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Louis Armstrong und Sidney Bechet Wettstreit der Giganten

Vor hundert Jahren treffen zwei Giganten des New-Orleans-Jazz im Studio zusammen: der Kornettist Louis Armstrong und der Klarinettist und Sopransaxophonist Sidney Bechet. Eine Begegnung, die es in sich hat.

Kornettist Louis Armstrong und der Klarinettist und Sopransaxophonist Sidney Bechet | Bildquelle: picture alliance / Heritage Images | William Paul Gottlieb

Bildquelle: picture alliance / Heritage Images | William Paul Gottlieb

In der Theorie liest es sich fabelhaft: Man lässt zwei Genies gemeinsam musizieren und hat als Ergebnis ihre beste Platte. Die Praxis wiederlegt es: Die Kopplung von Louis Armstrong und Orchesterchef und Pianist Duke Ellington schöpfte beider Potential eher wenig aus. Und die Begegnung von Duke Ellington mit dem fast dreißig Jahre jüngeren Saxophonisten John Coltrane wirkt viel zahmer, als sie sein könnte. Vor jetzt hundert Jahren ereignete sich eine weitere hochinteressante Begegnung - diejenige von zwei frühen New-Orleans-Stars: Louis Armstrong, der das Kornett so strahlend spielte, und Sidney Bechet, der auf der Klarinette und dem hell und näselnd klingenden Sopransaxophon innige Erzählungen formen konnte. Zwei, deren Musik für sich genommen Inbegriff der Liebe ist! Doch in den Aufnahmen lieferten sie sich erbarmungslose Musikgefechte. Immerhin wurde es so auf dem Olymp nicht fad.

Louis Armstrong – Das erste solistische Genie?

Louis Armstrong | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bildquelle: picture-alliance/dpa Armstrong, der Trompeter mit der heiseren Stimme und dem weißen Taschentuch, war die vielleicht einflussreichste Persönlichkeit der afroamerikanischen Musik. Zur Zeit seiner Aufnahmen mit Sidney Bechet, war er noch nicht so berühmt. Im Zusammenspiel mit seinem Mentor, dem Kornettisten King Oliver, hatte sich 1923 die zunehmende Emanzipation des einzelnen Solisten von der im frühen New Orleans Jazz üblichen Kollektivimprovisation abgezeichnet. Diese Entwicklung findet einen ersten Höhepunkt im Orchester Fletcher Henderson (1924/25). Die beeindruckende Architektonik seiner melodischen Einfälle, der strahlende Klang sowie die makellose Technik seines Kornettspiels weisen ihn als erstes solistisches Genie des Jazz aus.

Sidney Bechet – Einer, der schon vor Armstrong berühmt war

Oder ist das erste solistische Genie des Jazz nicht doch Sidney Bechet? Der war schon New Orleans berühmter und feierte in Europa Erfolge, als noch niemand von Armstrong gehört hatte. Der Dirigent Ernest Ansermet beschreibt schon 1919 Bechet in der ersten ernstzunehmenden Jazzkritik. Wie Armstrong wirkt er weit über den New Orleans Jazz hinaus. Er ist einer der stilbildenden Klarinettisten des frühen Jazz. Mit dem Sopransaxophon ist sein Einfluss weitreichender. Er ist der erste Gigant dieses Instruments, der musikalische Großvater von John Coltrane, ja Stammvater aller Jazzsaxophonisten überhaupt.

Sendungshinweis

25. Januar 2025 BR-Klassik, 22.03-23.00: Eine Chronik des Jazz (49): "Davenport Blues" – Dezember 1924 und Januar 1925

Der Wettkampf der Giganten – Ausgetragen in mehreren Runden

Und wie klangen die beiden nun gemeinsam? Fast wie verschiedene Runden in einem mit Tönen ausgetragenen, sportlichen Wettkampf ließe sich ihr mehrmaliges Aufeinandertreffen bei Aufnahmen beschreiben. Welcher von beiden ist wann stärker?

