Warschau, 2. April 1842. Eine schwarze Kutsche rollt durch die Straßen der polnischen Hauptstadt – einer Hauptstadt, die seit Jahrzehnten unter russischer Fremdherrschaft steht. Die ersehnte Unabhängigkeit wird der Reisende in der Kutsche den Polen nicht bringen. Aber neue Hoffnung.
Bildquelle: Ernst Burger: "Franz Liszt in der Photographie seiner Zeit", München 2003
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Franz Liszt weiß, wie er sein Publikum verzaubern kann. Für die Polen hat er etwas ganz Besonderes aus Paris mitgebracht: neue Kompositionen ihres berühmten Landsmannes Frédéric Chopin. Mit den Polonaisen und Mazurken seines Freundes weckt er den Patriotismus der Polen von neuem. Und Liszt treibt es auf die Spitze: Nach einem üppigen Dinner unter polnischen Adligen setzt sich Liszt an den Flügel und beginnt über "Jezce Polska nie zginela" zu improvisieren. "Noch ist Polen nicht verloren". Ein Affront gegen die russische Herrschaft!
Noch in derselben Nacht schickt das Polizeipräsidium eine Nachricht nach St. Petersburg und warnt vor den "revolutionären Umtrieben" des ungarischen Pianisten. Mit steinerner Miene nimmt der Zar Nikolaus I. Kenntnis davon. Schon bei Liszts erster Russlandreise hatte es eine Auseinandersetzung zwischen den beiden gegeben. Liszt hatte sich als treuer Frankreich-Anhänger geweigert, ein Benefizkonzert für russische Kriegsveterane zu geben, die gegen Napoleon gekämpft hatten. Verärgert gab der Zar dem Virtuosen zu verstehen, dass ihm weder seine langen Haare noch seine politische Einstellung gefielen. Liszt entgegnete stolz: "In Paris habe ich meine Haare wachsen lassen und nur in Paris werde ich sie abschneiden. Was meine politischen Ansichten angeht, ich vertrete keine und noch werde ich jemals welche vertreten, solange mir nicht 300.000 Bajonette zur Verfügung stehen, um sie zu verteidigen."
Die Reise führt Liszt auch diesmal nach Russland. Als er Mitte April in St. Petersburg eintrifft, erwartet ihn ein eisiger Empfang. Auf Schritt und Tritt wird Liszt überwacht und der Zar lässt sich in keinem seiner Konzerte blicken – ganz anders als die Zarin. Sie hält Liszt die Treue – wie so viele seiner weiblichen Fans.
Und Liszt versteht es, auch die Herzen des russischen Publikums zu erobern. Für seine Improvisation wählt er ein Thema aus Glinkas Oper "Ein Leben für den Zaren!". Ein geschickter Schachzug, der den grollenden Zaren jedoch kalt lässt. Bald darauf zieht es Liszt weiter – in Richtung Moskau. Zu einer Versöhnung mit dem Zaren wird es nie kommen.
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Sendung: "Allegro" am 2. April 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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