Musikgenie und Patient: Ludwig van Beethoven wurde schon im jungen Alter schwerhörig. Welche Behandlungsmethoden gab es zu seiner Zeit? Und könnte man ihm heute besser helfen? Die Musikermedizinerin Claudia Spahn klärt auf.
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BR-KLASSIK: Claudia Spahn, Sie haben gemeinsam mit Ihrem Kollegen Bernhard Richter das Buch "Patient Beethoven" geschrieben. Welche Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten gab es denn zu Beethovens Zeit, also um das Jahr 1820? Und was wurde ihm konkret verordnet?
Claudia Spahn: In wenigen Sätzen lässt sich das schwer zusammenfassen. De facto ist es aber so, dass er damals von den besten Medizinern seiner Zeit behandelt wurde, zum damaligen Sachstand. Man wusste natürlich noch relativ wenig über Hörphysiologie. Auch zu anderen Beschwerden, etwa Bauchkoliken, konnte man die Ursache noch nicht analysieren. Zudem hatten die Behandlungsansätze starke Nebenwirkungen und waren teilweise grausam. Bei der galvanischen Behandlung etwa wurden Reizströme aufs Ohr gegeben. Einmal musste sich Beethoven Salben auf die Arme streichen lassen, worauf diese sich entzündeten, schrecklich! Das war aber zur damaligen Zeit eigentlich das Beste, was man hatte. Und das ist auch unsere Perspektive im Buch. In der Musik spricht man ja von "historisch informierter Aufführungspraxis". Wir wollen also gerne einen Blick der "historisch informierten ärztlichen Praxis" auf Beethoven werfen.
Beethoven wurde von den besten Medizinern seiner Zeit behandelt .
BR-KLASSIK: Wenn Beethoven heute in eine musikermedizinische Ambulanz kommen würde, zum Beispiel in Ihr Institut, was könnten Sie ihm diagnostisch und behandlungstechnisch anbieten?
Die Musikermedizinerin Claudia Spahn und ihr Kollege Bernhard Richter haben ein Buch über Beethovens Krankheiten geschrieben. | Bildquelle: Herder Verlag
Claudia Spahn: Aus meiner Fachrichtung der Psychosomatik kann ich zunächst sagen, dass wir Beethovens psychisches Leiden unter seinen Einschränkungen, die er in seinem berühmten Heiligenstädter Testament formuliert hat, heute nicht mehr als "lästiges Adjuvans" betrachten. Wir betreiben eine biopsychosoziale Medizin mit einem ganzheitlichen Blick auf den Menschen. Was das Hören betrifft, haben wir unglaubliche Fortschritte gemacht, zum Beispiel durch die Hörgeräte, die Cochlea-Implantat-Versorgung. Aber die Frage ist natürlich schon, was davon jetzt speziell im Falle Beethovens indiziert wäre. Wir befragen da auch Musikerinnen und Musiker, die unter ähnlichen Hörbeschwerden leiden, zu ihren Erfahrungen. Nicht alles lässt sich heute komplett behandeln.
BR-KLASSIK: Ist Gehörverlust unter Musikerinnen und Musikern eigentlich ein Tabuthema?
Claudia Spahn: Die Musikerinnen und Musiker, die zu uns in die Ambulanz kommen, fürchten teilweise schon, dass sie dann in der allgemeinen Wahrnehmung Nachteile haben. Ein bisschen klischeehaft wie zu Beethovens Zeiten: Was denkt jemand über mich als Musiker oder Musikerin, wenn man das mitkriegt? Aber es verändert sich sehr positiv. Wir haben gerade das sehr interessante Projekt "Miteinander hören" mit dem Freiburger Barockorchester und unserem Freiburger Institut für Musikermedizin. Wir arbeiten ja gesellschaftlich alle daran, dass wir Unterschiede akzeptieren und gut damit umgehen, wenn Menschen durch Erkrankungen benachteiligt sind.
Eine Haarprobe zeigt: Beethoven litt unter einer chronischen Bleivergiftung. Zahlreiche Beschwerden des Komponisten sind darauf zurückzuführen. Womöglich sogar seine Taubheit.
BR-KLASSIK: Wir alle haben ja immer mehr "um die Ohren", Stichwort Stress. Beobachten Sie, dass sich Stress auch durch Einschränkungen im Hören bemerkbar macht?
Die Musikermedizinerin Claudia Spahn beleuchtet im Buch "Patient Beethoven" die ärztlichen Behandlungsmethoden zu Beethovens Zeit. | Bildquelle: Britt Schilling
Claudia Spahn: Die psychosomatische Wechselwirkung von Stress auf unser gesamtes Nervensystem und unsere Stimmung ist ein ganz wichtiges Thema! Sind wir bei der "Dauerinformationsüberlastung" auf allen Wahrnehmungskanälen noch in der Lage, wirklich zu kommunizieren und unsere Wahrnehmung aktiv einzuschalten? Gerade in diesem Bereich bietet aktives Musizieren natürlich eine ungeheure Ausbildung – nicht nur im Hören, sondern für alle Wahrnehmungskanäle.
BR-KLASSIK: Wenn man jetzt kein Instrument beherrscht: Was würden Sie Menschen empfehlen, um eben nicht durch Stress einen Gehörverlust hinnehmen zu müssen?
Claudia Spahn: Das Wichtige ist das aktive Hinhören. Wenn man zum Beispiel ins Konzert geht, dass man sagt: Jetzt begebe ich mich in eine Situation, in der ich alles andere von mir abfallen lasse und vielleicht auch ganz kurz mal überprüfe, wie sitze ich jetzt eigentlich auf dem Stuhl? Habe ich jetzt meine Gedanken noch ganz woanders? Gelingt es mir, mich auf diese Darbietung einzulassen? Das sind ganz kostbare Momente, die auch für Resilienz und Erholung sehr wichtig sein können.
Aktives Hinhören ist wichtig für Resilienz und Erholung.
BR-KLASSIK: Ist denn der Gehörverlust von Beethoven auch stressbedingt gewesen?
Claudia Spahn: Klar ist: Es gab ab einem Alter von Mitte 20 erste Anzeichen, dass sein Gehör schlechter wird. Es ist aber keine Lärmschwerhörigkeit gewesen, was es ja sonst oft im professionellen Musikerberuf gibt. Wir wissen nicht genau, was der Grund für sein Hörleiden war. Stressbedingten Hörverlust als Diagnose können wir bei Beethoven aber so gut wie ausschließen.
Sendung: "Leporello" am 18. März 2025 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Dienstag, 18.März, 18:00 Uhr
Barboncino
Taubheit
Habe ich die Antwort auf die in der Überschrift gestellte Frage überlesen?