Wo sind wir, wenn wir sterben? Gibt es ein Paradies, eine Unterwelt, eine Hölle oder einfach ein Nichts? Auch Startenor Rolando Villazón stellt sich diesen Fragen. Schließlich muss er als Orfeo hinunter in die Unterwelt.
Bildquelle: Teatro alla Scala
Das Jenseits liegt in diesem Fall in Bayreuth im Markgräflichen Opernhaus. Dort findet seit 2020 das Bayreuther "Baroque Opera Festival" statt. "L'Orfeo", die "Favola in Musica" von Claudio Monteverdi, ist die erste Oper der Musikgeschichte, weit vor Purcell und Händel. Der musikalische Erzählbogen aus dem Jahr 1607 lässt viel Spielraum bei der Interpretationen – für die Regie, aber auch bei der Musik. Die Geschichte von Orpheus und Eurydike bewegt immer noch, diese Love-Story aus der Antike, in der Er in die Unterwelt geht, um Sie zu retten. Dazu die großen Lebensfragen: Wie viel Vertrauen braucht die Liebe? Wie weit gehen wir für die Liebe? Und wo bleiben wir, wenn Liebe und Leben vorbei sind? Rolando Villazón singt die Titelpartie bei der Neuproduktion im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth. BR-KLASSIK hat ihn während der Proben, die gerade in Athen stattfinden, auch zu den großen Fragen interviewt.
BR-KLASSIK: Herr Villazón, Sie haben sich mit dem Stück von Monteverdi ja schon oft auseinandergesetzt. Es ist eine Geschichte über das Leben und den Tod und die Kraft der Musik. Und jetzt erklingt es in neuem Gewand. Warum?
Rolando Villazón: Ja, ich habe "L’Orfeo" gerade erst in Dresden und Santa Fe gesungen. Und es ist immer eine andere Oper. Diesmal haben wir, wie damals zu Monteverdis Zeiten, mit der Musik gespielt. Damals improvisierten die Musiker auch. Und es ist eine moderne Version. Es gibt beispielsweise elektronische Musik, wenn ich in die Unterwelt gehe. (Anmerkung der Redaktion: das Konzept und die Musikalische Leitung übernimmt Markellos Chryssicos, Panos Iliopoulos hat Arrangements und Zusatzmusik auch für Live-Elektronik komponiert.)
BR-KLASSIK: Es war damals, zu Zeiten Monteverdis, mehr Raum für Improvisation …
Rolando Villazón: Genau! Die Musiker wussten, was zu machen war. Das ist ein wenig wie beim Jazz. Man kann improvisieren und wir haben "L'Orfeo" auch modernisiert. Das Stück bietet Raum, Neues zu finden – es klingt mit jedem Ensemble anders. In der jetzigen Version ist das Finale zum Beispiel anders. Es ist immer wieder ein Abenteuer.
BR-KLASSIK: Die Geschichte ist auch deswegen interessant, weil uns der Mythos eine Version gibt, wie ein Leben nach dem Tod aussehen könnte. Oder wie man vielleicht sogar aus dem Tod zurückkommen könnte. Haben Sie selbst eigentlich Vorstellungen über das, was uns nach dem Tod erwartet? Oder kann man vielleicht sogar wirklich Kontakt aufnehmen mit dem Jenseits? Was ist Ihr persönlicher Glaube oder ihre Überzeugung? Wenn ich das fragen darf ...
Rolando Villazón: Wir sind hier und was zählt, ist das Hier und Jetzt und wie wir miteinander umgehen. Und nach dem Tod? Wenn es etwas gibt, dann ist es vielleicht eine Energie oder eine Seele, die sich quasi mit der Energie des gesamten Kosmos vereinigt. Ich denke nicht, dass es dafür ein Bewusstsein gibt ...
BR-KLASSIK: ... es sind nicht mehr wir als Personen?
Rolando Villazón: Ja! Die Individualität ist dann nicht mehr existent, die Grenzen sind verschwunden. Du bist sozusagen dort, wo "Alles" ist. Aber du weißt es nicht. Ich glaube nicht an ein Paradies, ich glaube nicht an eine Unterwelt.
BR-KLASSIK: Das Markgräfliche Operntheater in Bayreuth ist ja ein unglaubliches Haus. Vielleicht das schönste Opernhaus, das es gibt. Wie ist es, dort zu singen?
Rolando Villazón: Absolut eines der schönsten Theater, die ich kenne. Ich habe dort schon Monteverdi-Konzerte gesungen. Man kommt da rein und wenn man auf der Bühne steht – es ist einfach "Wow!" Es wird eine besondere und auch moderne Version von Monteverdis Stück, es hat fast was von Nietzsches Gedanken der ewigen Wiederkehr. Ich freue mich sehr darauf.
