Am 20. Juli beginnen die Salzburger Festspiele 2023 – und haben sich die Hamlet-Diagnose "Die Zeit ist aus den Fugen" zum Motto erkoren. Verdis erste und seine letzte Shakespeare-Oper, also "Macbeth" und "Falstaff", geben einen Rahmen ab, dazwischen wird Mozarts "Figaro" neu erkundet und Martinůs "Griechische Passion" von 1961 als erschreckend zeitgemäß dargelegt. Jahrhundertkomponist György Ligeti und Festspiel-Gründungsvater Max Reinhardt werden gefeiert, und in der Ouverture spirituelle zunächst das "Lux aeterna" beschworen. Ein Ausblick.
Bildquelle: imago/imagebroker
"Éclairs sur l’Au-Delà": Mit diesen 1992 posthum uraufgeführten "Streiflichtern über das Jenseits", komponiert vom 83-jährigen Olivier Messiaen, beginnen am Donnerstag, 20. Juli, die Salzburger Festspiele 2023 in der Felsenreitschule mit einem Konzert vom SWR Symphonieorchester unter Ingo Metzmacher.
Oder, genauer gesagt, deren Ouvertüre spirituelle beginnt: Während dieser verlängerten Auftaktwoche, die hauptsächlich in der Kollegienkirche situiert ist, treten alte und neue Musik auf besondere Weise in Dialog, oft am selben Abend. Klangforum Wien und Freiburger BarockConsort, Huelgas Ensemble und Minguet Quartett, Jordi Savall, Peter Sellars und viele mehr treffen sich für Musik von Claudio Monteverdi, Heinrich Ignaz Franz Biber und Heinrich Schütz über Haydn, Mozart und Brahms bis hin zu Werken von John Cage, Giacinto Scelsi, Sofia Gubaidulina oder Wolfgang Rihm.
Ein ausführliches Dossier zu den Salzburger Festspielen 2023 mit allen Infos zu den Übertragungen von BR-KLASSIK im Radio und im Stream finden Sie hier.
In Salzburg wird heuer Ligetis 100. Geburtstag gefeiert. | Bildquelle: BR Thema ist dabei diesmal "Lux aeterna", das "ewige Licht" des Göttlichen und der Hoffnung – und György Ligetis aufregendes Chorstück gleichen Namens natürlich ein Fixstarter, zumal auch in Salzburg Ligetis 100. Geburtstag gefeiert wird. Natürlich nicht zuletzt mit dem Pianisten Pierre-Laurent Aimard, für den viele der späten Ligeti-Klavierwerke entstanden sind. Und der in Tamara Stefanovich, Isabelle Faust, Alexander Melnikov, Tabea Zimmermann, Les Siècles unter Francois-Xavier Roth sowie vielen anderen prominente Mitstreiter findet bei diesem Geburtstagsfest für den 2006 verstorbenen György Ligeti, einen der originellsten Komponisten des 20. Jahrhunderts.
Lux aeterna: Die Salzburger Festspiele sind selbst so etwas wie das ewige Licht der internationalen klassischen Festivalszene, immerhin war's hier auch in düstersten Coronazeiten nicht finster. Dennoch ist das Motto trist: "Die Zeit ist aus den Fugen", steht diesmal auf dem Banner, ein Zitat aus Shakespeares "Hamlet".
Salzburger Intendant Markus Hinterhäuser steht neuerdings auch in der Kritik. | Bildquelle: © Salzburger Festspiele / Neumayr / Leo Gleichsam passend dazu gibt’s seit der Pandemie auch verstärkt Kritik am Intendanten Markus Hinterhäuser. Die arbeitsrechtliche Klage eines Extrachorsängers ist weiterhin anhängig (und auf Herbst vertagt); Dirigentinnen und Regisseurinnen sind in diesem Sommer Mangelware. Und Teodor Currentzis, wegen seines Schweigens zu Putins Krieg gegen die Ukraine anderswo Persona non grata, darf in Salzburg auftreten, allerdings etwas abseits des grellsten Rampenlichts: Er dirigiert zweimal konzertant Purcells "Indian Queen" in der Felsenreitschule sowie Mozarts c-Moll-Messe in der Stiftskirche St. Peter – mit Chor und Orchester von "Utopia". Zuletzt gab’s sogar noch Zoff zwischen Hinterhäuser und dem früheren Jedermann-Darsteller Cornelius Obonya über das Verhältnis von Kunst und Politik und angemessene Reaktionen auf Koalitionen der ÖVP mit der FPÖ.
