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Geiger Michael Barenboim "Gaza ist ein schreckliches Verbrechen"

Mit der Initiative "Make Freedom Ring" macht Geiger Michael Barenboim auf die humanitäre Katastrophe in Gaza aufmerksam. Viele Landsleute kritisieren ihn dafür. Ende Juli veranstaltet die Initiative ein Benefizkonzert in der Himmelfahrtskirche in München.

Michael Barenboim | Bildquelle: Neda Navaee

Bildquelle: Neda Navaee

BR-KLASSIK: Herr Barenboim, "Make Freedom Ring", so heißt das Kollektiv aus Künstlerinnen und Künstlern, das Sie ins Leben gerufen haben, um auf die aktuelle Situation in Gaza hinzuweisen. Was steckt jetzt hinter diesen Namen?

Michael Barenboim: Das ist ein Zitat des amerikanischen Sängers und Bürgerrechtlers Paul Robeson. Er meint damit, dass man die Freiheit sozusagen anderen überträgt. Dass man sie an andere Menschen weitergeben kann. Ich habe diese Initiative nicht allein gegründet, es ist ein Kollektiv. Wir sind mehrere Musiker und Künstler, die primär natürlich auf die furchtbare Situation in Gaza und überhaupt in Palästina aufmerksam machen wollen. Und andererseits auch eine Rolle einnehmen, die in unserer Branche sonst überhaupt nicht besetzt wird.

BR-KLASSIK: Was ist das für eine Rolle?

Michael Barenboim: Etwas zu tun! Es wird kaum bis überhaupt nicht über die Situation in Gaza gesprochen oder etwas dafür getan. Und wir sehen es als unsere Pflicht und unsere Aufgabe an, diese Rolle einzunehmen.

Vorwurf an die Musikszene: Schweigen zur Lage in Gaza

BR-KLASSIK: Wenn ich das richtig verstehe, werfen Sie der Musikszene ihr Schweigen auch ein bisschen vor. Gerade jetzt, wenn man zum Beispiel im Gegensatz dazu den Überfall von Russland auf die Ukraine sieht. Da gab es sehr schnell sehr viele Benefizkonzerte. Das fehlt Ihnen?

Michael Barenboim: Das fehlt mir sehr. Die Gründe für die Angriffe Israels und für das Aushungern der Bevölkerung können wir als klassische Musiker jetzt nicht wirklich ändern, aber wir können schon was tun. Wir sammeln jetzt auch für Medico International, die mit Hilfe von Partnern – in Gaza zum Beispiel der Palestinian Medical Release Society – wirklich wichtige Arbeit leisten für die dortige Bevölkerung. Und ja, ich finde, es müsste mehr davon geben. Ich finde, viele unserer Kollegen könnten sich auch dafür einsetzen.

Angst vor Konsequenzen für die Karriere

BR-KLASSIK: Was glauben Sie denn, warum das fehlt?

Michael Barenboim: Es gibt dafür mehrere Gründe. Es ist einmal das Gefühl, dass das vielleicht kontrovers sein könnte. Dass es vielleicht Konsequenzen für die eigene Karriere haben könnte, also dass man weniger Konzerteinladungen kriegen würde. Oder dass man vielleicht auch in der Presse kritisiert wird, weil es natürlich, anders als bei anderen Konflikten, tatsächlich vorkam. Oder dass einem vorgeworfen wird, dass man Terrorsympathisant oder Antisemit ist. Oder selbsthassender Jude ist. Das sind alles Sachen, die mir vorgeworfen wurden, das ist jetzt nicht nur aus der Luft gegriffen. Das heißt, das Risiko, etwas zu tun, ist deutlich höher. Ich habe natürlich auch dafür Verständnis, dass nicht jeder dieses Risiko eingehen will, aber ich finde es dennoch wichtig, dass wir mit dieser Initiative etwas tun, damit das Thema auf der Agenda und auch im Bewusstsein der Menschen bleibt. Dass das, was wir in Gaza sehen, wirklich eines der der schrecklichen Verbrechen unserer Zeit ist. Und dass man das nicht einfach nur hinten liegen lässt.

