Drei Stimmen klangen aus ihrer Kehle, eine klassische, eine poppige und eine jazzige: Sarah Vaughan. Am 27. März 2024 hätte die legendäre Sängerin ihren 100. Geburtstag gefeiert.
Bildquelle: picture alliance / Everett Collection | CSU Archives/Everett Collection
Samtig raunt sie die Worte ins Mikrophon: "And I love him". Die Melodie ist leicht verschliffen. Ein bisschen dauert es, bis das Lied vertraut klingt, denn ganz original ist der Text nicht. Eigentlich lautet er "And I love her" und er wird von einer hohen Männerstimme zur Gitarrenbegleitung und Perkussion gesungen. Hier ist es ein Jazztrio mit Klavier, Bass und Schlagzeug, das die Stimme umrahmt. Ganz sanft, mit angedeutetem Latinfeeling spielt die Band und ihre Stimme tritt aus dem Rahmen heraus, schwerelos scheint sie über den Harmonien zu schweben: "And I love him" singt sie und man glaubt es ihr – sofort. Am 3. November 1967 entstand diese Aufnahme in der Philharmonie in Berlin im Rahmen der Berliner Jazztage. Sarah Vaughan & Her Trio standen auf der Bühne und zauberten – mit Stimmungen, mit Schattierungen, mit lässiger Energie und mit überragender Virtuosität. Zu diesem Zeitpunkt war Sarah Vaughan schon ein internationaler Star und sie hatte Höhen und Tiefen erlebt.
Am 27. März 1924 kam sie als Sarah Lois Vaughan in Newark, New Jersey zur Welt. Die Stadt ist eine knappe Stunde entfernt von Manhattan und liegt im direkten Einzugsbereich von New York. Als Kind erhielt Sarah Klavierunterricht und sie sang im Kirchenchor, dem Ort, an dem so viele Karrieren von Jazzmusikerinnen und Musikern starteten. Darüber hinaus war Sarah früh fasziniert von den durchreisenden Bands, die in den Bars und Kneipen spielten. So soll sie sich, obwohl sie noch zu jung war, in die Nachtclubs geschlichen haben und teilweise sogar selbst Klavier gespielt haben.
Sarah Vaughan | Bildquelle: picture-alliance/dpa Die Musik entwickelte einen so großen Reiz, dass Sarah die Schule vorzeitig beendete (oder sogar rausgeworfen wurde), und sie sich als Teenagerin vollständig der Bühnenkarriere widmen konnte. Ein erster Schritt war für Vaughan der Talentwettbewerb im Apollo Theater in Harlem. Eigentlich wollte Sarah nur eine Freundin bei diesem Wettbewerb am Klavier begleiten, entschied sich dann aber doch dafür, auch selbst zu singen – und gewann. Sie erhielt zehn Dollar Preisgeld und durfte eine Woche lang im Vorprogramm von Ella Fitzgerald im Apollo Theater auftreten. Dort hörte Sänger Billy Eckstein die junge Sarah Vaughan und förderte sie. 1944 holte Eckstein sie auch in seine eigene Bigband, die wohl eine der größten Talentschmieden des Jazz war, dort traf Sarah Vaughan auf zukünftige Bebop-Pioniere: den Altsaxophonisten Charlie Parker, die Trompeter Dizzy Gillespie und Miles Davis sowie Tenorsaxophonist Dexter Gordon. Mit dieser Band machte Vaughan auch ihre ersten Plattenaufnahmen.
Sarah Vaughan und Frank Sinatra | Bildquelle: dpa/picture-alliance
Ab 1945 nahm Vaughan für unterschiedliche Plattenlabels auf, sie machte sich immer mehr einen Namen in der Szene und es wurde schnell klar, dass sich mit Sarah Vaughans Talent auch Geld verdienen ließ. Der Trompeter George Treadwell wurde Vaughans Manager und kümmerte sich um ihre Verträge und auch um ihr Auftreten und ihren Look; 1946 heirateten die beiden. Sarah Vaughan erlangte Aufmerksamkeit und in den späten 40er-Jahren wurde, durch die Presse, aber auch durch Aussagen von Sängerkollegin Billie Holiday, eine Rivalität zwischen Vaughan und Holiday heraufbeschworen, wer die beste Jazzsängerin sei.
