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Bayreuther Festspiele 2022 Der Sänger Markus Eiche im Porträt

Er heißt wie ein deutscher Baum und wuchs auf in St. Georgen im Schwarzwald, wo ihn sein erster Gesangslehrer ermahnte: "Sing nicht wie ein Holzhacker, auch wenn Du aus dem Schwarzwald kommst". Das hat sich der Bariton zu Herzen genommen und beeindruckt längst weltweit mit seinen klugen Interpretationen. Diesen Sommer auch wieder in Bayreuth.

Der Sänger Markus Eiche | Bildquelle: Fumiaki Fujimoto

Bildquelle: Fumiaki Fujimoto

Markus Eiche hatte zunächst einen ganz anderen Beruf im Visier: Elektroingenieur. Zum Glück aber entschied er sich für den Gesang. Seine Rollen wählt der 52-Jährige sehr bewusst und singt dabei ein breites Repertoire von Bach bis zu Musik der Gegenwart. Im Oratorium ist er ebenso zu erleben wie bei der Münchner Biennale, er gibt Liederabende und empfindet den Liedgesang als selbstverordnete "stimmliche Pflegeeinheit", die ihm "Kraft, Energie und Antrieb" gibt, wie er einmal in einem Interview sagte.

Besonnen geht der Sänger mit seiner wohltönenden Stimme um und hält sich damit zurück, zu weit ins dramatische Fach vorzudringen. Statt Wagners Wotan etwa singt er lieber weiter dessen Wolfram von Eschenbach oder Mozart-Charaktere wie Graf Almaviva aus "Le Nozze di Figaro", mit dem er 1997 in Prag debütierte. "Es gibt bestimmte Partien, die eher dem lyrischen Fach zugeordnet sind, die ich einfach noch nicht ablegen möchte", erklärt er.

Eindringliche Charakterstudien

Am Nationaltheater Mannheim erarbeitet er sich 2001 bis 2007 wichtige Rollen seines Opernrepertoires, Mozarts "Don Giovanni" ebenso wie Wolfram oder Alban Bergs "Wozzeck". Danach wird er bis 2010 festes Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper und überzeugt in München an der Bayrischen Staatsoper 2012 bis 2018 mit seiner großen Wandlungsfähigkeit und eindringlichen Charakterstudien, etwa der Kurwenal und Beckmesser von Wagner. Und bei den Bayreuther Festspielen gibt er 2007 seinen Einstand als Fritz Kothner aus Wagners "Meistersingern", ein erster großer Höhepunkt seiner Laufbahn.

Zweifel ist ein wesentlicher Bestandteil von Entwicklung.
Markus Eiche

Stets hinterfragt Markus Eiche dabei kritisch seine Rollen und sein Singen, achtet darauf, dass sich keine selbstgefällige Routine oder stimmlichen Manierismen einstellen. Zweifel sei ein wesentlicher Bestandteil von Entwicklung, meinte er einmal.

Wichtig ist ihm während seiner gesamten Karriere immer die fließende Kultur des Legato geblieben, also die über den Atemfluss geführte Verbindung der aufeinanderfolgenden Silben. "Im Laufe der Zeit habe ich immer mehr verstanden, was das Legato für mein Singen eigentlich bedeutet und habe in dieser Idee vielleicht endlich meine musikalische Heimat gefunden", resümiert der weltweit gastierende Sänger.

Mann mit zwei Leidenschaften

Begonnen hat für ihn alles im Schwarzwald. Markus Eiche wird am 24. Juni 1969 in St. Georgen nordöstlich von Freiburg geboren, und der Wald ist in seiner Kindheit auch sein "Spielplatz". Zum ersten Mal gesungen hat er im Schulchor. Ein engagierter Musiklehrer erarbeitet mit den Schülern ganze Opernproduktionen, von Schubert "Der häusliche Krieg" oder "Der Spiegelritter", und betraut ihn immer wieder mit solistischen Aufgaben. Aus dieser Zeit stammt auch der originell-pragmatische Rat: "Sing nicht wie ein Holzhacker" – die Ermutigung zu gebundenem Gesang.

Doch neben dem Singen zieht es den Schüler immer wieder zur Technik. Nach dem Abitur beginnt er in Karlsruhe Elektrotechnik zu studieren, parallel widmet er sich in einem Zweitstudium in Karlsruhe und Stuttgart außerdem dem Gesang. Die zwei Leidenschaften zahlen sich aus. Heute kann der diplomierte Elektroingenieur sein physikalisches Know How gut einbringen in sein Singen und seinen Gesangsunterricht. Als Gesangsprofessor in Freiburg greift er immer wieder zu physikalischen Bildern, um seinen Studentinnen und Studenten Gesangsprozesse zu verdeutlichen, die im Körper ablaufen. Denn die physikalischen Prinzipien von Wellenausbreitung und Resonanz helfen beim Singen – Gesang als Stimmlippenstrom und vielleicht auch manchmal mit der Kraft einer Turbine.

Ich programmiere gerne, das aktiviert meine zweite Gehirnhälfte und schont die Stimme.
Markus Eiche

Und er hat beim Unterrichten "viel Spaß". Er lerne unglaublich viel von den Studenten für sein eigenes Singen, erzählt Eiche. "Es ist tatsächlich ein Geben und Nehmen."

Wenn Markus Eiche nicht auf der Opernbühne steht, Lieder- und Konzertabende gibt oder unterrichtet, dann erholt er sich bei seiner Frau und den drei Kindern. Oder am Computer. Die Elektrotechnik ist nun sein Hobby: Er programmiere gerne, das aktiviere seine zweite Gehirnhälfte und schone die Stimme, so der Sänger.

