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Armand J. Piron: "Lou'siana Swing" Vom Fight Song zum Jazz-Standard

Vor 100 Jahren, am 18. Februar 1924, wurde erstmals eine Platte mit "Swing" im Titel aufgenommen. Es war Armand J. Pirons "Lou'siana Swing". Mit einer Vorahnung der Swingmusik der 30er Jahre hatte das allerdings wenig zu tun.

 Armand J. Piron mit Geige | Bildquelle: Partial gift of Priscilla and John Lawrence and Burt Barbre, The Historic New Orleans Collection, Accession 2009.0228

Bildquelle: Partial gift of Priscilla and John Lawrence and Burt Barbre, The Historic New Orleans Collection, Accession 2009.0228

"Piron war damals so etwas wie der Paul Whiteman von New Orleans, denn er hatte eines der besten Orchester in der Stadt und spielte in den ersten Hotels", erzählte der Pianist Clarence Williams einmal über den Geiger Armand J. Piron, der mit ihm in New Orleans den ersten schwarzen Verlag gegründet hatte. Ende 1923 kam Piron mit seiner Band nach New York, wo sie für längere Zeit im berühmten Roseland Ballroom engagiert war. Die schwarzen Musiker spielten dort vor einem rein weißen Publikum. Dass Afroamerikaner im Publikum nicht erwünscht waren, war ein Missstand, der damals leider zum Alltag gehörte. Piron konnte damals in New York Platten aufnehmen, die zeigen, wie zu jener Zeit der Jazz in seiner Wiege New Orleans klang. Kaum zu glauben, doch in New Orleans selbst wurden erst von März 1924 an Aufnahmen gemacht. Und selbst danach kamen von dort etwa zwei Jahrzehnte lang nur sehr wenige Platten. Lange glaubte man, alle besseren Musiker seien in den späten 10er und frühen 20er Jahren nach Chicago und New York abgewandert. Man hielt New Orleans für eine Art musikalische Geisterstadt. Schon früh scheint sich die Vorstellung von einer Minderwertigkeit der in New Orleans verbliebenen Musiker festgesetzt zu haben. Wie sonst ist es zu verstehen, dass der New Yorker Ballroom sich eine New Yorker Band warm hielt – für den Fall, dass die Band aus der vermeintlichen Provinz nicht gut oder modern genug sein sollte? Mit Sidemen wie dem Trompeter Peter Bocage und der Klarinettenlegende Lorenzo Tio bewies Piron das Gegenteil. Eine dieser Aufnahmen ist der "Lou'siana Swing" vom 18. Februar 1924.

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Lou'siana Swing | Bildquelle: Piron's New Orleans Orchestra - Topic (via YouTube)

Lou'siana Swing

Von einem alten Mexikanischen Marsch abgekupfert

Mit dem Swing als Jazzstil oder als rhythmisches Phänomen des Jazz hat "Lou'siana Swing" zunächst nichts zu tun. Armand Piron bearbeitete einen populären College Song. Dieser war 1910 als "Washington and Lee Swing" von Thornton Allen und W. T. Sheafe geschrieben worden: als offizielles, bei Sportveranstaltungen gesungenes Kampflied der Washington and Lee University in Lexington, Virgina. Als Vorlage diente wohl der melodisch ähnliche, mexikanische Marsch "Zacatecas" von 1891.

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Zacatecas | Genaro Codina (1852-1901) | Arrangement: Siegfried Rundel | Bildquelle: Musikverlag RUNDEL (via YouTube)

Zacatecas | Genaro Codina (1852-1901) | Arrangement: Siegfried Rundel

Ein Fight Song – Viele Namen

Der "Washington and Lee Swing" wurde später unter anderen Namen auch von zahlreichen anderen Universitäten für Sport-Ereignisse verwendet. Piron adoptierte ihn für den Jazz, wahrscheinlich, weil der Song in New Orleans nach der dortigen Universität als "Tulane Swing" bekannt war. Unter diesem Titel wurde er von vielen New-Orleans-Bands aufgenommen, allerdings erst ab 1949. Meist wird er nur als "Dummy Song" oder vor allem als "Fight Song” bezeichnet, denn er erklingt in den USA stets zum Anfeuern vor Football Matches.                                             

