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Zum Tod des Putin-Kritikers Pawel Kuschnir Klassikstars schreiben offenen Brief

Der Pianist Pawel Kuschnir starb in einem russischen Gefängnis bei seinem Hungerstreik gegen den Krieg in der Ukraine. Jetzt erinnern zahlreiche Klassikstars an den Künstler – darunter Simon Rattle, Anne-Sophie Mutter oder Igor Levit.

Pianist Pawel Kuschnir war russischer Kriegsgegner. Ende Juli ist er in einem Untersuchungsgefängnis in Birobidschan gestorben. | Bildquelle: Pawel Kuschnir, 2015

Bildquelle: Pawel Kuschnir, 2015

Ende Mai wird Pawel Kuschnir vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB verhaftet und landet in einem Gefängnis im fernen Osten Russlands. Der Grund: In einem Youtube-Video trägt der Pianist ein blauweiß-gestreiftes Marine-Shirt und hängt sich dazu eine goldene Girlande um - Farben der ukrainischen Flagge. "Der Faschismus ist der Tod unserer Heimat", sagt der Russe in die Kamera. "Putin ist ein Faschist. Die Völker unseres Landes haben Millionen Leben ihrer Söhne geopfert, damit es bei uns nie Faschismus gibt. Weg mit dem Krieg in der Ukraine, weg mit dem faschistischen Putin-Regime." Es ist eines von vielen Videos auf seinem kleinen Kanal, in denen der Künstler in poetischer Form den russischen Angriffskrieg in der Ukraine anprangert. Der 39-jährige Pianist wird wegen Extremismus und Aufruf zu terroristischen Aktivitäten angeklagt.

Pianist Pawel Kuschnir in Isolationszelle verhungert

Im Untersuchungsgefängnis in Birobidschan tritt Pawel Kuschnir in den Hungerstreik gegen den Krieg in der Ukraine. Der russische Staatsbürger verweigert Nahrung und Wasser, nach fünf Tagen stirbt er erschöpft vor den Augen seiner Wärter. Sie melden seinen Tod am 27. Juli 2024. Die Nachricht sorgt weltweit für Aufsehen, denn niemand hat Alarm geschlagen, niemand außerhalb des Gefängnisses wusste vom Hungerstreik des Musikers. "Es war die Selbstaufopferung eines kompromisslosen Künstlers, der Zusammenprall von Barbarei und Kunst", sagt der russische Politiker und Menschenrechtsaktivist Lev Shlosberg. Eine Untersuchung des Falls werde es in Russland seiner Einschätzung nach nicht geben.

Sein Verbrechen bestand darin, einen Youtube-Kanal mit fünf Abonnenten betrieben zu haben, in dem er sich gegen den Krieg aussprach.
Aus dem offenen Brief zur Erinnerung an Pawel Kuschnir

Offener Brief von Simon Rattle, Anne-Sophie Mutter, Igor Levit

Sir Simon Rattle | Bildquelle: Astrid Ackermann/BR Chefdirigent des BRSO Sir Simon Rattle gehört zu den Unterzeichnern des offenen Briefs zur Erinnerung an Pawel Kuschnir. | Bildquelle: Astrid Ackermann/BR Zahlreiche prominente Musikerinnen und Musiker haben Anteil am Tod des russischen Musikers genommen. In einem offenen Brief, der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht wurde, erinnern sie an ihn. Zu den Unterzeichnenden gehören unter anderem die Dirigenten Daniel Barenboim und Simon Rattle, der Pianist Igor Levit, Pianistin Martha Argerich, die Geigerinnen Anne-Sophie Mutter und Julia Fischer, die Cellistin Sol Gabetta und ihr Musikkollege Mischa Maisky. In ihrem Nachruf betonen sie, Kuschnirs Schicksal sei ein Symbol für die staatliche Repression gegen Künstler und Kriegsgegner in Russland.

Mehr Aufmerksamkeit für politische Gefangene

Im offenen Brief würdigen die Musiker Pawel Kuschnir als "bemerkenswerten Künstler, Schriftsteller und Denker" und wollen auch auf die anderen "zahllosen unbekannten politischen Gefangenen in Russland wie überall in der Welt" hinweisen. Weiter heißt es in dem Nachruf auf Kuschnir: "Sein Verbrechen bestand darin, einen Youtube-Kanal mit fünf Abonnenten betrieben zu haben, in dem er sich gegen den Krieg aussprach". Staatliche Repression führe dazu, "dass die wunderbarsten und furchtlosesten Menschen ins Gefängnis geworfen werden, oft die besten Menschen einer kranken Nation". Initiator des Briefes ist Pianist Alexander Melnikov. 