Am 16.9.2023 überträgt BR-KLASSIK die Aufführung aus Bayreuth.
Kommentare (5)
Montag, 18.September, 16:49 Uhr
Margit Hüttner
Orpheus in der Unterwelt/Bayreuth
Das Barockfestival zählt für mich zu einem Highlight zum Jahresende hin. Konnten wir einen Tag vorher in der Eremitage speisen und danach im Sonnentempel leichtfüssig Händel genießen, war die Schwere im markgräflichen Obernhaus mit L`Orpheo das Gegenteil. Die Einspielung am Ende mit digitalem Wust hat mir ziemliche Gänsehaut bereitet. Mir graute fürchterlich. UND das war auch das Ziel der Veranstaltung. Ein Blick in den Abgrund. Sehr gut gelungen. Das Liebes-Leid gesungen von Villazòn hat mich zu Tränen gerührt. Die Stimmung nach der Aufführung war natürlich völlig am Boden. Es hat lange gebraucht sich zu erholen. Mich hat die Aufführung sehr berührt. Erstaunt hat mich sehr, dass grauhaarige Damen neben uns das Stück ausgebuht haben.
Ich denke, sie hatten einen schlechten Platz.
Donnerstag, 14.September, 16:29 Uhr
Herbert Aichinger
Orfeo
@Beate Schwärzler
Nein, "L'Orfeo" in Bayreuth war nicht "elektronisch aufgepeppt". Auch Sie haben die Aufführung anscheinend nicht gesehen. Und warum sollte die Nutzung von Elektronik respektlos gegenüber Monteverdi sein? Wie bereits gesagt: Es war auch zu Monteverdis Zeiten üblich, Werke zu verändern und anzupassen. Die Partitur bildete lediglich eine "Diskussionsgrundlage", die den Künstlern viele Freiheiten einräumte. Monteverdis Partituren sind auch sehr sparsam mit Anweisungen. Man hat in Bayreuth also nur das gemacht, was im Barock gang und gäbe war. Und die Elektronik hat das Ganze nicht "aufgepeppt", sondern hatte eine sehr klare Funktion und war sehr dezent und organisch in die Musik und die Dramaturgie eingebunden. Ich empfand die Aufführung als erfrischend und hatte am Ende echte Gänsehaut. Die Inszenierung war in sich stimmig, und noch nie habe ich im "Orfeo" derart sensibel phrasierende Chöre erlebt. Von der großartigen Orchesterleistung ganz zu schweigen.
Mittwoch, 13.September, 20:01 Uhr
Herbert Aichinger
Orfeo in Bayreuth
@ Michael Koling
Ihr Kommentar wurde 43 Minuten vor dem Beginn der Vorstellung abgeschickt. Sie können sich demnach kein eigenes Urteil gebildet haben. Ich finde es auch gewagt, Herrn Villazon als "nicht barockaffin" zu bezeichnen. Ich habe die Aufführung übrigens selbst besucht und fand sie großartig. Zu Monteverdis Zeiten hat man nicht "notengetreu" musiziert, sondern vieles blieb den Ausführenden überlassen. Die Bayreuther Aufführung knüft ganz organisch an diese Tradition an.
Mittwoch, 13.September, 15:14 Uhr
Beate Schwärzler
"L' Orfeo" - elektronisch aufgepeppt
Ach nein.
Ich habe "L' Orfeo" von Claudio Monteverdi 3 mal live erleben dürfen.
2 mal in Hamburg. 1 mal in München.
In München mit Christian Gerhaher als Orfeo. (2015)
Und mit Monteverdis wunderbarer und nie veraltender Musik pur.
Dabei möchte ich es belassen.
Auch aus Respekt vor dem Komponisten. Vor Claudio Monteverdi.
Dienstag, 12.September, 18:47 Uhr
Michael Koling
"Orfeo" in Bayreuth
Das Festival Bayreuth Baroque hat sich in den wenigen Jahren seit seiner Gründung durch hervorragende und stilechte (konzertante wie szenische) Produktionen erworben. Und auch die szenische Produktion von "Flavio", mit dem das Festival in diesem Jahr eröffnet worden ist, ist gleichermaßen sehens- wie hörenswert.
Dass für den "Orfeo" ein wenig barockaffiner Publikumsliebling engagiert worden ist - traurig, aber soll eben so sein. Dass dieses Meisterwerk von Monteverdi in einem der schönsten Opernhäuser Europas, das für Werke der Barockzeit ideal geeignet ist, durch elektronische Musik verändert wird, passt nicht zu diesem Festival und nicht in das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth. Schade.