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Portrait der Komponistin und Aktivistin Pauline Oliveros Die mit den Tornados spielte

Sie war eine Pionierin der elektronischen Musik, kämpfte gegen Sexismus und prägte den Begriff des "Deep Listening": die US-amerikanische Komponistin, Akkordeonistin und Musikpädagogin Pauline Oliveros. Am Montag wäre die 2016 verstorbene Musikerin 90 Jahre alt geworden.

Pauline Oliveros | Bildquelle: imago images / Votos-Roland Owsnitzki

Bildquelle: imago images / Votos-Roland Owsnitzki

Ihr Schlüsselerlebnis hatte Pauline Oliveros mit 21. Beim Test ihres ersten Tonbandgeräts. Vom Zimmerfenster aus nimmt sie den Straßenlärm auf und merkt beim Abhören: Auf Band sind viele Geräusche, die ihr vorher nicht aufgefallen sind, die sie selbst gar nicht gehört hat. Ein Schock sei das gewesen, erzählte Oliveros noch in einem ihrer letzten Interviews – und der Beginn einer Obsession. In diesem Moment habe sie sich vorgenommen, in Zukunft alles hören zu wollen. ("Listen to everything all the time!") 2016, mehr als 60 Jahre später lacht Oliveros darüber, weil klar – ein total verstiegenes, ein unmögliches Projekt. Auch im Rückblick. Ernst meint sie es trotzdem: "That’s my trip!" – wieder Lachen.

Oliveros kämpft gegen Sexismus in der Musikszene

1953, als sie ihre Tonbanderleuchtung hat, weiß Pauline Oliveros bereits, was sie werden möchte: Komponistin. Ihr Instrument ist das Akkordeon. Nicht gerade typisch. Aber er passt zu ihr, dieser unhandliche Kasten, die Handwerkerorgel. Passt zu ihrem Huckleberry-Finn-Look, den kurzen Haaren und der burschikosen Erscheinung. Ihr Spitzname ist "Buster". Oliveros, die sich damals auch als lesbisch outet, ist gut aufgehoben im progressiven und experimentellen Klima, das in den Fünfzigern und Sechzigern an der amerikanischen Westküste herrscht und einige namhafte Avantgardisten hervorbringt. Auch Terry Riley oder Steve Reich, mit denen sie 1961 das San Francisco Tape Music Center gründet, bald eine Institution der Experimentalmusikszene.

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Pauline Oliveros - Bye Bye Butterfly (1965) | Bildquelle: kv 0789 (via YouTube)

Pauline Oliveros - Bye Bye Butterfly (1965)

Dass die Namen der zwei Kollegen heute bekannter sind als ihrer, mag auch mit dem Sexismus innerhalb der Musikszene zu tun haben. Oliveros hat ihn jedenfalls selbst erlebt – und öffentlich angeprangert. Am prominentesten 1970 in der New York Times, in einem Artikel mit dem Titel "And Don’t Call Them 'Lady' Composers". Warum es keine "großen" Komponistinnen gegeben habe, fragt Oliveros darin. Die Antwort liegt auf der Hand. Wie gesagt. Interessant ist auch ihre Ablehnung als weibliche Komponistin markiert zu werden. Als wäre das eine eigene Kategorie neben den "normalen" (ergo männlichen) Komponisten.

Vergangenheit? Naja. Sogar Alex Ross schafft es in seiner ziemlich tollen Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts ("The Rest Is Noise") zwar ausführlich von Riley und Reich zu erzählen. Oliveros Name fällt indes nur nebenbei. Unter anderem in einer Aufzählung – mit Unsuk Chin und Sofia Gubaidulina. Gehören offensichtlich zusammen. Weil: Frauen. Aha. Indes bemerkte Oliveros' Kollege, der Experimentalmusiker Alvin Lucier, anlässlich einer ihr gewidmeten Retrospektive im Rahmen der dokumenta 14 (2017), ihre Werke hätten die so "hartnäckigen Geschlechtervorurteile" über Komponistinnen und Komponisten "kontinuierlich" widerlegt.

