BR-KLASSIK

Inhalt

Chorleiter Stellario Fagone Amtsantritt beim Tölzer Knabenchor

Stellario Fagone war viele Jahre kommissarischer Chordirektor an der Bayerischen Staatsoper – bis diese ihm im März fristlos gekündigt hat. Lange musste sich Fagone jedoch nicht nach einer neuen Stelle umsehen. Jetzt tritt er sein Amt als neuer Leiter des Tölzer Knabenchors an.

Chorleiter Stellario Fagone | Bildquelle: © picture alliance / Pacific Press Agency

Bildquelle: © picture alliance / Pacific Press Agency

BR-KLASSIK: Sie haben dieses Jahr eine sehr schöne und verantwortungsvolle Stelle aufgegeben bzw. aufgeben müssen: als Leiter des Kinderchores der Bayerischen Staatsoper. Nun haben Sie sehr schnell eine neue verantwortungsvolle Stelle gefunden. Es hat Viele überrascht, dass es so schnell ging.

Stellario Fagone: Ja, mich auch. Aber es war eine schöne Überraschung. Ich war viele Jahre der stellvertretende Chordirektor und dann kommissarischer Chordirektor der Bayerischen Staatsoper. Den Kinderchor habe ich dabei nie verlassen. Ich hatte diese doppelte Aufgabe, weil ich die Arbeit mit Kindern so sehr liebe. Das ist, was wirklich Sinn macht. Da kann ich diese wunderschöne Leidenschaft zur Musik, zu Gesang und zum gemeinsamen Musizieren weitergeben, an junge Menschen, die ins Lebens gehen. Man kann ihnen sehr viel mitgeben, auch was das soziale Umfeld betrifft, wie man sich zum Beispiel in einer Gruppe verhält. Und das Schönste ist, dass alle zusammen für ein Ziel arbeiten und das mit Begeisterung machen. Und deswegen ist für mich diese Versetzung eine besondere Berufung. So kann ich diese schöne Kunst und die Liebe zur Musik weitergeben. Der Tölzer Knabenchor ist dafür der schönste Ort, den ich mir vorstellen konnte. Ich bin sehr dankbar dafür.

Kinder für Musik gewinnen

BR-KLASSIK: Ganz egal, wen man fragt, immer wieder hört man über Sie, dass Sie sehr gut mit Kindern umgehen können. Worauf muss der Leiter eines Kinderchors achten, was vielleicht bei einem Erwachsenenchor kein Thema ist?

Stellario Fagone: Es gibt große Unterschiede. Ein professioneller Chor braucht zum Beispiel kein Einsingen. Die Kinder müssen sich erst einmal einsingen und warm machen. Und dann natürlich der pädagogische Aspekt: Der ist sehr wichtig bei Kindern. Bei Erwachsenen ist die Motivation eine ganz andere. Die Kinder sollte man begeistern und sie für die Musik gewinnen. Bei Erwachsenenchören ist es in gewisser Weise eine Arbeit oder eine Pflicht. Das macht dann auch einen großen Unterschied in der Atmosphäre aus. Kinder sind eben Kinder. Sie haben ihre eigenen Probleme, mit denen muss man umgehen können. Das Wichtigste ist, dass jedes Kind sich als Individuum in einer Gruppe fühlt und auch als Individuum wahrgenommen wird.

BR-KLASSIK: Was die Tölzer betrifft, werden Sie mit dem Satz zitiert, Sie wollen die Identität des Chors bewahren und gleichzeitig moderne Ideen ergänzen. Das klingt nach einem Spagat. Wie schwierig ist der?

Stellario Fagone: Die Tölzer sind weltberühmt geworden, da ihr Klang so besonders ist. Und der muss unbedingt bewahrt werden. Aber die Zeiten ändern sich natürlich. Die Kinder sind heute auch ein bisschen anders. Wir wollen das Repertoire deshalb etwas erweitern. Der Schwerpunkt wird immer noch bei Alter Musik liegen, speziell bei Bach, wo die Tölzer unschlagbar sind. Wir sind jedoch auch offen für neue Konstellationen und neue Ideen. Dazu führen wir bereits einige Gespräche, aber wir verraten noch nichts.

Große Begeisterung in schwierigen Zeiten

BR-KLASSIK: Wie viele Mitglieder hat der Chor aktuell?

