Billie Holiday prägte mit ihrer gefühlvollen Stimme den Jazz und gilt als Ikone des afroamerikanischen Widerstands. Ihre Interpretationen klangen wie persönliche Bekenntnisse. Am 7. April vor 110 Jahren begann ihr tragisches Leben.
Bildquelle: Billie Holiday
"Mom und Dad waren noch Kinder, als sie heirateten. Er war achtzehn, sie war sechzehn, und ich war drei". Mit diesem klassisch gewordenen Einstieg beginnt Billie Holidays Autobiographie, und der Leser ahnt schon: In diesem Leben überwiegen die Blue Notes. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Mutter bei ihrer Geburt bereits 19 Jahre alt war. Der Titel der Autobiographie "Lady Sings The Blues" verleitet zur Annahme, Blues sei der Schwerpunkt in Billie Holidays Repertoire. Das stimmt aber nicht. Meist sang sie Standards, insbesondere "Torch Songs", also Balladen, die von den Schattenseiten der Liebe künden: Verlust, Trennung, unerfüllte Leidenschaft - was freilich auch Blues-Themen sind.
Billie Holiday | Bildquelle: picture alliance/United Archives | 91050/United_Archives/TopFoto
Ein Schlüsselwerk ist ihr eigener "Billie’s Blues" von 1936, den sie bis an ihr Lebensende in vielen Varianten gesungen hat. Dafür kombinierte sie Verszeilen, die sie seit ihrer Kindheit sang. Ob Torch Song oder Blues - Billie Holiday verkörperte sie mit der ergreifenden Authentizität einer vom Schicksal (und auch von Männern) geschlagenen Frau. Ihr Gesang spiegelte ihr Leben, das schon in der Kindheit aus einer Folge von Traumata bestand. 1936, als die Aufnahme entstand, war sie 21 und hatte schon Armut erlebt, eine Vergewaltigung mit elf erlitten, sich mit 13 für "Fünf Dollar pro Freier" prostituiert und Aufenthalte in Erziehungsheim und Gefängnis durchgemacht. Der Jazz bot Ausweg und Aufstieg, doch geriet sie in den 40er Jahren in die Abhängigkeit von Heroin.
Die 50er Jahre waren eine Zeit körperlichen und psychisches Verfalls. Eine Entziehungskur nach dem 2. Weltkrieg hatte nur den Erfolg, dass sie Schikanen von Seiten der nun aufmerksamen Behörden ausgesetzt war, die sie noch auf dem Sterbebett wegen Drogenbesitzes verhaften ließen. Als sie am 17. Juli 1959 in New York starb, war sie erst 44 Jahre alt.
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Billie Holiday - Billie's Blues
Bereits mit 15 fand Billie Holiday Arbeit als Sängerin und wurde 1933 von Plattenproduzent John Hammond entdeckt. Mitte der 30er Jahre ging ihr Stern auf, als sie mit dem Pianisten Teddy Wilson und dem Tenorsaxophonisten Lester Young eine ihrer besten Aufnahmen machte. Sie betrachtete Young als "Präsidenten" der Tenorsaxophonisten und nannte ihn daher "Prez", er sie "Lady Day" - beides heute noch gebräuchliche Koseformen der Genies. Ihr gemeinsamer Freund, der Trompeter Buck Clayton bestätigt: "Sie standen sich so nahe, dass viele glaubten, sie seien verliebt, doch das war niemals der Fall. 'Lady Day' und 'Prez' ergaben eine der großartigsten Kombinationen, die ich je gesehen habe, waren aber nie etwas Anderes als nur tolle Kumpels." Berührend ist ein Filmdokument, das 1957 entstand. Während Lester Youngs Solo in ihrem Blues "Fine And Mellow" hat die Kamera "Lady Days" Blick eingefangen. Er sagt mehr über ihre Beziehung, als Worte es vermögen.
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Billie HOLIDAY & Her All-Star Band " Fine And Mellow " (1957) !!!
