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Die großen Stimmen des Jazz Diese 10 Sängerinnen und Sänger sollten Sie kennen

Sie gehen zu Herzen und möglicherweise nie mehr aus dem Sinn. Sie sind schön, eindringlich, unverwechselbar – und das in allen Sparten: große Gesangsstimmen. Hier zum Jahr der Stimme eine Auswahl: zehn Jazz-Stimmen, die Sie kennen sollten.

Sängerin Dee Dee Bridgewater in den 80er Jahren | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Camille Bertault: Poetin der tanzenden Töne

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Camille Bertault & David Helbock Duo - Para Hermeto

Musikalische Grenzen kennt sie nicht: die 1986 in Paris geborene Sängerin und Komponistin Camille Bertault. Berühmt wurde sie 2015 fast über Nacht mit einem Video ihrer Interpretation eines besonders vertrackten Jazzstücks: Sie hatte die Komposition "Giant Steps" von Saxophonist John Coltrane mit einem eigenen Text versehen und sang ihn zu den Noten von Coltranes exzessiv schwierigem Saxophonsolo. Auf ihren Alben (zum Beispiel "Pas de géant", 2018) interpretiert sie französische Chanson-Klassiker, lässt einen schnellen Satz von Johann Sebastian Bach atemberaubend präzise vorüberhuschen und setzt Themen von Maurice Ravel zu einer schillernden Stimmencollage zusammen. Im Duo mit dem österreichischen Pianisten David Helbock frönt sie auch auf dem Album "Playground" ihrer besonderen Lust am Dialog mit einem virtuos gespielten Klavier – etwa in einer Hommage an den brasilianischen Multiinstrumentalisten Hermeto Pascoal. Die Stimme als flatterndes Lebewesen, das Tänze in der Luft vollführt.

Dee Dee Bridgewater: Silbensalven und Sinnlichkeit

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NYO Jazz Performs Mongo Santamaría’s “Afro Blue” with Dee Dee Bridgewater | Carnegie Hall+

Als Musikerin, die singt, möchte die vielfach preisgekrönte, 1950 geborene Amerikanerin Dee Dee Bridgewater am liebsten bezeichnet werden. Ende der 1960er Jahre begann ihre Laufbahn, und schnell etablierte sie sich als Jazzinterpretin von Weltruf. Unter den Sängerinnen der Generation nach Billie Holiday und Ella Fitzgerald ragt sie heraus. Mitreißend ist ihre Bühnenpersönlichkeit. Mit ungeheurem Temperament und Witz, einem Timbre mit Biss und furiosem Scatgesang kommt sie zur Sache. Wilde Silbensalven und Bläserimitationen, aber auch ihr erzählerisches Einfühlungsvermögen beim Singen von Jazzballaden machen ihre Konzerte und Einspielungen zum Erlebnis und dank ihres breitgefächerten Repertoires, gespeist aus afroamerikanischer Musiktradition, Broadwaysongs und französischen Chansons, zum Quell fortwährender Entdeckungen.

Die All Stars

In unserer Auswahl von zehn großen Stimmen des Jazz haben wir uns bewusst auf die jüngere Geschichte konzentriert. Wir wollten nicht die Listen wiederholen, die sich dutzendfach bereits im Internet finden. Deshalb stellen wir hier Sänger:innen vor, die in den letzten fünfzig Jahren international aufhorchen ließen, also etwa seit 1975. Einige ganz große historische Stimmen tauchen daher in unserer Liste nicht auf, die wir aber dringend anzuhören empfehlen:

Blues-Naturgewalt Bessie Smith (1894-1937), den Schmirgelsound-Superstar Louis Armstrong (1901-1971), die strahlende Song-Interpretin und Stimmartistin Ella Fitzgerald (1917-1996), die tragische Swing-Melancholikerin Billie Holiday (1915-1959), die raffinierte Song- und Improvisationskünstlerin Sarah Vaughan (1924-1990), die dunkle Sonne der soulgetränkten Jazz-Songs Nina Simone (1933-2003) oder den beseelten Wort- und Stimmklang-Akrobaten Jon Hendricks (1921-2017).

Bei den jüngeren Stimmen haben wir uns für stilistische Vielfalt entschieden, gerade in der allerjüngsten Zeit einen leichten Akzent auf Europa gesetzt und uns manchmal mehr für einen Geheimtipp entschieden als für Stimmen, die weltweit ohnehin bereits viele Fans haben. Deshalb ist es kein Qualitätsurteil, dass in unserer Liste der sensationelle englische Vielstimmigkeits-Künstler Jacob Collier (geboren 1994 in London) nicht auftaucht. Er ist zwischen Pop und Jazz spartenübergreifend eine der allergrößten Begabungen unserer Zeit. Also auch ihn unbedingt anhören.

