BR-KLASSIK

Inhalt

Jazzer Joe Kienemann wird 85 Stimme des Vertrauens

Zweiunddreißig Jahre lang verlieh er dem Jazz im BR-Hörfunk eine markante Stimme: Joe Kienemann wurde zu einer Institution. Am 11. Mai feiert der vielbeachtete Jazzpianist und Moderator seinen 85. Geburtstag. BR-KLASSIK gratuliert.

Joe Kienemann | Bildquelle: Joe Kienemann

Bildquelle: Joe Kienemann

"Guten Abend, liebe Jazzfreunde" – so begannen viele hundert Sendungen, die dieser Radio-Moderator machte. Immer mit diesen Worten. Danach ging es zum Beispiel so weiter: "Der Jazz, die lebendigste Tonkunst des 20. Jahrhunderts, hat seine Wurzeln auch im vorigen Jahrhundert, als zum Beispiel Scott Joplin seinen 'Maple Leaf Rag' zu Papier brachte. Das war 1899." Sofort ein klares Statement, das ganz auf die Gegenwart gerichtet war – auch wenn es, wie hier, um Jazzgeschichte ging. Wenn er über Musik sprach, swingte der Text. Als Hörer konnte man sich fallen lassen und genießen. Und bekam stets griffige, zuverlässige Information. Von 1971 bis 2003 verhalf Joe Kienemann dem Jazz im BR-Hörfunk zu einer markanten Präsenz. Er war die Stimme des Vertrauens für viele Zuhörerinnen und Zuhörer. Und er ist es, in den seltenen Momenten, in denen er sich noch zu Wort meldet, noch heute.

Musikalisch begabter Pastorensohn

Am 11. Mai 1938 wurde er im baden-württembergischen Heilbronn geboren – als fünftes von sieben Kindern einer Pastorenfamilie. Es war ein musikbegeistertes Haus, alle Kinder spielten Instrumente. Er selbst lernte außer Klavier auch Cello und Trompete. Und er begeisterte sich für Jazz-Sendungen in den amerikanischen Auslands-Sendern AFN und "Voice of America". Trotzdem studierte er zunächst Jura, legte das aber dann bald ad acta – denn, wie er einmal sagte: Er habe irgendwann gemerkt, dass er nicht die ganze Zeit mit Menschen verbringen könne, die im Streit miteinander liegen. Das, so befürchtete er, würde ihn seelisch zugrunde richten. Er verdiente dann sein Geld als Tanz- und Studiomusiker und landete in München – wohin es ihn zwischenzeitlich verschlagen hatte – schließlich als Moderator beim Bayerischen Rundfunk.

Preisgekrönte Jazz-Sendung auf BR-KLASSIK

Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer überraschen sich und Sie mit aktuellen Jazzalben. Dieses Format wurde mit dem Deutschen Radiopreis 2022 als "Beste Sendung" ausgezeichnet, hier die 18. Ausgabe von "Hören wir Gutes und reden darüber".

Von links: Joe Kienemann (Musiker) und Axel Linstädt (ehem. Leiter PB BR-Klassik, Bayerischer Rundfunk). | Bildquelle: BR/Julia Müller Joe Kienemann (links) im Funkhaus des BR in München mit Axel Linstädt (ehem. Leiter von BR-Klassik). | Bildquelle: BR/Julia Müller Joe hieß er da bereits. Oder jedenfalls nannte man ihn so. Wie das kam, schilderte er einmal in einem BR-KLASSIK-Interview dem Kollegen Falk Häfner: "Ich heiße eigentlich 'Hans Walter' mit Vornamen. Dieser Name 'Joe' kommt aus dem Englischunterricht in der Schule. Da haben wir ein amerikanisches Stück gelesen, in englischer Sprache und mit verteilten Rollen. Und ich kam halt ein Dutzendmal dran und musste immer sagen: 'All right, Joe'. Ich selber war gar nicht der Joe, das war ein anderer. Aber ich hab halt zwölfmal gesagt 'All right, Joe', und in der Pause kamen dann alle Klassenkameraden und sagten: 'All right, Joe'. Und von da an an hieß ich Joe."

Lust an der Sprache

Lange vor seinen Radio-Tagen war also aus einem Hans-Walter ein Joe Kienemann geworden. Das passte später bestens zu seiner Musik und seiner Rolle im Radio. Kienemann wurde zu einer Institution in Bayern, Träger des Bayerischen Jazzpreises und des Schwabinger Kunstpreises. In vielen hundert Sendungen hörte man seine gelassen sonore Stimme, der es nie um die eigene Wirkung ging, sondern um die Sache. Kein aufgekratzter Showman des Radios, sondern ein Musik-Vermittler.

Lust an Sprache spürte man in seinen Moderationen – und Lust am Pointen-Setzen. Es waren keine dürren Info-Ketten eines Fakten-Hubers, sondern lebendige Erzählungen voller poetischer Gedankenbilder. Damit hat er Maßstäbe gesetzt für viele seiner Nachfolger. Jazz, so konnte man bei Joe Kienemann immer hören und spüren, ist eine Musik mit besonderer sinnlicher Präsenz. Kaum eine andere Musik bietet so viele Möglichkeiten zum Ausdruck von Emotionen und Individualität. Das stellte Joe Kienemann stets elegant und in Worten von literarischer Feinheit heraus. Könnte man das Folgende denn schöner, pointierter, eleganter sagen?

Ausschnitt aus einer Moderation von Joe Kienemann aus dem Jahr 2002

"Das unbegleitete Jazzduo-Spiel stellt eine ungeheure Herausforderung für die Beteiligten dar. Es ist ein Tanz auf hohem Seil. Da heißt es Gleichgewicht halten zwischen Absolutheit und Bezogenheit, Individualität und Übereinstimmung, Aktion und Reaktion der Partner. Ihre Freiheit heißt Exponiertheit."

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Nun gehören unsere Herzen | Bildquelle: Joe Kienemann Trio - Topic (via YouTube)

Nun gehören unsere Herzen

2003 ging Kienemann in den Ruhestand – als Radio-Mann. Und freute sich besonders darauf, von da an sehr viel Zeit zum Klavierspielen zu haben. Was er bis in die jüngere Zeit regelmäßig zu Auftritten etwa in der Münchner "Unterfahrt", im Carl-Orff-Saal sowie an unterschiedlichen Orten in ganz Bayern nutzte. Auch einige sehr geschmackvolle Alben gibt es von ihm und seinem Trio. Zum Beispiel "Celebrating Life" von 2014 oder auch, man beachte den Kienemann-typischen Wortwitz im Titel, "Pray Jazz – Melodien zum Niederknien", mit einer Auswahl von Spirituals und Gospels, von 2010. Joe Kienemann, Pianist, Moderator, Vorbild von Kolleginnen und Kollegen, Anwalt vieler Musikerinnen und Zuhörer: Wir gratulieren herzlich zum fünfundachtzigsten Geburtstag!

Joe Kienemann auf BR-Klassik

BR-KLASSIK würdigt seinen langjährigen Moderator Joe Kienemann am 11. Mai 2023 mit einer Geburtstags-Jazztime ab 23:05 im Radio.

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

    AV-Player