurierungen gelaufen sind." Dabei betont Weinberger vor allem die Bandbreite der "historischen" Insrumente, "weil diese Orgeln, gerade im 8- oder 4-Fußbereich, eine größere Palette haben an Farben, als moderne Instrumente."
Max Reger | Bildquelle: picture-alliance/dpa In ganz Deutschland findet Weinberger geeignete Instrumente von bekannten Orgelfirmen wie Walcker oder Sauer und von unbekannteren Erbauern. Flötenfarben sind ihm wie auch Reger wichtig, vor allem helle Register. Regers Orgelstil ist überbordend, expressiv, exzentrisch. Seine Orgelmusik ist musikalisch und technisch schwerer zu spielen als Bachs. Da ist es wichtig, das dichte Liniengeflecht transparent zu gestalten. "Ein gutes Reger-Spiel zeichnet vor allem aus, dass man ihn versteht. Reger ist ja so komplex in allem. Virtuosität, Eruptivität und natürlich ein Auskosten der vielen leisen lyrischen Stellen."
Weinberger hat Reger schon immer gern gespielt, was in der Familie liegt. Sein Vater war selbst Organist und Schüler von Joseph Haas, dem bedeutendsten Reger-Schüler. Und vom Studium beim großen Reger-Interpreten Franz Lehrndorfer hat Weinberger noch heute die Fingersätze in den Noten von Regers gewaltigem Spätwerk, der "Phantasie und Fuge d-Moll" stehen. So leben Traditionen weiter. Aber diese würden einem nicht gerade geschenkt, wie Weinberger anmerkt: "Reger erschließt sich nicht zu schnell. Das ist das Problem sowohl für den Zuhörer als auch für den Interpreten." Man müsse sich schon sehr in diese Musik reinvertiefen, sagt Weinberger, "also intensiv, musikalisch-technisch arbeiten, um zu verstehen, was eigentlich in einem Stück an Schönheiten drin ist."
Mit seinem zugleich virtuosen wie beseelten Spiel ist Weinberger ein Meilenstein in der Reger-Diskographie gelungen. Wichtigen Anteil hat daran seine kluge Balance der Werke auf jeder CD, von zarten oder imposant-vielstimmigen, von freien rhapsodischen Stücken oder jenen mit "cantus firmus". Was aber vielleicht das Schönste ist: Auf jeder CD gibt es ein kleines Juwel, das kaum bekannt ist und hier in der Farbfülle der vielen verschiedenen Orgeln aus Regers Zeit neu funkeln darf. Und hoffentlich auch in die Konzertprogramme hineinstrahlt, wie sich Weinberger wünscht: "Dass man diese kleinen Stücke auch öfters spielt und sich mit ihnen auseinandersetzt. Man muss es halt gut spielen. Und ja, man braucht einen guten Lehrer. Aber den hatte ich Gottseidank."
Sendung: "Allegro", 02. Mai 2024 ab 06:05 Uhr
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