Stellario Fagone: Wir haben circa 200 Buben, die in fünf Chören eingeteilt sind, je nach Erfahrung sozusagen. Wenn wir ein Konzert haben, dann tritt der beste Chor auf, dessen Mitglieder schon den ganzen Weg durch die anderen Chöre gemacht haben. Durch Corona wurde es in den letzten zwei Jahren ein bisschen schwierig, aber immerhin haben wir um die 60 Kinder in diesem Chor. Diese Größe ist wichtig, weil es viele Verpflichtungen gibt. Und man kann nicht von einem Kind verlangen, dass es permanent unterwegs ist. Wir müssen da abwechseln. Und dann gibt es noch einen Kammerchor. Das ist sozusagen die Elite. Es sind zwischen 20 und 25 Kindern, die wirklich sehr große Erfahrung mitbringen.

BR-KLASSIK: Wie steht es denn überhaupt um die Zukunft der Kinderchöre? Ist es in den letzten Jahren schwieriger geworden, Nachwuchs zu finden?

Stellario Fagone: Nein, nach meinen Erfahrungen an der Bayerischen Staatsoper würde ich nicht sagen, dass es schwieriger geworden ist. Die Begeisterung für Musik ist immer noch groß. Ausgerechnet heute, wo die Kinder durch die Digitalisierung, Smartphone und Fernsehen viel einsamer sind, ist der Bedarf sehr hoch. Viele Eltern sind berufstätig und haben deswegen noch ein bisschen weniger Zeit als vor 50 Jahren. Vielleicht ist der Chor für die Kinder da ein Ort der Geborgenheit und eine Art zweites zu Hause. Ich bin da sehr optimistisch.

BR-KLASSIK: Wie und wo finden Sie neue Sänger?

Stellario Fagone: Die besten Knaben finden wir bei unseren Castings in Schulen. Wir gehen in die Schulen, und da hören wir die Kinder mit besonderer Begabung. Danach werden sie zu uns eingeladen, und meistens klappt es dann. Wir haben auch einen Tag der offenen Tür, wo jeder kommen und diese schöne Arbeit erleben kann.

Soziales Umfeld auch bei Stimmbruch bewahren

BR-KLASSIK: Wie geht man denn in einem Knabenchor mit Buben im Stimmbruch um? Werden die aufgefangen?

Stellario Fagone: Wir haben eine sogenannte Mutantengruppe für Jungmänner. Es ist psychologisch für die Kinder ein sehr schwieriger Moment, wenn sich der Körper, die Stimme und überhaupt alles sich verändert. Was einem davor Sicherheit oder Erfolgsmomente gegeben hat, ist plötzlich nicht mehr da. Für uns ist es sehr wichtig, den Kontakt mit den Kindern nicht zu verlieren. Natürlich haben wir sehr erfahrene Lehrer, die diesen Wandel begleiten. Das ist deshalb normalerweise kein Alarmfall, weil die Stimme sich langsam wieder stabilisiert. Das Ziel ist eben, dass dieses schöne, soziale Umfeld für die Kinder nicht verloren geht. Und dann sind diese Jungen ein Zugewinn für unseren Männerchor. Die jungen Männer sind dann extrem gut geschult, weil sie ganz genau wissen, wie sie sich in den Chorklang einfügen. Sie haben die ganzen musikalischen Feinheiten gelernt und deswegen sind sie ein großer Schatz für uns.

BR-KLASSIK: Sie waren 20 Jahre lang in verschiedenen Positionen an der Bayerischen Staatsoper. Ist das Kapitel für Sie abgeschlossen?

Stellario Fagone: Ich bin sehr, sehr dankbar. 20 Jahre an der Bayerischen Staatsoper, einem der besten Theater der Welt. Es ist ein Traum für alle Musiker. Ich bin dort musikalisch groß geworden, habe mit den besten Sängern und Dirigenten der Welt gearbeitet. Ich habe unglaublich viel mitgenommen, auch menschlich. Manchmal passiert es, dass eine Liebe oder eine Geschichte zu Ende geht. Das ist jetzt der Fall. Ich habe mich neu verliebt, in den Tölzer Knabenchor.

Sendung: "Allegro" am 1. Juni 2023 um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

    AV-Player