Bereits bei ihrer ersten Platte 1933 musizierte die Afroamerikanerin an der Seite von Benny Goodman und anderen weißen Musikern. Live war das damals noch ein gewagtes Abenteuer. Als sie 1938 als Sängerin für die weiße Band von Artie Shaw verpflichtet wurde, kam ihr diese Vorreiterrolle teuer zu stehen, denn der allgegenwärtige Rassismus zwang sie, an Auftrittsorten Dienstboteneingänge und Lastenaufzüge zu benutzen, oder in anderen Hotels zu übernachten als die weißen Kollegen. Sie wagte es 1939 "Strange Fruit", einen für sie geschriebenen Song zu singen, in dem die blutigen Leichen der schwarzen Lynchopfer wie seltsame Früchte von den Bäumen hängen. Man macht sich heute kaum mehr ein Bild davon, wie mutig das war! Sie zeigte damit schwarzes Selbstbewusstsein und löste ganz nebenher den Jazz aus der Sphäre heiterer Unterhaltung. "Strange Fruit" wurde zum Urbild des Protestsongs. "Es wurde meine meistverkaufte Platte. Trotzdem macht es mich immer noch jedesmal traurig, wenn ich es singe. Es erinnert mich daran, wie mein Vater gestorben war." Der Gitarrist Clarence Holiday, ihr vermeintlicher Vater, war 1937 vor allem deshalb gestorben, weil sich die Krankenhäuser der Gegend weigerten, einen schwarzen Mitbürger zu behandeln.
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Billie Holiday - "Strange Fruit" Live 1959 [Reelin' In The Years Archives]
1946 konnte sie an der Seite ihres Idols Louis Armstrong an einem richtigen Hollywood-Film mitwirken: "New Orleans". Doch die Angelegenheit war weniger glamourös als erwartet: "Ich dachte, dass ich einfach Billie Holiday sein würde, die ein paar Lieder in einer Szene in einem Nachtclub singt, und damit hätte es sich. Ich hätte es besser wissen sollen. Nenn mir nur ein einziges schwarzes Mädchen, das Filme gedreht hat und nicht ein Dienstmädchen oder eine Nutte gespielt hat. Ich kenne keins. Es stellte sich heraus, dass ich auch etwas sang, aber immer noch in der Rolle des Dienstmädchens." Wie beeindruckend sie vor der Kamera war und welch gewaltiges, kaum genutztes filmisches Potential in ihr steckt! Diese, meist erst nach ihrer Glanzzeit entstanden, Filmdokumente reichen selten an ihre besten Platten heran.
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Duke Ellington & Billie Holiday – Symphony In Black 1935
"Ich hasse es, ein Lied so zu singen, wie es auf dem Papier steht. Ich muss eine Melodie so ändern, dass sie zu mir passt." Alle Vokalisten waren in der Swing-Ära mit der Tatsache konfrontiert, dass sie nicht ganz frei bestimmen konnten, was sie im Plattenstudio aufnahmen. Fats Waller zog musikalische Dutzendware so gnadenlos durch den Kakao, dass er komödiantische Glanznummern daraus machte. Billie Holiday war jedoch keine Komikerin. Banale Songs aus ihrem Mund wurden ergreifende Botschaften. "Ich glaube nicht, dass ich singe. Ich improvisiere mit meiner Stimme wie auf einem Instrument, wie Lester Young, Louis Armstrong oder sonst jemand, den ich bewundere". Mit ihnen teilte sie die Fähigkeit mit wenigen, gezielten Tönen stets die Essenz eines Songs zu treffen. Ohne zum Scatgesang Zuflucht zu nehmen, improvisierte sie instrumental, platzierte Worte rhythmisch genial, gab ihnen durch die ergreifende Ausdruckskraft ihrer Stimme Gehalt. Was sie sang, wurde zum Klassiker, seien es selbstverfasste Songs wie "God Bless The Child" und "Don't Explain", seien es Songs, denen sie für alle Zeiten einen Stempel aufdrückte, wie "Lover Man", oder Lieder, die eigens für sie geschrieben wurden. Selbst am Ende ihrer Karriere, als der Umfang ihrer Stimme auf wenige Töne beschränkt war und ihr rauer brüchiger Klang fast beängstigte, entstand große Kunst, ein Spiegel ihres tragischen Lebens.
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Billie Holiday & Count Basie - God Bless The Child +
Sendung: ARD Jazz. Spotlight am Montag, 07. April 2025, ab 22:03 Uhr auf BR-KLASSIK
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