Es gibt unter jüdischen Menschen sehr viele, die sich für die Rechte von Palästinensern einsetzen.
Michael Barenboim

BR-KLASSIK: Sie sind ja selbst jüdisch, und Sie engagieren sich hier für palästinensische Menschen. Sie haben es gerade schon gesagt, dass Sie da auch Vorwürfe bekommen haben. Wird Ihnen dann vorgeworfen, dass Sie Ihren eigenen Leuten irgendwie "in den Rücken fallen", oder was wird Ihnen vorgeworfen?

Prof. Dr. Miriam Rürup, Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums und Professorin für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam, Prof. Michael Barenboim, Professor für Ensemblespiel und Violine an der Barenboim-Said Akademie, Deutschland, Berlin, Bundespressekonferenz, Thema: Proteste an Hochschulen gegen den Krieg in Gaza | Bildquelle: picture alliance / Metodi Popow | M. Popow Michael Barenboim in der Bundespressekonferenz zum Thema Proteste an Hochschule gegen den Krieg in Gaza. | Bildquelle: picture alliance / Metodi Popow | M. Popow Michael Barenboim: Dass ich ein Verräter sei, ist mir schon vorgeworfen worden. Aber ich will nochmal betonen, dass es unter uns jüdischen Menschen auch sehr, sehr viele gibt, die sich für die Rechte von Palästinensern einsetzen. Die auch das sehen, was ich sehe: nämlich dieses schreckliche Verbrechen. Und die auch sehen wollen, dass hier internationales Recht und Menschenrechte respektiert werden sollten. Ich bin nicht der Einzige. Wir sind schon recht viele. Ich finde, man muss nicht nur im Namen der Meinungsfreiheit mich und andere das sagen lassen dürfen, sondern man muss auch an das denken, an das wir alle glauben: an Menschenrechte, an die Würde des Menschen, an ein internationales Recht und alle diese Begriffe, die uns allen sehr wichtig sind.

Ich bin nicht der Meinung, dass es im Kampf gegen den Antisemitismus hilfreich ist, jüdische Stimmen zu unterdrücken.
Michael Barenboim

BR-KLASSIK: Auf der anderen Seite wissen wir, dass seit dem 7. Oktober 2023 in Deutschland mehr antisemitische Vorfälle registriert worden sind. Sachbeschädigungen, Beleidigungen, auch handfeste Gewalt. Wie geht es Ihnen damit? Haben Sie da auch selbst oder im Umfeld sowas erleben müssen?

Michael Barenboim: Ich habe selber noch keinen solchen Angriff auf meine Person erlebt. Aber das heißt jetzt nicht, dass es da keine Beschädigungen und Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit von Menschen gibt. Das muss man natürlich ernst nehmen, dagegen muss man auch etwas unternehmen! Nur bin ich nicht der Meinung, dass es im Kampf gegen den Antisemitismus hilfreich ist, jüdische Stimmen zu unterdrücken und man nur eine Art von jüdischer Stimme gelten lässt.

BR-KLASSIK: Die pro-israelische Stimme als einzige zählen zu lassen, das finden Sie nicht gut?

Michael Barenboim: Ja, das finde ich nicht richtig, weil es die Vielfalt der jüdischen Meinung verkennt. Ich glaube, einer Gruppe das abzusprechen, was anderen Gruppen gewährt wird, ist eine Form der Diskriminierung. Deswegen sollte man schon auch immer die Vielfalt der jüdischen Meinungen in Betracht ziehen.

Angespannte Stimmung im West-Eastern Divan Orchestra

BR-KLASSIK: Ich würde jetzt mal ganz kurz einen Ausflug machen, weg von "Make Freedom Ring" ins West-Eastern Divan Orchestra. Dort sind Sie Konzertmeister, Ihr Vater hat das Orchester ins Leben gerufen. Das ist ein Ensemble, das genau diese Menschen aus genau den Kulturen zusammenbringt, die derzeit so verfeindet sind und die mitten in diesem Konflikt stecken. Wie ist in diesem Ensemble die Stimmung seit dem 7. Oktober?

