Wagners Ring ist ein Klacks dagegen – ganze neun Tage dauert die Oper "regno della musica", die im Rahmen der Münchener Biennale für neues Musiktheater zur Uraufführung kommt. Das klingt nach einem Mammutprojekt. Allerdings findet die Aufführung nicht auf der großen Bühne statt, sondern in einer Privatwohnung. BR-KLASSIK-Reporter Tobias Stosiek hat "regno della musica" mehrmals besucht.
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Normalerweise genügt ein Anruf, manchmal sogar nur ein Klick, und schon ist sie gebucht – die Karte für Oper, Konzert oder Theater. Nicht so hier: die Einladung ins Königreich der Musik, ins regno della musica, erhält der Reporter erst nach einem sich über mehrere Tage hinziehenden Emailpingpong, inklusive einem gewissenhaft ausgefüllten Fragebogen. Offenbar will man wissen, mit wem man es zu tun hat. Und das mit gutem Grund: Denn Komponistin Saskia Bladt und Regisseurin Anna-Sofie Lugmeier inszenieren oder entwickeln ihre Oper erklärtermaßen im privaten Rahmen. Wobei Bladt gleich einschränkt: Weil Zuschauer anwesend seien, verwandele sich der Raum automatisch auch in eine Bühne. Sie spricht daher lieber von einem "künstlichen Privatraum".
"Regno della musica" bei der Münchener Biennale | Bildquelle: Münchner Biennale
Tatsächlich hat das Team um Saskia Bladt die Räumlichkeiten einer Galerie in der Maxvorstadt in einen Ort verwandelt, der es dem Besucher nicht leicht macht, zu verstehen, wo er da eigentlich hineingeraten ist. Auf eine Bühne, ein musikalisches Atelier, in dem probiert und experimentiert wird? Oder in eine Privatwohnung, in der weniger gespielt als vielmehr gelebt wird? Und wenn nicht gelebt, dann doch immerhin gegessen: eine Küche ist jedenfalls vorhanden. Und wird auch genutzt. Den geneigten Gast erwarten im Esszimmer zur Begrüßung: Brot und Birnenschnaps.
Doch auch der Hochprozentige macht nicht jene seltsame Szene im Nebenraum vergessen, die man soeben durchquert hat: Die Fensterfronten der Galerie sind vollständig verhängt. Anstatt auf die Straße blickt man auf leuchtende mediterrane Landschaften, die auf die Vorhänge gedruckt sind: ein Olivenhain hier, ein Piniengarten dort. Davor, auf dem Marmorboden verteilt, eine Hand voll Musiker. Der eine murmelt, die zweite geigt, der dritte singt und die vierte balanciert hochkonzentriert etwas, das aussieht wie ein Stapel schwarzverbrannter Baumrinde. Dazwischen drapiert: schwarze Tücher, verkohlte Artischocken, unbehaune Steinplatten, Inseln aus Kies. Kurz: eine ziemlich verrätselte Szenerie, propevoll mit archaischer Symbolik.
Zusammen mit der Regisseurin habe sie sich hier quasi eine eigene Welt eingerichtet, erzählt die Komponistin: "Und diese ganzen Klänge, die ich uns gegeben hab sind eigentlich nur dazu da, diese Welt zu erforschen. Ich habe das Gefühl, ich lebe gerade in meiner Komposition. Normalerweise, wenn ich komponiere und hinschreibe, tue ich das natürlich auch – aber jetzt esse ich darin auch. Und das ist ungewohnt!"
Ich habe das Gefühl, ich lebe gerade in meiner Komposition.
Neun Tage hat sich das Team aus Musikern und Tänzern gegeben, um jene klangliche und szenische Landschaft zu erkunden, die Bladt und Lugmeier entworfen haben. Neun Tage, an denen sie über Stunden zusammen sind: proben, essen, wieder proben und quasi konzertante Aufführungen einzelner Szenen wagen. Neun Tage, in denen auch das Publikum die Möglichkeit hat, diesen Prozess zu begleiten, sogar aktiv mitzugestalten. Nur wie das geschehen soll, das erschließet sich dem Reporter bei seinen Besuchen nicht ganz. Immerhin stößt man nur für wenige Stunden dazu, platzt mitten hinein in eine Probe oder eine Szene – so genau ist das oft gar nicht zu entscheiden. Zu erkennen, woran die Musiker gerade arbeiten, ist da kaum möglich.
Auf Nachfrage erfährt man, dass der 2013 verstorbene Komponist und Gründervater der Biennale Hans Werner Henze virtuell Pate steht für das Projekt: mit seiner Idee eines "Schutzraums", in dem sich Kunst allererst entfalten könne. Dieser Henzeraum wird sogar symbolisch heraufbeschworen: die Landschaftsmotive auf den Vorhängen, sind Ansichten aus dem Garten seiner italienischer Villa. Und das Harmoniesystem, das Bladt für ihre Kompositionen eigens entwickelt hat, basiert auf der astrologischen Konstellation zum Zeitpunkt seiner Geburt.
Nur: was in diesem hör- und sichtbaren Henzekosmos passiert, das ist, wie gesagt, ziemlich rätselhaft. Wahrscheinlich müsste man doch einen längeren Aufenthalt im regno della musica einplanen, um zu begreifen, wie sich die Dinge hier verhalten. Für den Reporter, der nur auf ein paar Kurztripps vorbeischaut, bleibt es indes eine fremde Welt.
Sendung: "Piazza" am 9. Juni 2018 ab 8:05 Uhr in BR-KLASSIK
Die Uraufführung von regno della musica dauert noch bis zum 12.6. Zum Besuch anmelden kann man sich unter regno@muenchenerbiennale.de
Münchener Biennale 2018:
Informationen zu Programm und Vorverkauf gibt es auf der Homepage des Festivals.