Elina Duni: Die Vielsprachige mit den feinen Botschaften          

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Elina Duni & Rob Luft feat. Fred Thomas & Matthieu Michel - Lamma Bada Yatathanna

Ihre Geburtsheimat ist Albanien. Im Exil in der Schweiz wurde die Tochter künstlerisch-intellektueller Eltern zur musikalischen Weltbürgerin. Ausgestattet mit der Improvisations- und Interpretationsfreiheit des Jazz und einer herrlich geschmeidigen Stimme wendet sie sich der Volksmusik ihrer Heimatregion zu. In mehreren südosteuropäischen Sprachen singend, erschließt sie sich die Feinheiten und Unterschiede von verwandten Kulturen. Universelle Menschheitsthemen wie Liebe, Verlust, Tod, aber auch Humor findet sie dort und auch in arabischen, türkischen, schwyzerdytschen, jiddischen, italienischen, englischen und französischen Liedern. Aus jeder Nuance ihrer fein und klar gesetzten, und dabei immer weich fließenden Töne spricht ihr tiefes Verständnis der Musik und damit auch ihre besondere Kraft.

Al Jarreau: Sänger als Gesamtkunstwerk

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Al Jarreau 1976 -Take Five

Er flüsterte, er schnatterte, er hechelte: Und alles war Musik. Er führte Jazz- und Popgesang in ganz neue Dimensionen. Der 1940 in Milwaukee, Wisconsin, geborene US-Amerikaner Al Jarreau (der 2017 in Los Angeles starb) ließ seine Stimme zum Chamäleon werden. Er konnte Blasinstrumente, Kontrabass, sogar Congatrommeln so imitieren, dass die Töne kaum von den Originalen zu unterscheiden waren. Doch seine Kunst war keine Artistik, sondern ein Hör- und Seherlebnis von außergewöhnlicher Schönheit und Ausdruckskraft. 1976 feierte er seinen internationalen Durchbruch. Aus diesem Jahr stammt das Video seiner Version des Klassikers "Take Five", live bei den Berliner Jazztagen. Jarreau verwandelt darin eine (fiktive) stammelnde Annäherung an ein bewundertes Gegenüber in einen dichten, faszinierenden Rhythmus der Mundwerkzeuge. Sein Gesicht, sein Körper werden Klang, und der Klang geht zugleich in Jarreaus körperlicher Präsenz auf: Musik für alle Sinne. Ein Gesamtkunstwerk.

Norah Jones: Die Schmeichelstimme des Jazz

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Norah Jones - Come Away With Me

Ein samtenes Raunen, garniert mit einem feinen Vibrato. Als würden die Lippen direkt ins Ohr flüstern: "Come away with me in the night", "brenn mit mir durch in der Nacht“! Ein zartes Bett aus sparsamen Klaviertönen und country-angehauchten Gitarrenakkorden trägt die Stimme. Sie gehört Norah Jones: Sängerin, Pianistin, Komponistin, Jahrgang 1979 aus New York. Die Tochter der indischen Sitar-Legende Ravi Shankar wuchs bei ihrer Mutter in Texas auf. Musik umgab sie immer und Norah Jones speichert verschiedenste Klänge wie ein Schwamm, um sie dann sehr bedacht in ihre eigene Musik einfließen zu lassen. Mit diesem Vorgehen ist sie eine Jazzmusikerin aller erster Güte und eine der Stimme des Jazz der letzten Jahre. Das zeigt auch die Liste der musikalischen Partner:innen, die von Saxophonist Wayne Shorter über Trompeter Wynton Marsalis bis hin zu Pianistin Marian McPartland reicht.

 Michael Mayo: Kraftvoll leuchtender neuer Stern      

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Michael Mayo live | Leverkusener Jazztage 2023 | Jazzline

Seine Musik ist wie eine Energie-Infusion. Der 1992 geborene Amerikaner interpretiert Jazzklassiker in elektrisierenden Arrangements und kombiniert in eigenen Songs nachdenklich poetische Lyrics mit einem lebensbejahenden, melodiestarken Jazz, den er soulig und popmusikalisch unterfüttert. Wenn er seine anschmiegsame Stimme aus sonoren Tiefen hinauf in jubilierende Höhen jagt, klingt sie durch alle Register griffig. Zu Meisterwerken der Polyphonie macht er seine Vokalimprovisationen, wenn er, auch live im Konzert per loop, regelrechte Chorwerke aus ihnen macht. Fast überirdisch sind seine Vokalisen, wenn er seine Stimme wie ein Instrument im Bandsound nutzt. So gelingt dem neuen Stern am Gesangshimmel Jazz, der harmonisch und rhythmisch komplex und zugleich zugängig und sogar tanzbar ist.