Kriegsgegner in Russland Repressalien ausgesetzt

Laut der Bürgerrechtsorganisation OVD-Info laufen in Russland derzeit etwa 1.000 Verfahren gegen Kriegsgegner, wobei fast 300 Menschen in Untersuchungshaft oder Straflagern festgehalten werden. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International waren im vergangenen Jahr über 20.000 Menschen wegen ihrer Kritik am russischen Angriffskrieg Repressalien ausgesetzt.

Sendung: "Allegro" am 14. August 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (6)

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Freitag, 23.August, 18:13 Uhr

Christopher Miller

An Herrn Leser

Unwissenheit entbindet nicht von Verantwortung! Wir wissen nicht, wie viele andere Musiker, die gegen das Regime protestieren, im Gefängnis sitzen, sie haben kein Instagram, wo sie ihre Follower regelmäßig darüber informieren, in welche teuren Restaurants sie gehen, über ihre Erste-Klasse-Reisen von Land zu Land, wie eine von denen, die diesen lächerlichen Protest unterschrieben haben, die Geigerin Frau Mutter! Der Pianist ist verhungert, im Gefängnis, er hat zu Lebzeiten viele Menschen um Hilfe gebeten, er wurde einfach nicht erhört, wir haben es jetzt erfahren - aber jetzt ist es zu spät!

Freitag, 23.August, 16:50 Uhr

Christopher Miller

An Frau/Herr Letttrice

Der Missbrauch von Vertretern der kreativen Elite in russischen Gefängnissen ist seit Jahren bekannt; ein Protestbrief in diesem speziellen Fall ist unglaublich gering, das ist eine absolute Tatsache!! Ich freue mich, dass Trifonovs Spiel Sie beeindruckt – als Jazzpianist ist er ganz gut, auch wenn ihm die echte Leichtigkeit eines Jazzmusikers leider fehlt.

Donnerstag, 22.August, 09:32 Uhr

LESER

BEDENKEN-S-WERT ?!

Kann bzw. darf man dieses Statement eines Users der Kommentarfunktion hier auf BR-KLASSIK unkommentiert lassen:
ZITAT: 
"Die Damen und Herren Musiker kamen (...) etwas zu spät mit Protestbriefen: sie hätten früher protestieren sollen, als dieser Pianist noch lebte."
Ich denke NEIN
WARUM?
Die Möglichkeit, zu Lebzeiten des Pianisten zu protestieren oder gar zu intervenieren war nicht gegeben, denn:
ZITAT BR-KLASSIK s.o.:
"...niemand außerhalb des Gefängnisses wusste vom Hungerstreik des Musikers".
Nachrichten derlei Inhalts ins Ausland zu bringen weiß das mörderische "System Putin" zudem "effektiv" zu verhindern ...
Die geneigten Leser mögen sich nun selbst ihre Gedanken machen ...

Dienstag, 20.August, 20:39 Uhr

LETTRICE

Zu spät doch nicht sinnlos

Werter Herr Miller,

Ihrem Statement "ZU SPÄT" muss ich nun doch widersprechen, auch wenn ich Ihnen zustimme, dass der Protest der Promi-Musiker leider "zu spät" kam.

Aber wie hätte denn irgendjemand rechtzeitig protestieren oder gar intervenieren können:

ZITAT: "niemand außerhalb des Gefängnisses wusste vom Hungerstreik des Musikers."

Zudem ist es für Menschen in Russland unendlich schwer und mitunter durchaus lebensgefährlich, eine Nachricht solchen Inhalts wie in diesem Fall außer Landes zu bekommen und um Veröffentlichung, bei wem auch immer, zu bitten.

Nicht der öffentliche Brief westlicher Profi-Musiker ist mMn kritikabel - der wahre Skandal ist das menschenverachtende "System Putin" !!!

PS
Bei weitem nicht jedem vielbeschäftigten Top-Profi-Musiker ist die Sensibilität beim Musizieren abhanden gekommen - das Spiel eines Daniil Trifonov zB berührt mich zutiefst ...

Dienstag, 20.August, 00:44 Uhr

Christopher Miller

Zu spät

Es tut mir unglaublich leid für den talentierten Pianisten, der im Gefängnis starb, weil er sich gegen den Krieg ausgesprochen hatte. Die Damen und Herren Musiker kamen in ihrer gemütlichen Welt der Galakonzerte etwas zu spät mit Protestbriefen: sie hätten früher protestieren sollen, als dieser Pianist noch lebte. Kein Wunder – ein routiniertes Konzertleben mit einem Auftritt zum nächsten ohne Pause, trägt natürlicherweise dazu bei, dass die Sensibilität verloren geht. Und das bemerkt man in deren künstlerischer Arbeit schon seit Langem.

Sonntag, 18.August, 07:18 Uhr

Beate Schwärzler

Zum Tod von Pawel Kuschnir

Ein Stern, der kaum schon aufgegangen war, verblaßt.
Bald decken weitere Opfer seinen Namen zu.

Wohin soll das noch gehen ?
W e h r e t d e n A n f ä n g e n.

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