In dieser Zeit wurde aus Sarah Vaughan auch "The Divine One", die Göttliche, ein Radio-DJ gab ihr diesen Spitznamen. Der andere Spitzname von Vauhan war "Sassy", die Freche, und beide beschrieben sie ziemlich gut. 1949 trat die Sängerin mit einem Philharmonie Orchester auf und 1951 folgte die erste Europa-Tournee. Bis Ende der 1950er-Jahre folgte Erfolg auf Erfolg, trotzdem ging die private und geschäftliche Beziehung zu George Threadwell in Brüche.
In den 60er-Jahren konnte die Sängerin an ihre Erfolge anknüpfen, es gab einige große Produktionen mit Bigbands und Orchestern, aber es gab auch Aufnahmen in kammermusikalischer Besetzung nur mit Gitarre und Kontrabass. Vaughan war auch viel auf Tournee in Europa mit unterschiedlichen Trios, bei denen die Sängerin ihre herausragenden stimmliche Qualitäten zeigte. Einige großartige Live-Aufnahmen entstanden hier, etwa "Sassy Swings at Tivoli" aus Kopenhagen oder "Live at Berlin Philharmonie 1969"; letztere Aufnahme ist erst vor einiger Zeit erschienen. Hier kann man hören, wie flexibel und wandlungsfähig Vaughans Stimme war. Der Jazzjournalist und Produzent Leonard Feather sagte einmal über Sarah Vaughan:
"Kürzlich hörte ich eine klassische, eine Pop- und eine Jazzsängerin. Einen Sopran, einen Kontra-Alt und eine Koloratursängerin. Eine Sängerin mit der Spontaneität von Ella Fitzgerald, mit der Seele von Aretha Franklin, der Wärme von Peggy Lee und der makellosen Phrasierung von Carmen McRea. Sie waren alle in der derselben Show und sie alle waren Sarah Vaughan."
Diese Qualitäten als Alleskönnerin begleiteten Vaughan zeitlebens, sie selbst bezeichnete sich auch nicht als Jazzsängerin.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Sarah Vaughan - Live in Berlin 1969 (Complete Bootleg)
1983 wurde Sarah Vaughan mit dem Grammy in der Kategorie "Best Jazz Vocal Performance, Female" ausgezeichnet, und 1989 erhielt sie den Grammy für ihr Lebenswerk. Da hatte sich der Gesundheitszustand von Vaughan schon stark verschlechtert, am 3. April 1990 starb Sarah Vaugahn nur wenige Tage nach ihrem 64. Geburtstag an den Folgen einer Lungenkrebs-Erkrankung.
Rund 50 Studioalben und mehr als zehn Live-Alben hat Sarah Vaughan hinterlassen und darüber hinaus hat sie etliche Musikerinnen und Musiker beeinflusst. Eine ihrer großen aktuellen "Nachfolgerinnen" ist etwa Samara Joy, die 2019 den nach Sarah Vaughan benannten international renommierten Gesangswettbewerb gewinnen konnte und 2023 gleich zwei Grammys gewann, als Beste Neue Künstlerin und für das Beste Jazz-Gesangsalbum. Das Erbe der frechen Göttlichen lebt also weiter.
Sendungen: "Classic Sounds in Jazz" am 27. März 2024 ab 19:05 Uhr und "Jazztime" am 27. März 2024 ab 23:05 Uhr auf BR-KLASSIK, "Classic Sounds in Jazz" am 27. März 2024 ab 19:05 Uhr