Ungewollte Küsse und Angst vor dem Weg zum Parkplatz: Eine anonyme Frau äußerte im spanischen Fernsehen schwere Beschuldigungen gegen den Star-Tenor. Das Echo ist geteilt.
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In der Opernwelt sei allgemein bekannt, dass Frauen nicht gemeinsam mit Placido Domingo (83) einen Fahrstuhl benutzen sollten, so eine Zeugin, die sich am vergangenen Wochenende im spanischen Fernsehkanal La Sexta äußerte. Ihre Identität hielt sie geheim: "Ich bin berufstätig und würde Gefahr laufen, dass meine Aussagen Konsequenzen haben, die mich daran hindern, zu arbeiten."
Nach den bisherigen Vorwürfen gegen den Startenor wegen sexueller Übergriffe sei ihr "erster Gedanke" gewesen, dass es erstaunlicher Weise so lange gedauert hatte, bis sich Frauen zu Wort meldeten. Sie selbst sei von Domingo unerwartet und gegen ihren Willen geküsst worden: "Der Akt war zu Ende, der Vorhang gefallen, es gab keinerlei Rechtfertigung dafür." Sie habe teilweise Angst gehabt, zu ihrem geparkten Auto zu gehen, so die anonyme Frau, weil Domingo so zudringlich gewesen sei.
"Das erste Mal fühlte ich mich unwohl, als wir probten. Er sagte mir vor allen Anwesenden: 'Hören Sie, kann ich meine Hand in eine Ihrer schönen Taschen stecken.' Ich trug eine Hose mit einer bestickten Gesäßtasche", so die TV-Zeugin. "Mir würde übel, weil ich dachte, was kann ich antworten, um normal weiterzumachen. Wenn ich ihm nein sage, wird es Konsequenzen geben, und wenn ich ja sage, möchte ich nicht mal drüber nachdenken." Domingo sei "unantastbar" gewesen: "Es sollte nicht so sein, aber ich stand in seinem Schatten." Der Tenor selbst äußerte sich auf Medienanfragen bisher nicht zu den Vorwürfen.
2020 hatten mehr als drei Dutzend Sänger, Tänzer, Musiker, Gesangslehrer und Backstage-Mitarbeiter von "unangemessenem Verhalten" von Domingo berichtet, und zwar über einen Zeitraum von 30 Jahren hinweg. Er selbst gab keinerlei Fehlverhalten zu, sondern sagte lediglich, es tue ihm "wirklich leid für den Schmerz, den er anderen zugefügt" habe. Als Generaldirektor der Los Angeles Opera musste Domingo zurücktreten, amerikanische Opernhäuser wie die Met in New York und das Theater in San Francisco luden ihn aus. Auch in den öffentlich subventionierten Opernhäusern Spaniens ist er nicht mehr willkommen, bei einer Benefiz-Gala im vergangenen Juni trat er jedoch auf.
Zu einer Anklage kam es bisher nicht, was Betroffene damit begründeten, es gehe ihnen nicht um Geld, sondern darum, dass Domingo sein Verhalten ändere. Auf Twitter stritten Fans und Gegner des Sängers einmal mehr über die neuen Vorwürfe. Die einen witterten eine "zutiefst besorgniserregende Kampagne", verwiesen darauf, dass es "keine Beweise" gebe und immer noch die Unschuldsvermutung gelte. Domingo werde in seinen Grundrechten verletzt: "Wie können sie seinen Ruf dermaßen zerstören?" Andere verwiesen darauf, dass die Ereignisse "35 Jahre her" seien und sich Ermittler besser um aktuelle Fälle kümmern sollten, rühmten Domingo als "immer noch gutaussehenden Herrn" und schrieben, bei ihnen "habe er es noch nicht versucht". Es gab allerdings auch empörte Stimmen, die eine "Gleichgültigkeit und Komplizenschaft" aller spanischen Machos geißelten.
Sendung: "Allegro" vom 17. Janaur 2023 um 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Freitag, 20.Januar, 18:20 Uhr
Soprano
Viele Jahre habe ich in einem Musiktheater gearbeitet und weiß genau wie es dort zugeht: und wenn man mit offenen Augen durch das Theater ging, hat man gesehen, daß sich viele Kolleginnen den "Promis" an die Brust geworfen haben, oben (fast) ohne in deren Garderoben gingen, etc. Ich will Domingo nicht freisprechen, aber wenn man einen "Leckerbissen" vor den Mund gehalten bekommt ...
Donnerstag, 19.Januar, 08:24 Uhr
Peter
Domingos Übergriffe
Wenn dem so geschehen ist, dann stellt sich mir die Frage, was treibt Menschen zu einem solchen Verhalten? Sind es die Hybris und der Glaube unantastbar zu sein? Oder ist es das Gefühl, als sog. Superstar, dem die Welt zu Füßen liegt, auch allmächtig zu sein und sich in absolutistischer Manier alles erlauben zu dürfen? Abhängigkeiten ausnutzen zu können? Es ist beschämend und erbärmlich, aber typisch für diese Zeit, in der manche Menschen nur noch sich sehen und ohne Empathie leben. Andererseits, warum setzt man sich nicht sofort, sondern erst Jahre später, zur Wehr und geht an die Öffentlichkeit? Eine der grossen französischen Schauspielerinnen sagte zu diesem Thema, dass sie nie abendliche Einladungen in die Suiten von Regisseuren angenommen hätte, auch wenn mache Verträge darum nicht unterzeichnet worden seien. Es ist an der Zeit, Zivilcourage zu zeigen und sofort die Stimme zu erheben, wenn die eigene Würde durch derartige Übergriffe verletzt worden ist.
Donnerstag, 19.Januar, 05:49 Uhr
Anna-Maria Locher
Unschuldsvermutung P. Domingo
Warum macht niemanden eine richtige Anzeige gegen P. Domingo wenn er das wirklich gemacht habe sollte? Anstatt Anonym die gerüchte zu verbreiten? Und damit den Ruf eine Person zu Schädigen? Diese fragen tauchen bei mir immer wieder auf. Wenn ich am Arbeitsplatz oder sonst Sexuelle Belästigungen erfahren sollte würde ich umgehend zur Polizei gehen und Anzeige erstatten. Im fall P. Domingo gilt von der Rechtslage her tatsächlich immer noch weitwrhin die Unschuldsvermutung.
Mittwoch, 18.Januar, 18:56 Uhr
Christine
Meine Güte, er ist inzwischen ein alter Mann!