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Sisters with Transistors, Pionierinnen der elektronischen Musik | Doku HD | ARTE | Bildquelle: Irgendwas mit ARTE und Kultur (via YouTube)

Sisters with Transistors, Pionierinnen der elektronischen Musik | Doku HD | ARTE

Pauline Oliveros: Pionierin in mehrfacher Hinsicht

Als Pionierin macht sich Oliveros gleich in mehrerlei Hinsicht verdient. Da sind zum Beispiel ihre frühen Tonbandarbeiten ("Time perspectives"), die einen leicht verrauschten akustischen White Space entwerfen: Ein raschelndes, bounzendes, abstraktes Hörtheater. Vor allem aber ist Oliveros eine Composer-Performerin, eine der ersten, die Live-Elektronik auf der Bühne einsetzt, ihr Akkordeon verkabelt, bis es heulen kann wie ein Rudel verzweifelter Antennen ("Bye Bye Butterfly"). Er habe vorher nie etwas so Lautes erlebt, erinnert sich der Komponist Charles Amirkhanian in der Dokumentation "Sisters with Transistors" an ihre Auftritte. Oliveros verschafft sich Gehör. Übrigens ohne Skript. Ihr Ding ist die Improvisation.

Listen to everything all the time
Pauline Oliveros über ihre Idee des Deep Listening

Gleichzeitig entwickelt sie ein Programm, das weniger kompositorische Praxis als Haltung zur Welt ist; das die Grenzen zwischen Performerinnen und Zuhörenden verwischt und aus ihren Konzerten eher Meditationen macht. Deep Listening wird sie diese Praxis später nennen. Sie führt zurück bis zu ihrer Tonbanderleuchtung in den Fünfzigern. Und verlangt nichts weniger als ungeteilte Aufmerksamkeit für jede Art Sound – gleich ob Geräusch oder Ton, Musik oder Environment. Ganz neu ist diese Idee radikaler auditiver Offenheit natürlich nicht. John Cages berühmte 4'33'' aus dem Jahr 1952 weisen in dieselbe Richtung. Bei Oliveros wird aber eine regelrechte Lebensphilosophie daraus: sich mit der Welt versöhnen, die Dinge so nehmen wie sie sind.

Deep Listening: eine Musik- und Lebensphilosophie

Erst seit Pauline Oliveros und ihrem Konzept des Deep Listening, wisse er, was Harmonie eigentlich sei, soll John Cage mal gesagt haben. Man muss nicht spirituell veranlagt sein, um zu verstehen, was das musikalisch meint. Vor allem für eine improvisierende Musikerin. 2012, im Rahmen der Verleihung des Giga-Hertz-Preises durch das ZKM in Karlsruhe, erzählte sie davon wie während eines ihrer Konzerte einmal Tornados gewütet hätten. Und Oliveros? "Ich habe mit ihnen gespielt, mit dem Regen, der gegen das Fenster klatschte, dem Donner und den Blitzen. Und am nächsten Tag stand in einer Zeitungsbesprechung wie gut das alles zusammengepasst habe: Der Regen, der Sturm und die Musik." Sie habe einfach zugehört, so Oliveros, und dadurch wurde alles Teil ihres Stückes. Inklusiver kann Musik kaum sein.

Sendung: "Allegro" am 30. Mai 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Montag, 30.Mai, 22:46 Uhr

Knut

Danke für den Beitrag, aber…

Der Vergleich mit Reich und Riley hinkt. Beide sind nicht bekannter, weil sie Männer sind, sondern weil sie sich stilistisch anders entwickelt haben. Oliveros wäre eher zu vergleichen mit Tenney, Mumma, Lucier etc. Da ist der Bekanntheits-Unterschied dann aber überschaubar (bzw nicht vorhanden) und keine Schlagzeile wert…

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