Bobby McFerrin: Ganz alleine ein ganzer Chor

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Bobby McFerrin Try This At Home

Er ist ganz allein auf der Bühne. Es fehlt an nichts. Die Töne der Melodie fädelt Bobby McFerrin im Wechsel von Kopf- und Bruststimme nahtlos ein in die Basslinien, sein Körper wird zum Perkussionsinstrument. Damit begann 1984 die beispiellose Karriere des virtuosen Sängers. Das Publikum ist zutiefst berührt und begeistert. Bald schon wird er es bei seinen Konzerten einbeziehen und es gemeinsam singend mit polyphonem Gemeinschaftsgefühl beglücken. Absichtslos wird er einen Welthit komponieren, der ihm wenig bedeutet. Lieber taucht er, inspiriert von Jazz und Klassik, von Klängen aus Afrika, Indien, dem mittleren und Nahen Osten in das spirituelle Wesen der Musik ein. Er erkundet es zusammen mit Gesangsensembles, symphonischen Orchestern auch im BR, Kolleg:innen aller Genres und mit seinem Publikum. Krankheitsbedingt seit einigen Jahren leider nur noch im kleinen Kreis in seiner kalifornischen Heimat.

Andreas Schaerer: Stimme lernt Fliegen

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NDR TV Feature about ANDREAS SCHAERER

Mit der Zunge schnalzen. Sie unter dem Daumen klacken lassen. Einen Rhythmus daraus formen. Und im selben Moment die Gesangsstimme in glitzernde Höhen fliegen lassen. Zauber. Spiel. Sound-Lust. Der 1976 im Schweizer Kanton Wallis geborene Andreas Schaerer ist geistblitzender Entdecker neuer Stimm- und Mundwerkzeugsdimensionen. Inspiriert von Vorbildern wie Bobby McFerrin, geht er mit Gruppen und Projekten wie "Hildegard lernt fliegen" und "A Novel of Anomaly" zusammen mit herausragenden Instrumentalisten wie Akkordeonist Luciano Biondini, Gitarrist Kalle Kalima und Schlagzeuger Lucas Niggli immer wieder an neue Grenzen des Ausdrucks. Seine Performances sind hohe Gesangskunst und kreativ überschäumendes Jazz-Theater. Es ist Musik voll Genre-übergreifender Schönheit, die auch genießen kann, wer gar nicht so sehr an "Jazz", sondern einfach nur an Klang interessiert ist. Und es sind zugleich musikalische Erkundungen voller inspirierender Intelligenz. Stimme lernt fliegen.

Ayşe Cansu Tanrıkulu: Bedingungslose Freiheit

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Nick Dunston/Cansu Tanrikulu duo: 'Trash Ken Salad'

Diese Stimme ist frei! Keine Konvention hindert Cansu Tanrıkulu daran, sich in völliger Freiheit auszudrücken. Dabei kann das klangliche Ergebnis an traditionelle türkische Musik erinnern, es kann aber auch krächzender Lärm sein oder wie das leiseste Flüstern eines zarten Wasserlaufs. Es sind immer Geschichten, die Cansu Tanrıkulu erzählt, auch wenn sie manchmal kryptisch und schwer zu verstehen sind. 1991 in Ankara geboren, studierte sie Psychologie, schloss nach dem Studienabschluss in Ankara ein Studium in Jazz- und zeitgenössischem Gesang an und kam dann nach Berlin. Seit Jahren ist sie eine der herausragenden Figuren der internationalen Improvisationsszene und besonders als Interaktionspartnerin, etwa im Duo mit Bassist Nick Dunston, zeigt sie ihre große Stärke als prägende Stimme des aktuellen Jazz.

 Norma Winstone: Die Stimme des tieferen Sinns

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Norma Winstone - Celeste

Eine Silbe, die Norma Winstone singt, wird zur musikalischen Skulptur. Diese 1941 in London geborene Sängerin und Textdichterin ist eine große Interpretin von Melodien und von Texten. Ihre Stimme ist ein Muster an Ruhe und leiser Gestaltung. Weltberühmt wurde sie in den 1970er Jahren mit dem Trio Azimuth (zusammen mit Pianist John Taylor und Trompeter Kenny Wheeler), in dem sie die Gesangsstimme konsequent als gleichberechtigtes Trioinstrument einsetzte. Bis heute ist diese "Grande Dame" des europäischen Jazzgesangs eine herausragend edle Interpretin, die stets in die Tiefenschichten von Stücken eintaucht. Zu Melodien von so unterschiedlichen Komponisten wie Ennio Morricone, Ralph Towner und Fred Hersch schrieb sie eigene Texte, die viele andere Songtexte an Eleganz und Einfühlsamkeit überstrahlen. Ein Song wie "Celeste" zeigt besonders eindringlich, wie himmlisch die gut geerdete Stimme Norma Winstones in Worten und Tönen aufgehen kann.

Sendungshinweise

Jazztime, Dienstag 11. März 2025, 22:03 Uhr
Jazz und mehr, Samstag 15. März 2025, 18:05 Uhr

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