Aber wie das schon so ist mit Oper: Politik spielt bei fast allen eine erhebliche Rolle. Salzburgs szenische Musiktheaterpremieren gelten in diesem Sommer Mozarts "Le nozze di Figaro", weiter dem A und dem O von Giuseppe Verdis Shakespeare-Vertonungen, also "Macbeth" und "Falstaff", sowie Bohuslav Martinůs "Griechischer Passion". Dazu kommt die Wiederaufnahme der Pfingstproduktion, Glucks "Orfeo es Euridice" in der Regie von Christof Loy mit Cecilia Bartoli als mythischem Sänger. "Le nozze di Figaro" inszeniert Martin Kusej, der als Direktor des Wiener Burgtheaters 2024 von Stefan Bachmann abgelöst wird.
Einer der Jungen in Salzburg: Dirigent Raphael Pichon. | Bildquelle: Culturebox (via YouTube) Einer der aktuellen Harnoncourt-Nachfahren dirigiert beim "Figaro" nun erstmals die Wiener Philharmoniker: Raphael Pichon, berühmt geworden zusammen mit seinem Ensemble Pygmalion. Auf der Bühne zu erleben sind u.a. Sabine Devieilhe als Susanna und André Schuen als Graf. Die Wiener Philharmoniker arbeiten sogar mit einem weiteren Debütanten am Pult zusammen, der wie Pichon aus Frankreich kommt: Maxime Pascal hat 2014 den hauseigenen Dirigierwettbewerb gewonnen und konnte in den letzten Jahren in Salzburg vor allem mit Stücken des 20. Jahrhunderts reüssieren.
Martinůs "Griechische Passion“, 1959 fertiggestellt, aber nach einer abgesagten Premiere am Royal Opera House Covent Garden erst 1961 in Zürich in überarbeiteter Fassung uraufgeführt, ist gewiss die spannendste Oper im Programm: Darin treffen in einem griechischen Dorf Flüchtlingsschicksale und religiöse Überzeugung aufeinander: Regisseur Simon Stone siedelt die Story natürlich in der Gegenwart an. Die prominenteste Absage kam bislang von Franz Welser-Möst, der Verdis "Macbeth" mit Asmik Grigorian als Lady aus gesundheitlichen Gründen zurücklegen musste: Für ihn übernimmt Philippe Jordan, der der Wiener Staatsoper als deren Musikdirektor 2025 den Rücken kehren will.
Aus gesundheitlichen Gründen dirigiert Franz Welser-Möst heuer weniger als ursprünglich geplant. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Jordans Einspringen lag insofern nahe, als er das Stück 2021 an der Wiener Staatsoper herausgebracht hat, dort freilich mit Anna Netrebko – und das Staatsopernorchester ist ja bekanntlich weitgehend mit den Wiener Philharmonikern identisch. Deren Verhältnis zu Jordan hat sich seit der Ankündigung seines Rückzugs zumindest nicht verschlechtert. Der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski, in Salzburg zuletzt mit Richard Strauss’ „Elektra“ erfolgreich, inszeniert. Sein originell programmiertes Konzert mit den Wiener Philharmonikern, bei dem er Strauss’ "Also sprach Zarathustra" und "Metamorphosen" mit Ligetis "Atmosphères" und "Lontano" konfrontiert und damit zwei wesentliche Werke aus der Filmmusik zu Stanley Kubricks "2001 – Odyssee im Weltraum" im Großen Festspielhaus zusammenbringt, will Welser-Möst aber dirigieren.
