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Konzertreihe "Liqa'at" Arabische Oud trifft Neue Musik

Sie klingt warm und wie aus 1001 Nacht: die arabische Kurzhalslaute Oud. Symbolinstrument des Orients – von Ägypten über Syrien und die Türkei bis nach Saudi-Arabien. Was geschieht, wenn das traditionsreiche Instrument und ein westliches Ensemble für zeitgenössische Musik zusammenkommen? Das Goethe-Institut Kairo hat das Treffen angestoßen: "Liqa'at" ("Begegnungen") mit Konzerten in Kairo, Köln und Freiburg.

Bildquelle: Christian Mattis

Dialog der Kulturen – Aktuelle Projekte des Goethe-Instituts

Konzertreihe "Liqa'at"

Sie ist das Herz des Projekts: die Schalenhalslaute "Oud", übersetzt schlicht und ergreifend "Holz". Es ist das Holz des Maulbeerbaums, aus dem die elfsaitige Oud gebaut wird. Ihr Klang atmet den Geist des Orients. Beim Projekt "Liqa'at" (auf Deutsch: "Begegnungen"), gefördert vom Goethe-Institut, der Ernst von Siemens Musikstiftung und dem Deutschlandfunk, wurde die Oud in einen neuen Kontext überführt: in drei zeitgenössischen Kompositionen, die eigens für das Projekt geschrieben wurden.

Durch Musik kann man die Seele eines Menschen hören.
Nehad El-Sayed, Komponist und Oud-Spieler

Oud-Virtuose Nahed El-Sayed spielt mit dem "Ensemble Aventure"

Der Auftrag, Werke für Oud und das Freiburger "Ensemble Aventure" zu schreiben, ging an den ägyptisch-schweizerischen Oud-Virtuosen und Komponisten Nehad El- Sayed und an die beiden in Österreich lebenden Komponisten Amr Okba und Hossam Mahmoud. Die Oud ins "Ensemble Aventure", bestehend aus Flöte, Klarinette, Fagott, Klavier und Schlagwerk, zu integrieren, war ein spannender und gleichzeitig bereichernder Prozess für beide Seiten. "Als ich in der Probe zum ersten Mal die Oud gehört habe, hatte ich Gänsehaut", erzählt Akiko Okabe, die Pianistin des Ensembles.

Hossam Mahmoud studiert sein Werk "Anfas" mit dem Freiburger "Ensemble Aventure" ein | Bildquelle: Ensemble Aventure Hossam Mahmoud studiert sein Werk "Anfas" mit dem Freiburger "Ensemble Aventure" ein | Bildquelle: Ensemble Aventure Wenn Instrumente und Traditionen, die so verschieden sind, aufeinandertreffen, entstehen auch Irritationen. Zum Beispiel darüber, wann genau die "Eins" zu spielen ist. Direkt auf Punkt oder leicht verzögert? Auch bei der Intonation zeigten sich Unterschiede, die in den verschiedenen Musikauffassungen und Spielpraktiken begründet sind. Bei der Oud etwa sind Mikrotöne ganz normal, bei westlichen Instrumenten sind sie nur in Ausnahmefällen erwünscht und spielbar.

Alle Kompositionen sprechen die musikalische Sprache des 21. Jahrhunderts: Klänge flirren, zittern, wispern, kratzen. Und doch ist unüberhörbar die traditionelle Musik des arabischen Raums darin verwoben. Manchmal als leiser Anklang, ein anderes Mal als direkte Gegenüberstellung von verloren wirkenden Tonschnipseln einerseits und einer schlicht-schönen Melodie andererseits. In drei Konzerten in Kairo, Freiburg und Köln wurden die Auftragskompositionen präsentiert. In Deutschland ein Heimspiel. In Ägypten etwas völlig Neues. Denn dort ist die Situation eine völlig andere:

Leider gibt es für die zeitgenössische Musik in Ägypten keine Szene.
Amr Okba, Komponist

Komponist Amr Okba: Brückenbauer zwischen Kulturen

Amr Okba, ägyptisch-österreichischer Komponist  | Bildquelle: Amr Okba Amr Okba | Bildquelle: Amr Okba Weil es keine Szene zeitgenössischer Musik in Ägypten gibt, leben die meisten Komponisten und Komponistinnen im Ausland, so auch die für das Projekt "Liqa’at" beauftragten Nehad El-Sayed, Amr Okba und Hossam Mahmoud. Alle drei tragen in sich unterschiedliche kulturelle Einflüsse. Ihr Leben zeigt, dass kulturelle Identität nichts Starres, Unbewegliches, sondern etwas Lebendiges, Fließendes ist. Amr Okba pendelt zwischen Wien und Kairo und versteht sich als Brückenbauer zwischen Kulturen. Hossam Mahmoud lebt in Salzburg und Nehad El-Sayed hat sein neues Zuhause in der Schweiz gefunden. Die Themen, die die Komponisten in ihren Auftragswerken verhandeln, sind aktuell und persönlich gefärbt. Der Komponist und Oudspieler Hossam Mahmoud hat seine Komposition "Anfas" – übersetzt "Atem" – betitelt und entsprechend gliedert er das Werk in sieben auskomponierte Atemzüge. Wobei "Anfas" mehr meint als nur das körperliche Ein- und Ausatmen. Es geht um die beiden Herzen im Menschen – das aus Fleisch und Blut und um das spirituelle Herz.

