Vor hundert Jahren, im Juli 1924, führte Adrian Rollini das eben erst patentierte Cuesnophon in den Jazz ein. Ein kurioses Blasinstrument, auf dem man wie auf dem Klavier mehrere Töne gleichzeitig spielen kann! Leider haben sich außer Rollini nur sehr wenige Kollegen daran versucht. Eine Bestandsaufnahme.
Bildquelle: Pat Missin
Couesnophon, Couénophone, Queenophone – das sind die gängigen Namen für das 1924 von der französischen Firma "Cuesnon & Cie" patentierte Instrument. Doch für den Jazz erfand der Multiinstrumentalist Adrian Rollini den Namen "Goofus". Das Instrument sieht aus wie ein Saxophon, klingt aber in etwa wie eine Melodica, die damals noch nicht erfunden war. Im Gegensatz zum Saxophon kann man darauf Akkorde spielen. Man könnte es auch als Blasakkordeon bezeichnen.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
The Little Ramblers:- "Arkansas Blues"
Adrian Rollini war einer der wichtigsten Musiker des frühen Jazz. Seine Liebe galt ausgefallenen Instrumenten. Das riesige, vermeintlich plumpe Basssaxophon spielte er mit swingender Leichtigkeit und knackigem Biss. Das Vibraphon meisterte er als einer der ersten im Jazz. Und Rollini erfand den Hot Fountain Pen, eine klappenlose Miniaturklarinette, die aussah wie ein zu groß geratener Füllfederhalter. Auch das Cuesnophone modifizierte er zum Goofus, indem er den Saxophontrichter entfernte. Er musizierte bei den California Ramblers, einer sehr erfolgreichen Tanzband, aus der sich kleinere Untergruppen bildeten. Darunter waren "The Little Ramblers", die am 3. Juli 1924 die ersten Jazz-Aufnahmen mit dem Goofus machten. Im "Arkansas Blues" klingt das brandneue Instrument im Zusammenspiel mit Kazoo und Banjo wie ein altes Folklore-Instrument, das es schon immer gegeben hat.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Vo-Do-Do-De-O Blues - The Goofus Five (Adrian Rollini, Bobby Davis, Chelsea Quealey) (1927)
In Rollinis Aufnahmen mit den "Five Birmingham Babies", "The Kentucky Blowers", den "Varsity Eight", den "University Six", "Joe Venuti's Blue Four" und all den anderen Bands der 20er-Jahre greift er gerne zum Goofus, spielt aber selten darauf mehr als ein paar Takte Solo. Auch bei "The Goofus Five", die von 1924 bis 1929 Aufnahmen machten, steht das Instrument, dass er immer virtuoser beherrscht, nicht im Vordergrund, doch sein Klang ist das Salz in der Suppe.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Fletcher Henderson - A New Kind Of Man (With A New Kind Of Love For Me) - New York, 08.29.1924
Auch der Saxophonist und Klarienttist Don Redman, der vor allem als Arrangeur des Fletcher Henderson Orchestra bedeutend war, bemühte sich um die Novität. Seine ersten Aufnahmen auf dem Goofus entstanden im August 1924. Das Instrument steht zweimal in "A New Kind Of Man" im Rampenlicht, aber der eigentliche Clou sind die witzigen Posaunen-Einwürfe von Charlie Green.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Yiddisher Charleston (Gilt-Edged Four)
Im "Yiddisher Charleston" der Band "The Gilt-Edged Four", 1927 in London entstanden, sorgt Ray Staritas Goofus-Spiel im Zusammenklang mit dem Xylophon wieder für eine folkloristische Note, nur, dass man diesmal nicht Bluesharp, sondern Ziehharmonika assoziiert. Da das Instrument aus Europa stammt, ist es nicht weiter verwunderlich, dass es auch bei uns Fuß fasste. Dass 1927 und 1928 die meisten Beispiele aus England stammen, dürfte damit zu tun haben, dass Adrian Rollini in diesen Jahren dort wirkte. Bei den Five Omega Collegian spielt der Pianist George Scott-Wood in "Who's Knockin' At My Door” Goofus. Es erinnert hier an eine kleine, heisere, ausgeleierte Jahrmarktsorgel.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
"Who's That Knockin' At My Door?" Five Omega Collegians January 1928
Der dänische Leo Mathiesen begleitete im selben Jahr den Geiger Otto Lington in "Wild Cow" und zeigte, dass es offensichtlich zur Show gehörte, Goofus und Klavier gleichzeitig (!) zu spielen – Musik, die an Rollini und seinen Freund, den Jazzgeiger Joe Venuti anknüpfte.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Wild Cow (feat. Otto Lington)
Schon nach fünf Jahren kräht kein Hahn mehr nach dem Goofus. Für die Klangfarbe greift man lieber zum lauteren Akkordeon. Ganz vereinzelt lassen Bands in England, Holland, Frankreich und der Schweiz in den 70er- und 80er-Jahren den Goofus wieder aufleben, wohl aus Nostalgiegründen. Nun kann man den Gag wieder aufgreifen, der nur funktioniert, wenn man das Instrument nicht kennt: Das Publikum sieht einen vermeintlichen Saxophonisten, doch sobald er bläst, hört man eine putzige Mischung aus Mundharmonika und Spielzeug-Akkordeon. Der Widerspruch zwischen akustischem und visuellem Eindruck sorgt für Lacher. Adrian Rollini bleibt wohl für alle Zeiten der bekannteste Goofus-Spieler. Der erste und fast letzte der Zunft hat mit dem Goofus noch bis Mitte der 30er-Jahre Platten gemacht. Zu Rollinis Show und seiner Vorliebe für wechselnde Klangfarben gehörte es, blitzgeschwind zwischen seinen vielen grundverschiedenen Instrumenten zu wechseln, etwa in Joe Venutis "Pink Elephants" zwischen Basssaxophon, Vibraphon und Goofus. Man merkt: Etwas von Zirkus, Artistik und Clownerie scheint beim Goofus immer mit im Spiel zu sein.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Joe Venuti, Eddie Lang - Pink Elephants rare
11. Juli 2024: Eine Chronik des Jazz (45): ”I Want To Be Happy” – Aufnahmen vom August 1924. Moderation: Benedikt Schregle. Manuskript und Auswahl: Marcus A. Woelfle