Wenn auf einen Jazzmusiker der inflationär gebrauchte Ausspruch "Musik hält jung" zutrifft, dann auf Herbie Hancock. Der amerikanische Meisterpianist hat sich bis heute eine geradezu jugendlich frische Musizierfreude bewahrt, so dass man erstaunt ausrufen möchte: Was, schon der 80.Geburtstag? Beim Blick auf seine lange, erfolgreiche Karriere könnte man eher umgekehrt denken: Was, erst der 80. Geburtstag?
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"Takin' Off" - so heißt Herbie Hancocks Debut-Platte von 1962 und der Titel ist Programm: Die Musik hebt ab, mit coolen Grooves und einfachen, aber starken Melodien, darunter "Watermelon Man", das bis heute ein Hit geblieben ist.
Bildquelle: picture-alliance/dpa "Takin' Off" – das galt auch für Herbie Hancocks Karriere, als der Trompeter Miles Davis noch 1962 den damals 22-jährigen Pianisten in sein Quintett berief. Bis 1968 blieb Hancock in dieser grandiosen, stets neugierigen und risikofreudigen Band; ein Versuchslabor, in dem der Chefchemiker Miles Davis seinen jungen Laboranten Wayne Shorter, Herbie Hancock, Ron Carter und Tony Williams freien Lauf ließ, die Zutaten des Jazz – Groove, Melodie, Harmonie – neu zu mischen, bis an die Grenzen der Auflösung von Rhythmus und Tonalität. Eine Gemeinschaft von Jazz-Alchemisten ist da entstanden, die nicht nur einmal Gold erschaffen hat!
Wie schön, dass immerhin drei der fünf Musiker dieses legendären Miles Davis Quintetts der 60er Jahre noch leben: Der 86-jährige Saxophonist Wayne Shorter, der 82-jährige Bassist Ron Carter und der nun 80-jährige Herbie Hancock. Hancock und Shorter sind bis heute im intensiven musikalischen Austausch geblieben.
Geboren am 12. April 1940 in Chicago, gab Herbie Hancock bereits im zarten Alter von 11 Jahren sein Bühnendebut, nicht als Jazzpianist, sondern mit dem Klavierkonzert in D-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart, gemeinsam mit dem Chicago Symphony Orchestra. Knapp 70 Jahre später spielte Herbie Hancock erst vor wenigen Wochen, Anfang März, wieder mit einem klassischen Spitzen-Orchester, diesmal als Jazzpianist, mit den L.A. Philharmonic unter Gustavo Dudamel. Es hätte der Auftakt zu einer, einjährigen Geburtstags-Welttournee werden sollen, die erst einmal – wegen der Corona-Pandemie – auf Eis gelegt ist.
1968 erschien Herbie Hancocks großartige Platte "Speak like a Child" – der Titel könnte als Motto über der gesamten Musik des Pianisten stehen: "Wenn wir älter werden, verlieren wir manche Qualitäten aus der Kindheit", schrieb der Pianist damals in den Liner Notes: "Wir verlieren eine gewisse Reinheit und Spontaneität - wenn wir die uns zurückerobern können, geht es uns gut. Dann sind wir wieder kindlich, aber nicht kindisch."
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Herbie Hancock, Ron Carter, Tony Williams / Speak Like A Child (1989)
Einen kindlich-neugierigen Spieltrieb bewies Herbie Hancock auch, als er ab Ende der 60er Jahre den akustischen Flügel zunehmend gegen elektronische Tasteninstrumente tauschte. Schon vor seiner Musikerlaufbahn hatte Hancock Elektrotechnik studiert. Als dann die ersten Keyboards und Synthesizer auf den Markt kamen, war er sofort Feuer und Flamme.
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Vor allem mit seiner Fusion-und Jazzrock-Band "Head Hunters" wurde Herbie Hancock ab 1973 ein Star weit über das Jazzpublikum hinaus, mit zahlreichen Hits in den Popcharts. Der erste hieß "Chameleon" und beschreibt gut die erstaunliche Fähigkeit des Tastenmagiers, die musikalische Klangfarbe zu wechseln, ohne dass die musikalische Substanz verloren geht. Bis heute ist Herbie Hancock ein musikalisches Chamäleon geblieben: Er liebt das funkjazzige Spiel auf den Keyboards und Synthesizern genauso wie die hohe Kunst des feingeistigen Jazzklaviers.
Wer einmal bei einem Konzert erlebt hat, wie Hancock zunächst am akustischen Flügel mit komplexem Modern Jazz brilliert, um dann später mit einem umgehängten Keyboard die Bühne zu rocken – etwa mit seinem Sixties-Hit "Cantaloupe Island", der in den 90er Jahren in der Dancefloor-Szene eine millionenfache Renaissance erlebte – dann kann man einfach nur mittanzen und sich freuen an der kindlichen (nicht kindischen!) Spielfreude eines 80-Jährigen.
Herbie Hancock hat dem Jazzklavier seine ganz eigenen Farben geschenkt, die heute jeder junge Jazzpianist in seinem Improvisations-Farbkasten parat hat: Flirrende Harmonien, ungestüm rasende Läufe, geheimnisvoll zwischen Dur und Moll schillernde Akkorde. Aber nur das Original Hancock hat diese gewisse Lässigkeit, das scheinbar Mühe- und Absichtslose - vielleicht auch eine Frucht von bald 50 Jahren praktiziertem Buddhismus.
In seiner rund 60-jährigen Karriere hat Herbie Hancock viel, sehr viel erreicht: Für seine Platten gewann er 14 Grammys, einen Oscar für den Soundtrack zum grandiosen Kinofilm "Round Midnight". Hancock ist UNESCO Botschafter für interkulturellen Dialog und Schirmherr des "International Jazz Day", der seit 2011 an jedem 30. April gefeiert wird. Erst im vergangenen Jahr gab seine Heimatstadt Chicago dem renommierten "Thelonious Monk Institute of Jazz" einen neuen Namen. Es heißt nun "Herbie Hancock Institute of Jazz".
Hier kann der Meisterpianist hoffentlich noch viele Jahre als Jazzpädagoge sein Credo weitergeben: "Speak Like A Child!"
Sendung: "Piazza" am 11. April ab 9.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Jazztime am 13. April 2020
Speak like a child
Zum 80. Geburtstag des amerikanischen Jazzpianisten Herbie Hancock (1)
Aufnahmen aus den 1960er Jahren
Auswahl und Moderation: Henning Sieverts
Jazztime am 14. April 2020
The New Standard
Zum 80. Geburtstag des amerikanischen Jazzpianisten Herbie Hancock (2)
Akustische Klavieraufnahmen von den 1970er Jahren bis heute
Auswahl und Moderation: Henning Sieverts