Seit 2019 wird im Südosten Georgiens an der Grenze zu Armenien und Aserbaidschan ein ungewöhnliches zehntägiges Festival für klassische Musik veranstaltet, initiiert von den Machern des schweizer Verbier-Festivals. Auf dem historischen Landgut Tsinandali treten große Namen auf wie David Garrett oder Jefim Bronfman. Der Hauptschwerpunkt liegt aber auf dem Pan Caucasian Youth Orchestra PCYO, in dem junge Musikerinnen und Musiker aus der Kaukasusregion Konzerterfahrungen sammeln können. Russland ist dieses Jahr nicht eingeladen.
Bildquelle: Tsinandali-Festival
Sechs Stunden Workshoparbeit, danach noch vier Stunden Üben, so sah der Alltag im August für 84 junge Musikerinnen und Musiker auf dem Landsitz Tsinandali aus. Vier Wochen mit 12 Coaches aus aller Welt, unter anderem Kirill Terentiev von der Rheinischen Philharmonie, Malin Nordlöf vom schwedischen Symphonie Orchester Malmö, Derrick Inouye, Assistant Conductor der New Yorker Metropolitan Opera und weitere Orchestermusiker aus Turin, aus Israel. Es hätte sich absolut gelohnt, meint Humay Hacizade, Bratschistin aus Aserbaidschan. Für die 20-Jährige ist es das erste Mal in einem Orchester und vor allem mit Gleichaltrigen aus der ganzen Region.
Ich kam her und es hat mich überzeugt, von hier ein Signal für Gemeinschaft und Frieden auszusenden.
Junge Musikerinnen und Musiker im Alter von 18 bis 26 Jahren dürfen sich jedes Jahr für die Workshops und das Pan-Caucasian Youth Orchestra (PCYO) bewerben. Acht Länder außer Russland sind derzeit dabei: Neben Georgien und Kasachstan auch Aserbaidschan, Armenien, Usbekistan, Ukraine, Türkei. In Zukunft sollen auch die Länder rund um das Schwarze Meer wie Bulgarien und Rumänien hinzukommen, plant der musikalische Leiter Gianandrea Noseda, eigentlich Musikdirektor der Oper Zürich: "Ich engagiere mich hier, weil ich davon träume, dass dieser Teil der Welt mit seinen unglaublich vielen Talenten und Potentialen, die nahezu unbekannt sind, einen Weg auf die Bühnen der Welt findet." Als Noseda das Angebot für die Leitungsfunktion angeboten bekam, wusste er gar nicht, wo Tsinandali überhaupt liegt. "Dann kam ich her und es hat mich überzeugt, von hier ein Signal für Gemeinschaft und Frieden auszusenden."
Martin Engström, Initiator des Tsinandali-Festivals, Gründer und Leiter des Verbier Festivals | Bildquelle: Fred Hatt Während die Konservatorien aus den ehemaligen Sowjetrepubliken nach russischer Tradition noch immer erstaunlich viele Talente hervorbringen, gibt es für diese wenig Chancen, sich auf dem westlichen Klassikmarkt zu etablieren, sagt Festivalinitiator Martin Engström. Wenn man sich die Karte anschaue von der Kaukasusregion, dann sehe man nur "problematische Länder", meint der Chef des Verbier-Festivals. Konflikte zwischen Armenien und Aserbaidschan, Krieg in der Ukrine, die von Russland besetzten Gebiete in Georgien. Einfach nur noch ein Sommer-Festival aufzuziehen, das hätte ihm nicht gereicht, so Engström. Man bräuchte auch eine Message.
Man bräuchte auch eine Message.
Und diese Message ist das grenzüberschreitende Orchester. Einigen sei der Sprung nach Europa bereits gelungen: Ein früherer Teilnehmer ist heute auf einer Vertretungsstelle bei den Wiener Philharmonikern.
Zum Festival-Auftakt 2023 steht ein Klassiker der Konzertbühnen auf dem Programm: Robert Schumanns A-Moll Klavierkonzert, am Klavier Jefim Bronfman, zum zweiten Mal in Tsinandali. Die Gründe für ihn zurückzukehren: Die Abgeschiedenheit, die Verbindung zum Verbier-Festival, die bekannten Musikmanager aus Europa und die zwei Konzertsäle mit einer aussergewöhnlichen Akustik von einem schweizer Büro und dem Lichtdesign des Münchners Ingo Maurer.
Nach fünf Jahren und den Einschränkungen der Corona-Pandemie unterstützt jetzt nicht nur das georgische Kulturministerium das Festival, sondern auch die Botschaften der Schweiz, Norwegen, Italien. Auch die Vorsitzende vom Kulturausschuss des Deutschen Bundestags, Katrin Budde, war beim Eröffnungskonzert dabei.
Wer nicht anwesend ist, aber in den Köpfen ständig präsent, ist die russische Musikszene. Einzige Ausnahme: die Cellistin Vera Nebylova, die in Deutschland studiert. Alle seien eigentlich freundlich zu ihr, sagt die junge Frau. Nur die Teilnehmer aus der Ukraine sprechen ungern mit ihr. Aber es gehe ja vor allem um die Musik in diesem sechs Wochen miteinander.
Dass im PCYO keine jungen Musikerinnen und Musiker aus Russland mitspielen dürfen sei in der aktuellen Situation verständlich, meint die junge Cellistin. Dass man dann aber Klassiker der russischen Musik spiele wie Tschaikowskis 4. Sinfonie? Oder Rachmaninov. Tsinandali ehrt den Komponisten zu seinem 150. Geburtstag mit einem beeindruckenden Werks-Marathon acht Stunden lang mit Interpreten wie dem auf europäischen Bühnen gefeierten 21-jährigen Russen Alexander Malofeev.
Immer mehr Klassikstars entdecken das abgeschiedene Landgut für sich. Nach Martha Argerich, David Garett, Michael Barenboim und der in Georgien geborenen Geigerin Lisa Batiashvili kündigen sich jetzt auch die Berliner Philharmoniker an: Im Mai 2024 tritt das Orchester dann in Tsinandali auf.
Das Festival findet vom 31. August bis zum 10. September statt. Mehr Infos gibt es auf der Homepage des Festivals.
Sendung: "Allegro" am 5. September 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)