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Hitchcocks "Blackmail" Moritz Eggert vertont Stummfilm neu

Alfred Hitchcocks Krimi "Blackmail" bekommt eine neue Filmmusik: Der Komponist Moritz Eggert hat den Stummfilmklassiker von 1929 neu vertont. Ein Gespräch über Schritte auf der Treppe, Türklingeln und Big Ben.

Der Komponist Moritz Eggert | Bildquelle: Mara Eggert / musikhochschule-muenchen.de

Bildquelle: Mara Eggert / musikhochschule-muenchen.de

BR-KLASSIK: Herr Eggert, Sie haben Hitchcock neu vertont. Woran haben Sie sich beim Komponieren orientiert?

Moritz Eggert: Schon bevor Alfred Hitchcock mit seinem Hauptkomponisten Bernard Herrmann arbeitete, hat er einen unglaublich musikalischen Schnitt gemacht. Die Schnitttechnik war der Zeit weit voraus. Für mich war es eine Herausforderung, den Rhythmus dieser Schnitte zu verstehen und damit umzugehen. Ich habe versucht, mich in die Rolle von Bernard Herrmann hineinzuversetzen, weil er einfach prägend für die Filme von Hitchcock war. Was nicht heißt, dass ich Herrmann imitiere. Aber es ist eine Hommage geworden. Denn für mich sind Hitchcocks Filmbilder stark mit dieser genialen Musik verknüpft, Bilder und Musik kamen als Gesamtkunstwerk zusammen. So konnte ich nicht umhin, ähnlich zu denken. Ich habe mir den Film sehr oft angeschaut und kenne ihn jetzt wirklich bis ins Detail.

Die neue "Blackmail"-Filmmusik auf ARTE

Für den Film "Blackmail" von Alfred Hitchcock hat der Komponist Moritz Eggert eine neue Filmmusik geschrieben. ARTE übertrug den Film am 12. August. Zu finden ist er aber auch in der ARTE-Mediathek.

BR-KLASSIK: Die Story von "Blackmail" kurz zusammengefasst: Die junge Frau Alice ist eigentlich liiert, hat Stress mit ihrem Freund Frank und geht zu einem anderen. Der versucht sie zu vergewaltigen, sie ersticht ihn und will gestehen, wird aber von ihrem Freund Frank daran gehindert und lebt mit der Schuld weiter.

Szene aus dem Film "Blackmail" von Alfred Hitchcock | Bildquelle: picture alliance / Everett Collection Eine Szene aus "Blackmail" von 1929. Moritz Eggert hat den Hitchcock-Film neu vertont. | Bildquelle: picture alliance / Everett Collection Moritz Eggert: Ich finde, das ist das pessimistischste und dunkelste Ende von allen Hitchcock-Filmen. Ihr Freund, der sie liebt, weiß, dass sie die Mörderin ist. Sie weiß, dass sie die Mörderin ist, und wird nun ewig in diesem Gefängnis aus Schuld bleiben. Es ist unglaublich deprimierend, und Hitchcock hat diesen Schluss auch unheimlich toll gefilmt. Sie gehen dann einen Gang entlang, das wirkt wie der Gang zum Schafott, obwohl ihr nichts passiert. Ich habe mir bei der Musik besonders Mühe gegeben, diese Abgründigkeit darzustellen. Die Handlung des Films ist natürlich trotzdem sehr bemerkenswert, weil sie eigentlich eine #MeToo-Geschichte erzählt, was zu der Zeit unheimlich modern war. Die Hauptfigur Alice ist aus heutiger Perspektive altmodisch dargestellt, als das blonde Dummchen. Aber gleichzeitig interessiert sich Hitchcock sehr für ihre Innenwelt und stellt sie auch ausführlich dar. Man kann sich total hineinversetzen, wie sich eine Frau mit einem unangenehmen Typen fühlt, den sie einerseits vielleicht interessant findet, der aber zunehmend Grenzen überschreitet. Das ist unglaublich toll gefilmt und sehr modern für die Zeit, weil man sich eigentlich für diese Perspektive überhaupt nicht interessiert hat damals.

Der Film erzählt eine #MeToo-Geschichte, was zu der Zeit unheimlich modern war.
Komponist Moritz Eggert über 'Blackmail'

BR-KLASSIK: Der Film entstand ja im Jahr 1929. Was spielt das für eine Rolle bei Ihrer Vertonung?

Moritz Eggert: Bei der Instrumentierung zumindest spielt das bei mir keine Rolle. Ich benutze sogar ganz bewusst Instrumente, die Bernard Herrmann nicht benutzt hat: ein vierteltönig verstimmtes Klavier oder ein Cymbalom. Die schöne Aufgabe beim Stummfilm ist, dass man gleichzeitig die Geräuschkulisse komponiert. Bei heutiger Filmmusik, wo es eine Tonspur gibt, vermeidet man dieses "Mickey Mousing", also wenn man etwas, das visuell geschieht, auch akustisch doppelt. Bei Stummfilm ist es aber schwierig, weil man einfach sieht, dass Hitchcock bestimmte Sachen rhythmisch geschnitten hat. Es gibt zum Beispiel eine Stelle, wo Alice nach dem Mord die Treppe runterkommt. Da ist die Kamera auf ihren Schritten, und diese Schritte haben einen bestimmten Rhythmus, der nicht zufällig, sondern von Hitchcock so gewollt ist. Wenn man das in der Musik komplett ignoriert, entsteht eine Diskrepanz, die den Gesamteindruck schwächt. Das heißt, ich muss musikalisch auf die Schritte eingehen. Oder wenn man in Großaufnahme eine Türklingel sieht. Da kann ich nicht in der Musik kein Klingeln machen. Dadurch vermischt sich eine musikalische Erzählung mit einer Sound-Erzählung. Das macht Spaß!

Lernen Sie die besten Hitchcock-Soundtracks kennen!

Anlässlich des 125. Geburtstags von Alfred Hitchcock blickt BR-KLASSIK auf die besten schaurig-schönen Hitchcock-Soundtracks.

Alfred Hitchcock posiert während der Dreharbeiten zu "Die Vögel" mit einer Möwe und einem Raben (1963) | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der Regisseur Alfred Hitchcock war ein Meister des Thrillers. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Und natürlich habe ich auch versucht, viele subtile Sachen einzubauen, die mir in Filmmusik oft fehlen: dass mit der Musik Dinge erzählt werden, die das Bild nicht erzählt. Um klarzumachen, dass die Szene bei Scotland Yard spielt, denn das ist in vielen Einstellungen nicht sofort ersichtlich, benutze ich zum Beispiel das Big Ben Motiv, weil Scotland Yard direkt neben Big Ben liegt. Und Big Ben wird in dem Film auch mehrmals eingeblendet. Dann gibt es eine Szene, wo Hitchcock selbst zu sehen ist: in einem seiner ersten Cameo-Auftritte in der U-Bahn. In meiner Musik kann man da das Motiv von "Alfred Hitchcock Presents" hören. Diese Fernsehserie hatte ein ganz bestimmtes klassisches Musikmotiv, das ich in der Szene kurz zitiert habe. Solche Sachen machen einfach Spaß.

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