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Neuer Konzertsaal für New York Endlich bessere Akustik in der Geffen Hall?

Als "Fluch" bezeichneten die New Yorker die miserable Akustik der Philharmonie im Lincoln Center. Nun wurde der Konzertsaal komplett neu gestaltet. Dabei haben Akustiker tief in die Trickkiste gegriffen.

Die Geffen Hall im Lincoln Center New York | Bildquelle: picture alliance / NDZ/STAR MAX/IPx

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Als die New Yorker Philharmoniker 1962 ihre neue Spielstätte im Lincoln Center eröffneten, kamen die geladenen Gäste im bodenlangen Kleid und Frack zur Beethoven-Sinfonie. Nach dem ersten großen Umbau 1976 stand Brahms auf dem Programm – Dresscode: nur noch Smoking und dezentes Abendkleid. 46 Jahre später verzichteten die Veranstalter ganz auf Kleidervorgaben. Und so waren bei der großen Wiedereröffnung am Samstag Turnschuhe und Kapuzenpullis zu sehen. Was auch durchaus zur Musik passte.

Eröffnungskonzert als Multimedia-Event

New York Philharmonic, Etienne Charles und das Creole Soul Ensemble spielen zur Eröffnung der David Geffen Hall. | Bildquelle: picture alliance / Pacific Press | Lev Radin Etienne Charles spielt mit seinem Sextett "Creole Soul" und den New York Philharmonics. | Bildquelle: picture alliance / Pacific Press | Lev Radin Statt ein klassisches Symphoniekonzert aufzuführen, hatte das Lincoln Center eigenes eine Komposition in Auftrag gegeben: Bei dem aus Trinidad stammenden Jazztrompeter Etienne Charles, der mit "San Juan Hill: A New York Story" seine erste Orchester-Komposition vorlegte. Gespielt nicht nur von den New Yorker Philharmonikern, die mit der – jetzt nach dem Hauptgeldgeber benannten – David Geffen Hall eine neue Heimat bekommen haben, sondern auch von Charles' Sextett "Creole Soul". Eine Mischung aus Jazz und Orchestermusik – inszeniert als Multimedia-Event: Auf eine Leinwand über der Bühne wurden Fotos, Filme und Interviewsequenzen projiziert.

Einwandererviertel musste der Hochkultur weichen

Erzählt wird die unrühmliche Entstehungsgeschichte des Lincoln Centers. Bevor hier ab Mai 1959 der Tempel der New Yorker Hochkultur aus dem Boden gestampft wurde, war die Gegend Heimat von Einwanderern aus Kuba, Puerto Rico und Schwarzen aus dem Süden. San Juan Hill war eines der lebendigsten Viertel Manhattans, bis es die Stadtverwaltung kurzerhand zum "Slum" erklärte, die 7.000 Familien umsiedelte und die Straßenblocks plattmachte. "Wir sollten immer bedenken: Wer lebte dort, wo wir jetzt sind? Damit solche schrecklichen Dinge nicht wieder passieren", gab Etienne Charles den Premierenbesuchern mit auf den Nachhauseweg. Das Konzept der "städtischen Erneuerung" ist für ihn nur ein Euphemismus, der in den ganzen USA benutzt wurde. "Das ist etwas, über das wir nachdenken sollten."

Offener Lobbybereich soll neues Publikum anziehen

Die Lobby der New Yorker Geffen Hall | Bildquelle: picture alliance / NDZ/STAR MAX/IPx Bildquelle: picture alliance / NDZ/STAR MAX/IPx Mit diesem musikalisch ungewöhnlichen Neustart wollen die New Yorker Philharmoniker auch ein neues Publikum ansprechen. Längst sind viele Konzerte nicht mehr ausverkauft. Der Durchschnittsbesucher ist 57 Jahre alt und meistens weiß. Und so soll auch die Architektur dafür sorgen, offener zu werden: "Die Lobby soll den ganzen Tag geöffnet sein", erklärt Gary McCluskie vom kanadischen Architekturbüro Diamond Schmitt, das den 550 Millionen Dollar teuren Umbau gestaltet hat. "Die Lobby ist ein öffentlicher Raum mit 15-Meter-Videoleinwand. Darauf werden die Aufführungen live übertragen. Die Leute können hierherkommen und sich über die Philharmoniker zu informieren, ohne in eine Aufführung zu gehen. Wir haben wir Hoffnung, dass wir ein neues Publikum ansprechen können mit diesem öffentlichem Raum hier drin."

Miserable Akustik im alten Saal des Lincoln Centers

Auch ein erneuter Versuch, die Philharmonie im Lincoln Center von ihrem "Fluch" zu befreien, wie die New Yorker es nennen: Dem legendär miserablen Klang, der sich auch nach dem Umbau 1976 kaum verbessert hat. Anders als damals hatten deshalb diesmal die Akustiker das letzte Wort: "Eines der Probleme war, dass es einfach zu viele Sitze für die Größe der Konzerthalle gab", sagt Paul Scarbrough von der Firma Akustiks. "Darunter hat die Resonanz oder der Nachhall im Saal gelitten und war nicht so groß, wie es für sinfonische Musik notwendig wäre."

Neue Konzerthalle für weniger Publikum

Ein Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Architekten und Akustikern: Die völlig entkernte und dann neu gestaltete Konzerthalle hat nur noch Platz für 2200 Besucher statt 2738. Auch sonst erinnert nichts mehr an den alten Saal: Die Bühne ist fast acht Meter nach vorne verlegt worden, um das Orchester näher ans Publikum zu bringen: "Darüber hinaus werden Besucher bemerken, dass es über der Bühne ein großes Vordach mit zehn verschiedenen Elementen gibt, mit denen man die Akustik des Raums fein abstimmen kann", so Scarbrough. Außerdem ist der ganze Saal mit honigfarbenem Buchenholz verkleidet – zum Teil ganz glatt, zum Teil sehr stark gegliedert. "Das ahmt die Mischung von ebenen und verzierten Oberflächen in historischen Sälen wie in Wien und Amsterdam nach."

Sound des neuen Saals soll klarer und unmittelbarer sein

Geffen Hall von außen | Bildquelle: picture alliance / NDZ/STAR MAX/IPx Die neue Geffen Hall im Lincoln Center wurde am 8. Oktober 2022 eröffnet. | Bildquelle: picture alliance / NDZ/STAR MAX/IPx Scarborogh hat in Connecticut eigens ein begehbares Modell der neuen Halle im Maßstab 1 zu 20 gebaut, um mit kleinen Schallquellen und Sonden-Mikrofonen zu simulieren, wie die Musik in verschiedenen Bereichen des Saals klingen wird. Der Akustiker ist sich sicher, dass der Sound der neuen Geffen Hall damit endlich klarer und unmittelbarer wird. Ob der Klang-Fluch damit aber tatsächlich gebannt ist, wird sich erst in den kommenden Wochen zeigen. Nach dem Eröffnungskonzert mit seiner Mischung aus verstärkter Jazzmusik einschließlich DJ und unverstärkter Orchestermusik ist das nur schwer zu beurteilen.

Sendung: "Leporello" am 11. Oktober 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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