Michael Barenboim: Die Stimmung ist natürlich angespannt. Ich glaube, man müsste verrückt sein, um sich vorzustellen, dass das überhaupt nicht auf die Stimmung geht. Es ist auch schwer zu sagen, denn anders als in der Barenboim-Said-Akademie, wo ich Professor bin und wo die Studierenden das ganze Jahr über zusammen sind, ist das Orchester ja ein Projektorchester. Das bedeutet, man kommt tatsächlich nur zusammen, wenn es Konzerte gibt, Tourneen und so weiter. Und es gab jetzt auch ein Jubiläumskonzert hier in Berlin, im April, zum 25-Jährigen Jubiläum, da kam das Orchester zusammen. Natürlich war die Stimmung da angespannt. Es wäre auch irgendwie nicht glaubhaft rüberzubringen, dass es nicht so ist. Ich will auch nicht so tun, als ob das nicht so wäre. Es ist völlig normal, dass das aufs Gemüt drückt, dass einige Kollegen damit besser umgehen als andere, dass es manchen sehr schwer fällt. Das ist alles völlig verständlich.

Es wird im West-Eastern Divan Orchestra darauf Wert gelegt, dass nicht nur geprobt und Konzerte gespielt werden, sondern dass es auch Diskussionen und Diskurs gibt.
Michael Barenboim

BR-KLASSIK: Woran merkt man das denn, dass die Stimmung angespannt ist? Also wird tatsächlich in der Probe gestritten, wird unterbrochen oder geben Sie dem Raum, vermitteln Sie, machen Sie Gesprächsrunden? Wie haben wir uns das vorzustellen?

BR-KLASSIK: Ich muss dazu sagen, ich war aus Termingründen im April nicht da. Aber ich weiß auch von früheren Projekten, dass es da nicht unbedingt um die Proben geht, weil es ja alles professionelle Musiker sind, die, sobald sie Instrumente in der Hand haben, sich auf die Musik konzentrieren. Es gibt Diskussionsrunden. Es gibt gemeinsame Treffen. Es gibt auch mit eingeladenen Gästen Gespräche, Panels und so weiter. Es wird schon generell bei uns darauf Wert gelegt, dass nicht nur geprobt und Konzerte gespielt werden, sondern dass es auch Diskussionen und Diskurs gibt. Das war schon immer so. Natürlich ist es in dieser Lage umso wichtiger, dass man auch dafür Raum, Zeit und Platz hat.

BR-KLASSIK: Jetzt ist dieser Konflikt, den wir Nahost-Konflikt nennen, so alt und so verkeilt und so ungelöst. Was kann Musik da bewirken?

Dresden: Geiger Michael Barenboim spielt während seines Besuchs in der Grundschule "Am Jägerpark" auf seinem Instrument. Organisiert hat die Begegnung das deutschlandweit aktive Musikvermittlungsprojekt "Rhapsody in School", das Schüler aller Altersstufen, ob musikalisch erfahren oder nicht, in hautnahen Kontakt mit dem Live-Erlebnis und natürlich mit Musikern bringt. | Bildquelle: Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa Michael Barenboim spielt in einer Grundschule in Dresden. | Bildquelle: Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa Michael Barenboim: Die kurze Antwort ist natürlich, dass das gar nichts bewirkt. Wenn jetzt in München meine Kollegen am 30. Juli zusammenkommen und dieses wundervolle Konzert spielen, wird dadurch nicht ein Kind in Gaza gerettet. Aber indirekt wirkt das natürlich durch die Spendengelder, und wenn man einen Abend mit Musik erlebt, hat man vielleicht einfach einen kreativen Moment erlebt, der einen so ein bisschen hochzieht und einem etwas gibt. Über die Musik hinaus gibt es an dem Abend auch zwei tolle Redebeiträge. Einmal von Alena Jabarine, einer palästinensisch-deutschen Journalistin, und von Tsafrir Cohen, dem Geschäftsführer von Medico International. Es wird auch ein spannender Abend in dieser Hinsicht. Ich denke schon, das kann für das Publikum ein besonderer, ein bewegender Moment werden.