Und für Verdis "Falstaff" spannt Intendant Hinterhäuser überraschend Ingo Metzmacher am Pult und Regisseur Christoph Marthaler zusammen – mit dem versierten Gerald Finley in der Titelpartie. Im Defilee der großen Namen im Konzertprogramm außerdem dabei: Riccardo Muti, Christian Thielemann, Daniel Barenboim, Kirill Petrenko mit den Berliner Philharmonikern, Jakub Hrůša, Andris Nelsons, Martha Argerich, Grigory Sokolov, Mitsuko Uchida, András Schiff, Daniil Trifonov, Igor Levit, Anne-Sophie Mutter, Isabelle Faust, Patricia Kopatchinskaja, Tabea Zimmermann, Christiane Karg, Michael Volle, Christian Gerhaher, Benjamin Bernheim, Belcea Quartet, Quatuor Ébène, West-Eastern Divan Orchestra, ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Gustav Mahler Jugendorchester, Boston Symphony Orchestra – und viele mehr.
Jedermann-Darsteller Michael Maertens und Valerie Pachmann: Sie spielt "Buhlschaft" und Tod. | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Franz Neumayr Im Schauspiel debütieren in Michael Sturmingers neuerlich adaptierter „Jedermann“-Regie Michael Maertens als Jedermann und Valerie Pachner in der neuen Doppelrolle von Buhlschaft und Tod. Außerdem hat Regisseur Ulrich Rasche die Titelrolle von Lessings „Nathan dem Weisen“ weiblich besetzt, nämlich mit Valery Tscheplanowa (statt Judith Engel); Karin Henkel bringt Michael Hanekes Film „Liebe (Amour)“ auf die Bühne – und mehr. Zudem wird des großen Regisseurs und Festspiel-Gründungsvaters Max Reinhardt gedacht, zum 150. Geburtstag und 80. Todestag: mit einem Symposium, einer Ausstellung, einem Fest – sowie der virtuellen Rekreation seiner legendären „Faust“-Stadt, die ihm Clemens Holzmeister als Bühnenbild für seine Goethe-Inszenierung in die Felsenreitschule gebaut hatte.
Opernkarten für weniger als 200 Euro gibt’s im Moment (Stand: 20. Juli) noch für einzelne Vorstellungen von "Falstaff" und "Griechischer Passion"; restlos ausverkauft sind "Macbeth" und "Orfeo". Schon ab 10 Euro aber kann man bei manchen Konzerten mit dabei sein. So wie auch bei der genau genommen allerersten Festspielveranstaltung am Nachmittag des Eröffnungstages, der Uraufführung von Mischa Tangians "Ping Pong", einem Musiktheater für Kinder und Jugendliche, eine von drei Produktionen der Reihe "Jung und JedeR".
Zusammen mit dem enormen Fest zur Festspieleröffnung mit mehr als 70 Gratis-Veranstaltungen am ersten Wochenende (das Gros der Zählkarten ist längst vergeben), den Open-Air-Übertragungen am Kapitelplatz sowie TV- und Radioübertragungen sollte dafür gesorgt sein, dass es wirklich auch Salzburger Festspiele werden für alle: also Jederfrau und – Jedermann.
Hier finden Sie den Überblick übers Programm auf den Seiten der Salzburger Festspiele.
Sendung: "Allegro" am 20. Juli 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Montag, 24.Juli, 08:40 Uhr
Gufo
Jedermann
Was waren das noch Zeiten, als die " Unsterblichen " vor der Domkulisse den Jedermann spielten: Hörbiger, Jürgens,Brandauer, Lohner,Simonischek,Schell,Quadflieg,Ofczarek, um nur einige zu nennen.Was sie wohl zu den heutigen Inszenierungen sagen bzw. ob sie überhaupt das Rollenangebot annehmen würden ?
Freitag, 21.Juli, 15:16 Uhr
Dr.Auer Monika
Schönheit
Wird es irgendwann eine Aufführung ( egal,ob Jedermann,Konzerte,etc. geben,die annähernd dem ähnlich werden,was sich der ursprüngliche Meister gebracht werden.....das erleb ich nicht mehr....