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Washington And Lee Swing | Bildquelle: 101 Strings - Topic (via YouTube)

Washington And Lee Swing

"The Swing"

Aus einem Kampflied des Studentensports ein Jazzstück zu machen, scheint aus der Warte der Tanzmusik der 20er Jahre nicht naheliegend. Doch der Jazz – als Musik, die den Leuten in die Beine fährt – ist auch ein Kind des Marsches. Die ersten Jazzmusiker verdienten sich in New Orleans in Blaskapellen mit Märschen und populären Stücken ihre ersten Sporen. Übrigens: Das ungewohnte Essen und das Klima in New York waren schuld daran, dass Piron und seine Musiker, trotz des erfolgreichen Aufenthalts, im März nach New Orleans zurückkehrten.

Die Heimat rief – und die Musik blühte

Es lockten wieder die Heimat am Mississippi und die französisch geprägte Lebensart. Und genau zu diesem Zeitpunkt wurden in der Wiege des Jazz erstmals Platten aufgenommen. Als einer der ersten kamen dabei der Kornettist Johnny De Droit und sein New Orleans Jazz Orchestra an die Reihe. Unter dem Titel "The Swing" spielte er eine Version des "Washington and Lee Swing" ein. Wie bei Piron führt die Band die Melodie des College Songs erst später ein, sozusagen als Überraschung. Man beachte, wie untypisch für einen Kornettisten dieser Zeit De Droit spielt: lange fließende Linien aus lauter Achteln in einem vergleichsweise coolen Sound. Man könnte darin eine Vorwegnahme modernerer Spielweisen sehen. Das Geheimnis dahinter ist aber viel naheliegender und ganz aus der Praxis gegriffen: Da der Saxophonist Rudolph Levy im Vordergrund die Melodie spielt, übernimmt das Kornett hier einfach die Rolle der Klarinette im frühen Jazz.

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The Swing | Bildquelle: Johnny De Droit & His New Orleans Orchestra - Topic (via YouTube)

The Swing

"Swinging the Swing"

Als Harry's Happy Six um den Kornettisten Harry Cooper am 3. Juli 1925 "Swinging The Swing" aufnehmen, scheint es sich zunächst um ein ganz anderes Stück zu handeln, doch harmonisch erweist es sich immer noch als Ableger des "Washington and Lee Swing". Swingend ist es zweifellos auch.

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"Swinging The Swing" Harry's Happy Four 1925 | Bildquelle: Jazzguy1927 (via YouTube)

"Swinging The Swing" Harry's Happy Four 1925

Der Swing wird zum Swing

Erst 1928 taucht das Wort "Swing" unabhängig vom "Fight Song" in Jazztiteln auf. So im "Georgia Swing" des Jazzpioniers Jelly Roll Morton, der sich nicht nur als Erfinder des Jazz, sondern als Urheber des Swing-Stils sah. In dieser Zeit avancierte das Stück der "Washington and Lee Swing" auch zu einem Standard. In den 30er und 40er Jahren, als es auch Größen wie Gene Krupa und Bob Crosby aufnahmen, wurde aus dem guten alten Kampflied tatsächlich noch ein Swing-Stück. Das stellte kaum einer besser unter Beweis als ein weiterer Musiker aus New Orleans, dessen Autobiographie den Titel "Swing That Music" trägt.  Viele glauben, er habe das Swingen "erfunden"; auf jeden Fall war er mehr als jeder andere darin der Lehrmeister: Louis Armstrong.

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Washington and Lee Swing | Bildquelle: Louis Armstrong - Topic (via YouTube)

Washington and Lee Swing

Sendungshinweis:

1. Februar 2024: Eine Chronik des Jazz (38): "Jazz Me Blues" - Aufnahmen vom Februar 1924. Moderation: Benedikt Schregle. Manuskript und Auswahl: Marcus A. Woelfle

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