Mit ihrer fünften und letzten Biennale haben sich die Künstlerischen Leiter Manos Tsangaris und Daniel Ott nochmal "on the way" gemacht, um herauszufinden, was "Neues Musiktheater" eigentlich sein kann. Vom 31. Mai bis 10. Juni gibt es viele – sehr unterschiedliche – Vorschläge dazu. Ein Ausblick.
Bildquelle: Landeshauptstadt München
Von zwei großen weißen Punkten geht ein dicker gelber Streifen geradeaus, ein pinker Balken biegt nach unten. Wie ein kleiner Ausschnitt aus einem Fahrplan schaut es aus, das Programmheft der Münchener Biennale 2024, dem Festival für Neues Musiktheater. Und das ist beabsichtigt, lautet das Motto der diesjährigen Ausgabe doch "On the way". Sobald man das Heft aufschlägt, kreuzen sich noch weitere bunte Linien zu einem Netz, das grob die Spielorte inmitten dieser fiktiven Landkarte aufzeigt.
Plakat der Münchener Biennale 2024 in einem Bahnhof in München | Bildquelle: Münchener Biennale 2024 Seit 2016 sind Manos Tsangaris und Daniel Ott für die Programme der Biennale zuständig. Eine Konstante von ihnen ist das Hinterfragen von Erwartungshaltungen, das Öffnen des Genres "Musiktheater", das Experimentieren in Sachen Aufführungsort, Partizipation und Verankerung im Öffentlichen Raum. Da passt das Motto auf vielsinnige Weise, denn (Musik)Theater sollte im besten Fall nie statisch sein, immer lebendig und auf dem Weg in Richtung Zukunft, wie auch immer die dann aussehen könnte. "Das war aber nicht die Ausgangslage", sagt Daniel Ott im BR-KLASSIK-Gespräch, "uns haben andere Wege interessiert: Migration, der Weg des Geldes, Nahrungskreisläufe. Und auch ganz direkt Verkehrswege."
So wurden für einen Schwerpunkt unter dem Begriff "Neue Linien" drei internationale Kollektive eingeladen, um sich Gedanken zu machen, wie man mit Musiktheater im Öffentlichen Raum das große und eher schwer greifbare Thema "Mobilität" greifbar machen kann. Und natürlich auch hörbar. Die Gruppe "Novoflot" aus Deutschland wird mitten auf dem Max-Joseph-Platz vor dem Nationaltheater einen Bahnhof installieren, Andockstation für diverse Fortbewegungsmöglichkeiten im öffentlichen Stadtverkehr. "Het Geluid" aus Holland bespielt mithilfe eines Lautsprecher-Roboters unter anderem den U-Bahnhof am Marienplatz, und "Oblivia" aus Finnalnd wandelt performativ (bzw. performt wandelnd) zwischen Isarauen und Isarphilharmonie.
Probenbild aus "Searching for Zenobia", Münchener Biennale 2024 | Bildquelle: © Joseph Heicks
Für diese öffentlichen und kostenfreien Arbeiten wurden ganz bewusst Gruppen gesucht, die schon seit 20 Jahren europaweit miteinander zusammenarbeiten, sagt Daniel Ott und fügt gleich an, dass auch das ein Experiment sei, denn normalerweise würden sie das bunte Zusammenmischen Künstlerischer Kollaboration bevorzugen. Letzteres gibt es aber nach wie vor zu erleben, etwa im "Klassischen" Musiktheater, mit dem das Festival am 31. Mai startet. Dann hat "Searching for Zenobia" Premiere, das neue Stück von Lucia Ronchetti, einer der interessantesten Komponistinnen im Bereich des Musiktheaters, die weder thematische noch strukturelle Grenzen zu kennen scheint. Und deren Terminplan gut gefüllt ist: Jüngst erst wurde ein anderes Bühnenwerk von Ronchetti bei den Schwetzinger Festspielen aus der Taufe gehoben.
Der Biennale-Auftakt dreht sich um Flucht und Migration vor dem Hintergrund der titelgebenden antiken Königin von Palmyra. Das Festival-Motto schimmert auch hier auf verschiedenen Ebenen durch, hier kreuzen und mischen sich auch kulturelle Wege, die der syrische Schriftsteller Mohammad Al Hattar im Libretto zusammenfügt – und Ronchetti auf Spurensuche geht zwischen traditioneller syrischer Musik und einer Zenobia-Oper des Barockkomponisten Tomaso Albinoni.
Als "besonders spannend" stuft Daniel Ott die Produktion "Shall I build a dam" ein, bei der die Komponistin Kai Kobayashi auf die Choreografin und Performerin Simone Aughterlony trifft. "Die beiden kannten sich vorher nicht und sie könnten unterschiedlicher nicht sein", sagt Ott im BR-KLASSIK-Gespräch und schwärmt von den Proben: "Ich habe selten Arbeiten gesehen, bei denen zwei autonome Ebenen sich so bereichern." Grundlage ist hier das Element Wasser in all seinen Erscheinungsformen sowie Symbolebenen rund um Menschliches Leben.
Die Münchener Biennale 2024 geht vom 31. Mai bis zum 10. Juni. Die Uraufführung von "Defekt", einer Oper von Mithatcan Öcal, am 8. Juni in der Muffathalle wird von BR-KLASSIK mitgeschnitten und am 2. Juli um 20:05 Uhr gesendet.
Die diesjährige Biennale ist aber nicht nur im übertragenen Sinn "auf dem Weg", sondern auch ganz plakativ: Mit dem Stück "RÜBER" verlegt Nico Sauer seine Klanginstallation direkt auf die Straße, in dem er es in einer Limousine stattfinden lässt, die quer durch München fährt. "Es ist ein Stück für maximal drei Personen, die alle auf dem Rücksitz Platz nehmen", sagt Ott, der selbst noch wenig Einblick bekommen hat: "Es gibt Installation und Zuspielungen im Inneren des Autos, aber was der tagesaktuelle Münchner Verkehr bereithält, ist natürlich offen." Musiktheaterformen gerade auf kleinstem Raum ist eine spezielle Vorliebe des Künstlerischen Leitungsduos Ott/Tsangaris: "Das Hinterfragen der gewohnten Darbietungsformen war uns immer wichtig", sagt Ott, "es müssen ja nicht immer über 100 Menschen vor einem Guckkasten sein. Am extremsten und sehr beliebt war etwa das Ein-Personen-Stück in einer Badewanne bei der Biennale 2018."
Apropos Rückblick: Mit der diesjährigen Ausgabe verabschieden sich die beiden Künstlerischen Leiter Manos Tsangaris und Daniel Ott. "Es ist auch Zeit," findet Ott. "Ursprünglich waren nur zwei oder drei Festivals angepeilt. Jetzt sind es fünf geworden, für uns eine runde Sache." Bei den mottogebenden Wegen ist auch die Frage nach den Sackgassen in den letzten acht Jahren nicht weit. Aber Daniel Ott kann nur milde abwinken: "Vielleicht einer von zehn Wegen musste vorzeitig abgebrochen werden oder kam irgendwann nicht weiter." Aber selbst im vermeintlichen Scheitern sei immer auch eine Stärkung hervorgegangen, so Ott im BR-KLASSIK-Gespräch. Grundsätzlich sei es wichtig für so ein internationales Festival, unterschiedliche Künstlerische Tendenzen einzubringen. Mit den beiden Nachfolgerinnen Manuela Kerer und Katrin Beck sind Ott und Tsangaris sehr glücklich: "Wir freuen uns jetzt schon auf private Besuche 2026."
Sendung: "Leporello" am 29. Mai 2024 ab 16:05 Uhr
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