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Ma Rainey: See See Rider Ein Blues-Song, der Rätsel aufgibt

"See See Rider" ist einer der berühmtesten und bis heute meistgespielten Bluessongs. Ma Rainey nahm ihn vor 100 Jahren erstmals auf. Der Song hat viele Mütter und Väter und zeigt in jeder Gestalt ein anderes Gesicht.

CD Cover Ma Rainey | Bildquelle: Document

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Big Bill Broonzy behauptete, dass er als Kind Blues zu spielen gelernt habe, und zwar von einem fahrenden Sänger namens "See See Rider": "einem ehemaligen Sklaven, der eine Geige mit nur einer Saite spielte ... einer der ersten Sänger dessen, was später Blues genannt wurde." In Broonzys Fassung von "See See Rider", die möglicherweise der Originalversion nahekommt, verabschiedet sich ein Seemann für immer von seiner Partnerin, da sein Zuhause auf dem Wasser ist. Big Bill Broonzy erklärt, er habe schon 1908 das Lied von einem Autor erlernt, der Seemann auf einem Kahn gewesen sei: "Er liebte es, auf dem Wasser zu sein, und deshalb schrieb er diesen Titel: Es heißt 'Sea Sea Rider'."

C.C. Rider: Seemann, Wanderprediger oder Whiskeytrinker?

Die Schreibweise "Sea Sea Rider" hat sich nicht durchgesetzt. Auch findet sich das Seefahrt-Thema in den meisten Versionen nicht. Neben "See See Rider" haben sich "C.C. Rider" und "C C Rider" eingebürgert. Das hat zur Ansicht geführt, es handele sich entweder um frühe "church circuit"-Wanderprediger, die keine festen Kirchen hatten, oder um "county circuit"-Reisende; das sind Anwälte, die einem Bezirksrichter folgten. Andere sehen im "C. C. Rider" einen "Hobo", einen illegalen Zugpassagier des "Colorado Central" oder einen Trinker der damals beliebten Whiskey-Marke "Canadian Club". Sicherlich hat die geheimnisvolle, vieldeutige Figur des "See See Rider" zur Beliebtheit des Songs im Blues, Soul, Jazz, Pop, Country und Rock beigetragen. Um partnerschaftliche Untreue und Eifersucht geht es in den meisten Versionen des Liedes, immer um Trennung. Der Jazzpionier Jelly Roll Morton erinnerte sich, "See See Rider" irgendwann nach 1901 in New Orleans gehört zu haben. In seiner Version von 1938 ist er sowohl Sänger als auch Pianist.        

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Jelly Roll Morton - C. C. Rider (1938)

Ma Rainey, die "Mother Of The Blues"

Die Aussagen von Morton und Big Bill Broonzy belegen, dass der Song mindestens zwei Jahrzehnte alt war, als Ma Rainey, die "Mother of the Blues", am 16. Oktober 1924 den "See See Rider Blues" erstmals auf Platte bannte. Beim Blues ist es wie bei Märchen: Jeder Erzähler, jeder Interpret verändert, fügt etwas hinzu, lässt etwas weg. So ist es nur folgerichtig, dass Rainey und die Texterin Lena Arant für den uralten Song das Copyright erhielten. "See See Rider" wurde Raineys Song, ihre berühmteste Aufnahme, und eines der bewegendsten Dokumente der Blues- und Jazzgeschichte. Begleitet wurde Ma Rainey von der Georgia Jazz Band mit Louis Armstrong am Kornett, Buster Bailey an der Klarinette, Charlie Green an der Posaune, Fletcher Henderson am Klavier und Charlie Dixon am Banjo. Diese Musiker, die zu den größten ihrer Zeit gehörten, waren Mitglieder des Fletcher Henderson Orchestra.

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Gertrude "Ma" Rainey-See See Rider Blues

Im Pop und Rock wird der Song abgemildert

In Ma Raineys Version spielt die Seefahrt keine Rolle. Auch hier geht es um Trennung, doch vor allem um eine Dreiecksgeschichte und Eifersucht. Die Betrogene droht: "I'm gonna buy me a pistol, just as long as I am tall, Lord, Lord, Lord. Shoot my man, and catch a cannonball." Gerade diese Drohung fehlt in vielen berühmten späteren Fassungen, etwa von Elvis Presley oder den Animals. Kommt ein Blues-Stück zu Pop-Ehren, wird oft alles Drastische herausgenommen. Doch der echte Blues scheut sich nicht, auch negative Emotionen deutlich zum Ausdruck zu bringen.

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Elvis Presley - See See Rider (Aloha From Hawaii, Live in Honolulu, 1973)

Der Sex und die Gitarre

Als "Rider" bezeichnet man im Blues einen Sexualpartner. "See See Rider" – bei Elvis und vielen anderen schlicht als "Sieh, sieh Partnerin" zu übersetzen – spielt auf "Easy Rider" an. Damals bezeichneten Bluesmusiker ihren wertvollsten Besitz, die Gitarre als "Easy Rider", ihre auf dem Rücken mitgeführte Reisegefährtin.

Der Jazzhistoriker Rudi Blesh bemerkt: "In der doppelten Bedeutung der schwarzen Bildsprache steht die weiblich geformte Gitarre ... auch für eine weibliche Begleiterin. Im 'City Talk' der Schwarzen bedeutet der Begriff 'Easy Rider' entweder eine sexuell befriedigende Frau oder einen männlichen Liebhaber, der von den Einkünften einer Frau lebt."

Medizin gegen den Blues?

Die beste Medizin gegen den Blues ist der Blues. So verwundert es nicht, dass Musiker und Hörer bei der brandaktuellen Version von "See See Rider" der Sängerin Ekep Nkwelle sichtlich und hörbar glücklich sind.

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"See See Rider" w/ Emmet Cohen & Ekep Nkwelle

Sendungshinweis

24. Oktober 2024, 22.03-23.00 Uhr auf BR-Klassik: Eine Chronik des Jazz (47): “See See Rider“ – Aufnahmen vom Oktober 1924

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