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Everybody Loves My Baby

Everybody Loves My Baby – Runde 1 unentschieden

Reizvoll ist, dass es von einigen Stücken verschiedene gemeinsame Versionen von Bechet und Armrstrong gibt. So von "Everybody Loves My Baby", die erste gemeinsame Aufnahme von Lil und Louis Armstrong seit ihrer Hochzeit im Februar 1924. Die Sängerin ist Alberta Hunter.

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Everybody Loves My Baby

Everybody Loves My Baby – Sieger der Runde 2: Armstrong

Zum Hit wurde die ebenfalls am 6. November 1924 entstandene Version mit dem Pianisten Clarence Williams und seiner Frau, der Sängerin Eva Taylor. Armstrong liefert ein klassisches Solo!

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Clarence Williams' Blue Five - Everybody Loves My Baby

Mandy – In Runde 3 zieht Bechet ein As aus dem Ärmel

Ihre besten gemeinsamen Aufnahmen entstanden 1924 und 1925 mit kleinen Studiogruppen unter der Leitung des Pianisten Clarence Williams. Sidney Bechet erwies sich damals auf Platten als einziger Bläser, der Armstrong wirklich Paroli bieten konnte, ja ihm bisweilen sogar die Show stahl. Bechet war sehr spontan. Seine Entscheidungen kamen aus dem Bauch heraus. Wie unberechenbar er war, zeigt "Mandy, Make Up Your Mind" vom 17. Dezember 1924. Als er zur Aufnahme erschien, hatte er nicht nur das Sopransaxophon im Gepäck, sondern auch das ungewöhnliche Kontrabass-Sarrusophon. Er hatte es auf dem Weg ins Studio in einer Pfandleihe entdeckt. Obwohl er noch nie auf einem solchen Instrument gespielt hatte, hören wir ihn nach dem Gesang von Eva Taylor, der Frau von Clarence Williams, auf diesem Instrument. Der Überraschungseffekt auf der Aufnahme ist groß, denn zu Beginn steht Louis Armstrong ganz im Vordergrund, und im Hintergrund hört man Bechet auf dem Sopran. Es heißt, er habe das Instrument nach der Aufnahme in die Pfandleihe zurückgebracht. Vielleicht stimmt die Anekdote nicht, und das seltene Instrument lag einfach im Studio herum, aber das ist nicht sonderlich wahrscheinlich. Wie dem auch sei: Jedenfalls hat er es nie wieder auf einer Aufnahme benutzt. Eigentlich schade!              

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Mandy, Make up Your Mind (78rpm Version)

Cake Walking Babies – Runde 4 geht wieder an Bechet

Dank seiner musikalischen Autorität und der Überzeugungskraft seines Spiels dominierte Bechet im Grunde von frühauf fast jedes Ensemble, in dem er spielte. Seine Rolle war nicht die der zweiten Geige. Mit anderen Worten: Er spielte auf dem Saxophon Trompete, das Instrument, das in traditionellen Ensembles eigentlich die Führung übernehmen sollte. Daher bestand zwischen Bechet und Armstrong nicht nur Freundschaft, sondern auch musikalische Rivalität. Die beiden nahmen zwei Versionen von "Cake Walking Babies from Home" auf.

In ihnen ist nicht nur ihr Wettstreit deutlich zu hören, sondern wie dadurch die Musik weiterentwickelt wird. Die erste Version, die der Red Onion Jazz Babies vom 22. Dezember 1924, entstand unter anderem mit der Sängerin Alberta Hunter und Armstrongs Frau Lil am Klavier. Hier hat Sidney Bechet die Nase vorn und sticht Armstrong aus. Oder doch nicht?

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Cake Walking Babies (From Home)

Cake Walking Babies - Runde 5 geht an Armstrong

Zwei Wochen später wendet sich das Blatt. In Clarence Williams‘ Version vom 8. Januar 1925 mit Eva Taylor lässt Satchmo sich das nicht noch einmal bieten und stellt Bechet in den Schatten. Es gilt auch als eine der besten Leistungen des jungen Armstrong.

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Cake Walking Babies From Home Clarence Williams and the Blue Five Louis Armstrong vs Sidney Bechet

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