Wille zum Ausdruck: Wagners Traumrolle Wolfram von Eschenbach

Markus Eiche (Wolfram), Elisabet Strid (Elisabeth) in einer Szene der Wagner-Oper "Tannhäuser" unter der Regie von Intendant Kosminski an der Rheinoper in Düsseldorf (undatieres Foto). Die drastische Darstellung von Nazi-Morden und Tod in Gaskammern hat bei der Premiere am 04.05.2013 Empörung ausgelöst.  | Bildquelle: picture alliance / dpa | Hans Joerg Michel Markus Eiche als Wolfram in einer Szene der Wagner-Oper "Tannhäuser" an der Rheinoper in Düsseldorf 2013 | Bildquelle: picture alliance / dpa | Hans Joerg Michel Im Laufe seiner Karriere ist Markus Eiches wohlklingender Bariton voller und stabiler geworden. Und so, wie seine Stimme sich weiterentwickelt hat, sind auch bestimmte Partien mit ihr gewachsen. Eine Paraderolle ist die des Wolfram von Eschenbach in Wagners großer romantischer Oper "Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg". Den noblen Thüringer Minnesänger, zerrissen zwischen seiner Liebe zu Elisabeth und der Treue zum draufgängerischen Rebellen-Freund Tannhäuser, hat er schon in vielen Inszenierungen gesungen. Und jedes Mal anders.

Etwa in Katharina Wagners ironisch gebrochener Regie 2009 auf Gran Canaria im Teatro Pérez Galdós – strahlend und klangschön mit einer Flucht am Ende in gleißend-helles Licht, das durch eine aufgerissene Tür fällt. In Düsseldorf 2013 in der verstörend-drastischen, schon nach der Premiere abgesetzten Inszenierung von Burkhard Kosminski – voller Hinweise auf die Nazi-Verbrechen der Deutschen, an deren Schluss er sich die Augen ausreißen muss um nicht mit ansehen zu müssen, dass Elisabeth sich gegen ihn entscheidet.

Alle Farben im Walhall des Wagner-Gesangs

2014 gibt er in Bayreuth, dem Walhall der Wagner-Stimmen, sein Wolfram-Rollendebüt unter Regisseur Sebastian Baumgarten, und zeigt, wieviel zerstörerisches Potential in dem verzweifelt Liebenden steckt, der süchtig ist nach seiner Elisabeth. Denn für Markus Eiche hat Wolfram durchaus das Zeug zum triebgesteuerten Amokläufer. Und so ist diese Partie für ihn beileibe nicht nur lyrisch. Abgesehen vom großen Lied-Hit im dritten Akt, dem todestrunkenen "O, Du mein holder Abendstern", an dem sich jeder Wagner-Bariton messen lassen muss, nimmt dieser Akt für Wolfram dramatisch Fahrt auf, wird sängerisch immer fordernder und zupackender. Die Arie "Blick ich umher in diesem edlen Kreise" mit ihren stimmtechnischen Hürden gibt für den Bariton interpretatorisch denn auch mehr her.

Wolfram ist eine Traumrolle, man kann sängerisch alle Farben zeigen.
Markus Eiche

Inzwischen ist seine künstlerische Deutung dieser Partie noch intensiver und eindringlicher geworden. Dass er mit seiner zutiefst menschlichen Darstellung des Wolfram als leidenschaftliche und leidende Figur Musikkritik und Publikum überzeugt und berührt hat, liegt an der großen Ehrlichkeit, mit der sich Markus Eiche in die Figur hineinfühlt und sie förmlich miterlebt. "Wolfram ist eine Traumrolle – vielleicht für jeden lyrischen Bariton. Man kann sängerisch alle Farben zeigen, und es steckt eine unglaubliche Tiefe in seinem Charakter."

Ein Roadmovie mit Markus Eiche in Bayreuth 2022

Ein Glücksfall auf dem grünen Hügel ist 2019 dann die Neuinszenierung des "Tannhäuser" von Tobias Kratzer: ein frecher Geniestreich mit geschickter Verschränkung von Bühne, Live-Kamera und Videos. Ein augenzwinkerndes Road-Movie, das den ausgeklügelten Zusammenprall der schrägen Truppe um sexy Venus und Outsider Tannhäuser mit der steifen, überkorrekten Wartburg-Gesellschaft humorvoll zelebriert. Bei den Bayreuther Festspielen 2022 wird diese umjubelte Inszenierung nun wieder aufgenommen. Mit einem Wolfram, den Markus Eiche als verzweifelte, wütende Figur höchst menschlich auf die Bühne bringt – zerrissen zwischen Neigung und Pflichtgefühl, Eros und Anstand. Aber auch mit Wohlklang und Eleganz, der Beweglichkeit des Liedsängers und einer intelligenten Phrasierungs- und Legato-Kunst. Um dann im dritten Akt wieder kernig aufzutrumpfen und hörbar aufs Tempo zu drücken. Vermutlich wird er Axel Kober, der die musikalische Leitung hat, zu erhöhter Beweglichkeit animieren.

Außerdem ist der Sänger als Kurwenal zu hören in "Tristan und Isolde", Wagners autobiographisch gefärbtem Liebesdrama schlechthin, mit dem Dirigent Cornelius Meister sein Bayreuth-Debüt geben wird. Auch diese Rolle ist dem Bariton aus dem Schwarzwald bestens vertraut – in Wien, München und Tokio hat er den Tristan-Getreuen schon gesungen. Und nun also in Bayreuth. Wir dürfen gespannt sein!

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