Nehad El Sayed thematisiert in "Under pressure" den Druck, dem wir im Alltag ausgesetzt sind: Das Hin- und Herhetzen von Termin zu Termin, das Fehlen von Ruhe und Raum, die Clashs, die sich ergeben, wenn mehrere Menschen gleichzeitig gestresst sind. Amr Okba dagegen hat seine Komposition "Just and comprehensive peace" als Reflex auf den eskalierenden Nahostkonflikt geschrieben – ein Stück über das Nebeneinander statt Miteinander, mit leiser Hoffnung auf Frieden.

Durch Kunst für ein respektvolles Miteinander

Der Oud-Spieler Nehad El-Sayed | Bildquelle: Nehad El-Sayed Oud-Spieler Nehad El-Sayed | Bildquelle: Nehad El-Sayed Sich durch Kunst für ein respektvolles Miteinander einzusetzen, ist auch im Großen das Ziel des Projektes "Liqa’at". Es geht um künstlerischen Austausch, aber auch um einen gesellschaftlichen Beitrag für eine friedvolle Welt: Gerade jetzt, in Zeiten von Krieg und wirtschaftlicher Unsicherheit, sei Kommunikation, Respekt und Verständigung doppelt wichtig, so die Initiatoren. Zusätzlich zu den Konzerten mit Musik zwischen Tradition und Moderne wurden auch Workshops für Studierende in Kairo veranstaltet – ein Impuls, der möglicherweise große Wirkung zeigt. Denn wenn im eigenen Land begonnen wird, moderne Musik zu schreiben, könnte sich daraus eine lebendige Szene entwickeln. Gerade auch durch die Verknüpfung von Tradition und Moderne, wie Oud-Spieler Nehad El-Sayed sie vorlebt. Er ist hochgeschätzt als Meister seines Instruments, der das traditionelle Repertoire perfekt beherrscht, gleichzeitig geht er neue Wege. Diese Offenheit für Neues gibt er an junge Menschen weiter – als Leiter einer gerade entstehenden Oud-Schule in Riad. Mehr als 2.400 Anmeldungen sind eingegangen  – es gibt eine lange Warteliste. Dort musizieren auch Mädchen mit Hidschab, dem Kopftuch und Niqab, dem Gesichtsschleier.

Musik ist nicht gegen Religion.
Nehad El-Sayed, Komponist und Oud-Spieler

Kaum professionelle Komponistinnen in Ägypten

Bushra El-Turk | Bildquelle: Ben McDonnell Komponistin Bushra El-Turk | Bildquelle: Ben McDonnell In den Konzerten von "Liqa’at" im Herbst 2024 war auch Musik von komponierenden Frauen zu hören. Allerdings auch hier: Sie alle leben nicht mehr in Kairo, wohl auch, weil in Ägypten immer noch künstlerische Zensur herrscht und kein freier Entfaltungsraum für zeitgenössisches Komponieren gegeben ist. "Professionelle Komponistinnen, die in Ägypten leben, sind kaum zu finden", erklärt Akiko Okabe vom "Ensemble Aventure".

So hat das Ensemble bereits bestehende Werke zu den drei Auftragskompositionen hinzugefügt, beispielsweise "Marionet" der libanesisch-britischen Komponistin Bushra El-Turk: Musik, die die Unterdrückung einer Frau im Libanon thematisiert und ihren Befreiungsschlag gegen die ihr von Männern auferlegten Zwänge: Die Marionette als Symbol für die im System gefangene Frau beißt ihre Fäden ab und befreit sich selbst.

"Liqa’at" hat ein Fenster aufgestoßen in den Nahen Osten. Möge die frische Brise der orientalischen Musik die hiesige Neue-Musik-Szene befruchten und andersherum. Denn bislang ist da noch zu wenig Kontakt, findet Komponist Amr Okba:

Die europäische und arabische Kultur sind wie Öltropfen in einem Glas Wasser. Sie treffen sich nicht.
Amr Okba, Komponist

Bei "Liqa’at" haben sie sich getroffen, und diese Begegnung war weit mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Sendung: "Musik der Welt" am 4. Januar 2025 ab 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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