Hoffnung? Nur mit einem Politikwechsel

BR-KLASSIK: Herr Barenboim, bald ist der Überfall der Hamas auf Israel neun Monate her. Haben Sie denn Hoffnung angesichts dieser Lage?

Michael Barenboim: Ich sehe jetzt nicht, dass es ohne einen massiven Politikwechsel von außen irgendeine Veränderung geben wird. Ich glaube nicht, dass Israel sich sonst davon abhalten lassen wird, weiter zu bombardieren, weiter anzugreifen, weiter Krankenhäuser zu zerstören und so weiter. Man kann nur hoffen, dass die Politik von wichtigen Staaten von außerhalb sich ändert, damit ein anderer Einfluss ausgeübt wird. Das ist die einzige Hoffnung, die ich sehe.

Benefizkonzert Medico International

Am Dienstag, 30. Juli 2024, 18:00 Uhr, Himmelfahrtskirche in München-Sendling
Unter anderem mit Kristin von der Goltz (Barockcello), Ingolf Turban (Violine), Tomoko Sawallisch (Klavier), Christine Schornsheim (Cembalo), u.v.m.

Sendung: "Allegro" am 2. Juli 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (10)

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Sonntag, 07.Juli, 15:43 Uhr

Susanne El Khafif

Thank you for your words, dear Michael Barenboim!

Samstag, 06.Juli, 23:55 Uhr

Ribhi Dr Yousef

Gemeinsam können wir was erreichen

Aufrichtige Menschen wie Sie Herr Barenboim müssen zusammenhalten um Unrecht zu entlarven und gemeinsam deren Stimme für Frieden und Menschenrechte zu erheben. Herzlichen Dank

Dienstag, 02.Juli, 20:47 Uhr

eurphrosine

god bless

Hochachtung für Herrn Barenboim und ein großes Dankeschön an den BR für dieses Intrview

Dienstag, 02.Juli, 20:44 Uhr

Heidi Bucher

Interview

Danke für Ihre klaren Worte. Diese Meinung hört man leider zu selten.

Dienstag, 02.Juli, 20:06 Uhr

Margit Kersten

Michael Barenboim

Seht reflektierte Äußerungen!
Endlich jemand, der sieht, dass eine kritische Einstellung zum israelischen Krieg nicht antisemitisch sein muss!

Dienstag, 02.Juli, 17:47 Uhr

Bianca

Und die Foltervideos?

Nein, es gibt keine so einseitige Sicht. Ich kann israelische Sender sehen, man zeigte die Körper der Opfer 7.10. und gab die Berichte Überlebenden und die Triumphvideos der Täter wieder. Ich habe palästinensische Kinder erlebt, die mit 5-6 Hassparolen schreien und an täuschend echten Waffen üben. Alle Grenzen sind hier fliessend , die deutsche Staatsraison steht fest, wie auch der BR weiss.

Dienstag, 02.Juli, 06:59 Uhr

Knut

Wichtiges Interview!

Dienstag, 02.Juli, 06:54 Uhr

Andrea Haarnagel

Feedback

Sehr guter Beitrag- war überfällig !

Dienstag, 02.Juli, 01:41 Uhr

Kathi Schmitt

Danke für das Interview !

Montag, 01.Juli, 20:50 Uhr

Elfi Padovan

Dank für diese wundervolle Initiative

Das Benefizkonzert für Gaza mit medico international gibt einem ein bißchen Hoffnung zurück, dass Menschlichkeit und Einsatz für die Menschenrechte doch noch einen Stellenwert haben in diesen düsteren Zeiten. Nach über 15000 unschuldigen toten KINDERN muss dieser Wahnsinn sofort gestoppt werden - wo ist die Wertegemeinschaft
dieser Welt ? DANK an Michael Barenboim

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