Immer weniger junge Menschen bewerben sich für einen Studienplatz Musik Lehramt. Manche haben Angst, die Aufnahmeprüfung nicht zu bestehen, andere ein negatives Bild des späteren Berufs im Kopf. Anna Fries hat mit Studierenden am Institut für Schulmusik der Musikhochschule München darüber gesprochen, was sie umtreibt.
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Milena Schex und Salomo Michelfeit studieren Schulmusik im Doppelfach in München. Doppelfach meint, dass sie Vollzeit Musik auf Lehramt studieren und später in der Schule ausschließlich Musik unterrichten. Für die beiden ein großes Privileg – und zugleich viel Arbeit. Denn der Stundenplan ist voll, viele Fächer stehen auf dem Programm. "Man hat sehr viel Unterricht. Das führt dazu, dass man sich nicht auf jeden Unterricht so gut vorbereiten kann, wie man sich das wünschen würde, weil einfach die Zeit nicht ausreicht, aber gleichzeitig ist man sehr breit aufgestellt", erzählt Milena im Fachschaftsraum der Musikhochschule. Auf dem Programm stehen beispielsweise Orchester- und Bigbandleitung, schulpraktisches Klavierspiel, Unterricht im Erstinstrument und am Klavier, Gesang, schulische Ensemblepraxis, Musiktheorie, Gehörbildung und Musikgeschichte.
Salomo hat sein Alt- und Sopransaxophon dabei. Für ihn steht am Mittag Bigband-Probe auf dem Programm. Die "Teacher’s Finest"-Band hat bald Konzert. Jahrelang bereitete Salomo sich vor, um einen Studienplatz für das Doppelfach in München zu bekommen, übte Jazzsaxophon, lernte in der Oberstufe zusätzlich Klavier und bereitete sich nach dem Abitur akribisch auf die Aufnahmeprüfung vor. Außer verschiedenen Vorspielen umfasst sie Aufgaben in Musiktheorie, Gehörbildung und ein Vorsprechen. Die genauen Anforderungen unterscheiden sich je nach Hochschule und Studiengang. Das betrifft auch die Studieninhalte. Dazu gibt es je nach Hochschule und Bundesland andere Regeln zu Kombinationsmöglichkeiten.
Salomo und Milena sind inzwischen fast fertig mit dem Studium. Sie erinnern sich aber noch gut an das Herzklopfen vor den Aufnahmeprüfungen und das Bangen, ob es klappt. "Man hat drei Jahre diesen Plan und dann kommt diese eine Woche, die entscheidet, ob man Musiklehramt studieren kann oder noch gar keinen Plan für die Zukunft hat", sagt Salomo. Das sei schon ziemlich beängstigend gewesen. Dafür sei das Studium facettenreich und gebe viele Werkzeuge an die Hand, erzählen Salomo und Milena, während nebenan andere Studierende üben. "Man muss sich nicht auf eine Sache festlegen, wenn man gerne Musik macht. Von Chor, Orchester, Bigband und seinem Instrument ist alles dabei", sagt Milena.
Ihr Tag startet mit Partiturspiel. Ein Klavierauszug von Brahms Requiem liegt vor ihr auf dem Klavier. Sie lernt, die Klavierstimme so zu vereinfachen, dass sie das Wichtigste daraus als Begleitung für einen Chor spielen kann. Danach steht Bigband-Probe und Orchesterleitung auf dem Programm. Davor und danach heißt es vor allem Üben und die nächsten Unterrichts-Einheiten vorbereiten. Bei aller Vielfalt kommt den Studierenden ein Feld zu kurz: Meist geht es um Klassik, ein wenig auch um Jazz. Rock und Pop hingegen spielen fast keine Rolle. Ein Schwerpunktprofil Rock/Pop gibt es in München nicht und nur wenige Kurse dazu.
"Man kann durch das Studium kommen, ohne einmal den Namen Billie Eilish benutzt zu haben. Was an der Realität der Schülerinnen und Schüler im späteren Unterrichtsalltag komplett vorbeigeht", kritisiert Salomo. Für ihn sei es wichtig zu fragen, was Musikunterricht erreichen will. Sollten die Schüler wissen, wer Mozart war? Oder sollten sie Freude und Offenheit gegenüber jeder Art von Musik mitnehmen? "Freude vermittelt man wahrscheinlich am besten über das, was die Schülerinnen und Schüler kennen. Da hilft wahrscheinlich eher Billie Eilish, als mit Mozart um die Ecke zu kommen", meint Salomo. Jeder Studierende müsse im Studium ein romantisches Chorstück einüben, aber keinen Popsong, ergänzt Milena. "Das verpflichtend für alle zu machen wäre gerade für diejenigen sinnvoll, die wie ich mit der Querflöte aus dem klassischen Bereich kommen", ist sie überzeugt.
Bigband-Probe in der Musikhochschule München. | Bildquelle: Anna Fried Die Münchner Musikpädagogik-Professorin Gabriele Puffer teilt die Kritik der Studierenden. Künstlerisch seien die Schulmusik-Studierenden hervorragend ausgebildet. Rock und Pop kommen aber zu kurz. Dabei bräuchten Musiklehrer in der Schule genau das: Mal schnell ans Schlagzeug setzen, Schülern Grundlagen an der E-Gitarre zeigen oder für die Schülerband Popsongs arrangieren. Dazu bräuchte es im Studium mehrere Seminare, sagt Puffer: Studierende sollten Bandinstrumente selbst in kleinen Bands ausprobieren und Rock-Pop-Didaktik und Rock-Pop-Musikgeschichte lernen. Puffer beobachtet allerdings auch, dass nicht alle Studierenden die für die Schule relevanten Angebote an der Hochschule wichtig nehmen. Singen und Liedbegleitung brauche ein Musiklehrer jeden Tag, sagt Puffer, die selbst zehn Jahre an einem Gymnasium in Nürnberg Musik unterrichtet hat. Diese Fächer fielen aber zu oft unter den Tisch. "Die jungen Leute haben auch nur 24 Stunden Zeit am Tag und das Prestige dieser Fächer ist innerhalb der Hochschule nicht überall so hoch angesiedelt, wie das des ersten Instruments", sagt Puffer.
Puffer ist wichtig, dass die Studierenden neben künstlerischen Fähigkeiten ein "positives pädagogisches Selbstkonzept" aus dem Studium mitnehmen. Inhalte in der Studienordnung ließen sich schnell ändern, wenn man das wollte, sagt sie. Andere Veränderungen wie die Lernkultur oder Wertschätzung für Inhalte, die man im Beruf braucht, dauerten wohl länger.
Für Salomo und Milena rückt der Studienabschluss näher. Und damit auch Fragen zum Schulalltag: "Musik ist bekanntlich förderlich für soziale Kompetenzen, aber auch für Intelligenz", sagt Milena. Schülerinnen und Schülern würde sie gerne Spaß an Musik, am Singen und am Musizieren vermitteln. "Das schafft man aber nur, wenn man auch sich die Freiheit nimmt, dass man relativ viel praktisch musiziert. Aktuell müsste man einfach Sachen vom Lehrplan einfach unter den Tisch fallen lassen."
Sendung: "Allegro" am 29. Januar 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Mittwoch, 29.Januar, 08:14 Uhr
Ulrich Schwendke
Sendung rund um 7.45 Uhr
Da derart hastig gesprochen wurde, haben meine Frau und ich (83 und 87) praktisch nichts verstanden. Erst dieser Artikel war hilfreich.