BR-KLASSIK

Inhalt

NEUE JAZZ-ALBEN, VORGESTELLT IM GESPRÄCH - Vol. 35 Hören wir Gutes und reden darüber!

Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer überraschen sich und Sie mit aktuellen Jazzalben. Dieses Format wurde mit dem Deutschen Radiopreis 2022 als "Beste Sendung" ausgezeichnet, hier die 35. Ausgabe von "Hören wir Gutes und reden darüber". Eine Sendung von BR-KLASSIK im ARD Radiofestival Jazz.

Norma Winstone & Kit Downes | Bildquelle: ECM

Bildquelle: ECM

"Hören wir Gutes und reden darüber Vol. 35" hier zum Nachhören.
In dieser Sendung des ARD Radiofestival Jazz haben sich Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer zum fünfunddreißigsten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Alben wurde in der Sendung gesprochen.

Ihr Kontakt in die Jazzredaktion

Welche Musik hat Ihnen besonders gefallen und warum?
Schreiben Sie es uns unter jazz@br-klassik.de

Norma Winstone & Kit Downes: "Outpost of Dreams" (ECM)

Schimmernde Klaviertöne, zarte Akzente und schwebende Harmonien - Schwerelos wie ein Schmetterling gleitet die Musik durch die Luft - und dann setzt sie ein, diese bezaubernde Stimme!
Sie gehört Norma Winstone und man hört dem jugendlichen Timbre der Stimme das wahre Alter der Sängerin nicht an: Sie ist 82 Jahre alt und am Klavier begleitet sie der 38-jährige Kit Downes. "Outpost of Dreams" heißt ihr erstes gemeinsames Album und es ist ein Meisterwerk!
Norma Winstone, diese Ikone des englischen Jazz, hat Ende der 70er Jahre schon mit dem Kammerjazz-Trio "Azymuth" mit Pianist John Taylor, mit dem sie auch mehrere Jahre verheiratet war, und Trompeter Kenny Wheeler Geschichte geschrieben. Ab 2007 hatte Winstone ein neues Trio mit Pianist Glauco Venier und Bassklarinettist und Sopransaxophonist Klaus Gesing. Nun folgt ihr nächster Geniestreich: das Duo mit Pianist Kit Downes. Der Engländer ist einer der angesagten Pianisten des aktuellen Jazz und mit seinem eigenen Trio "Enemy", aber auch in der Band "Aki" der Sängerin Lucia Cadotsch oder im Trio "Deadeye" mit Gitarrist Reinier Baas und Schlagzeuger Jonas Burgwinkel aktiv. Und für Winstone ist Downes der perfekte Begleiter: umsichtig, nuanciert, mit herrlichen Schattierungen. Das Album "Outpost of dreams" zeigt völlig klar: Norma Winstone zählt zu den größten Stimmen des Jazz überhaupt und Kit Downes ist der Pianist der Stunde. Ihr zeitloses Generationentreffen ist heißer Favorit fürs Album des Jahres 2024.

Altus: "Mythos" (Bandcamp/Biophilia)

Cover - Altus: Mythos | Bildquelle: Bandcamp/Biophilia Bildquelle: Bandcamp/Biophilia Altus - so heißt eine verhältnismäßig junge Band aus dem New Yorker Bezirk Brooklyn. "Altus" ist eines jener Wörter, die das Übersetzen lateinischer Texte nicht gerade leichter machen, denn es kann sowohl "weit in die Höhe reichend" als auch "sich in die Tiefe erstreckend" bedeuten, aber auch "tiefer sitzend, unergründlich" oder "versteckt". Definitiv nicht verstecken brauchen sich die die beiden Bandgründer, Trompeter Dave Adewumi und Bassist Isaac Levien, noch ihre Alliierten: Tenorsaxophonistin Neta Raanan, Altsaxophonist Nathan Reising und Schlagzeuger Ryan Sands. Allesamt sind sie "thirty something" und lösen mit ihrem spielerischen Können und dem hohen Überraschungswert ihrer neun eigenen Kompositionen das vieldeutige Versprechen des Bandnamens Ton für Ton ein. Zu den jubelnden Höhenflügen und der profunden Tiefe ihrer Musik haben sie sich von zwei großen Gestalten aus unterschiedlichen Schöpfungsmythen beflügeln lassen. Das sind Prometheus, der vom griechischen Gottvater Zeus dafür bestraft wurde, das Feuer vom Himmel gestohlen und den Menschen geschenkt zu haben, und Oludumare, die geschlechtslose Schöpfergestalt, die in der Religion der westafrikanischen Ethnie der Yoruba die Lebensenergie verteilt. Beide entschieden sich dafür, ihr Wissen und ihre Kraft mit allen anderen zu teilen und wurden dafür bestraft. Das erinnert die Band "Altus" an die Schöpfungsgeschichte des Jazz. Denn die Afroamerikaner:innen haben ihre Musik auch an alle weitergegeben, und wurden für ihre Großzügigkeit nicht belohnt. Sie mussten rassistischen Hass, Marginalisierung, Ausbeutung und das Verwehren gesellschaftlicher Teilhabe erleiden. Die Band Altus lädt damit dazu ein, sich nicht nur mit ihrer Musik, sondern auch mit der Geschichte und den Geschichten des Jazz zu befassen.

Hamilton de Holanda & Gonzalo Rubalcaba: "Collab" (Sony Music)

Cover - Gonzalo Rubalcaba & Hamilton de Holand: Collab | Bildquelle: Sony Music Bildquelle: Sony Music Zwei große Virtuosen - und zugleich zwei starke Seelenmusiker des Jazz: der Pianist Gonzalo Rubalcaba und der Mandolinenspieler Hamilton de Holanda. Der eine ist Kubaner, geboren 1963 in Havanna, einst stark gefördert von Trompetenstar Dizzy Gillespie, und lebt seit 1996 in den USA. Der andere ist Brasilianer, geboren 1976 in Rio de Janeiro, und hat unter anderem in Aufnahmen mit dem italienischen Pianisten Stefano Bollani und dem deutschen Klarinettisten Rolf Kühn aufhorchen gemacht - sowie mit vorzüglichen eigenen Bands. De Holanda und Rubalcaba: ein funkelndes Duo voller rasanter, aber auch beschaulicher Augenblicke. Das Repertoire besteht aus Eigenkompositionen und geliehenem Material. Unter den Eigenkompositionen sind etwa Hamilton de Holandas witzig-schnelles Kabinettstück "Flying Chicken" und Gonzalo Rubalcabas innige Hommage an die eigene Tochter, "Yolanda Anas". Zu den geliehenen Stücken gehören Stevie Wonders "Don’ You Worry ‘Bout A Thing", zwei Stücke des brasilianischen Songwriters Joao Bosco (der in einer der Aufnahmen auch singt) sowie das traumhafte langsame Stück "Silence" des großen Jazzbassisten Charlie Haden. Fein, respektvoll und mit viel Klangsinn lassen di Holanda und Rubalcaba ihre Töne ineinander fließen. Rubalcaba schätzt seinen brasilianischen Kollegen als "Virtuosen der Gedanken und der Einfälle" - und der wiederum bekennt, er sei seit langem ein Fan des Kubaners. Ein Zusammentreffen voller Glücksmomente.

    AV-Player