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Kostprobe | 09.06.2024 Der Kult um den Wahnsinn

Eine schlichte Melodie, über die dann improvisiert wurde, sorgte im 17. Jahrhundert für Begeisterung. "La Folia" erschien in unzähligen Bearbeitungen. Das Ensemble Concerto 1700 führt virtuos in Salons und Palazzi, aber auch auf Straßen und in Tavernen. Denn egal wo: Die Leute waren süchtig nach dieser Musik.

CD-Cover: Back to Follia | Bildquelle: 1700 classics

Bildquelle: 1700 classics

"Das Getöse ist so groß und der Klang so hastig, dass die Tänzer den Eindruck erwecken, nicht bei Verstand zu sein. Und so wurde dieser Tanz "Folia" genannt, und das bedeutet töricht, wahnsinnig – aber auch hohlköpfig."

So ein Chronist um das Jahr 1600 über eine Melodie aus zweimal acht Takten. Ganz schlicht, über einem immer gleichen Bass-Gerüst, aber gerade deswegen perfekt als Grundlage für allerlei Improvisationen. Und zum Tanzen. "La Folia" ließ die Leute ausrasten. Man gab sich diesem klingenden Wahnsinn mit dem ganzen Körper hin, auf den Gassen, in den Tavernen, wo immer sich Gelegenheit bot. Angeblich mit einer derartigen Zügellosigkeit, dass strenge Sittenwächter keinen anderen Ausweg sahen, diese enthemmende Partydroge der Barockzeit zeitweise zu verbieten.

Ein Ohrwurm

Später machten prominente Komponisten des 17. Jahrhunderts wie Arcangelo Corelli, Antonio Vivaldi oder sogar der russische Melancholiker Sergej Rachmaninow in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts Meisterwerke aus dieser schlichten Melodie, die man nicht mehr vergisst, wenn man sie einmal gehört hat.

In einer neuen Aufnahme des Ensembles Concerto 1700 unter Daniel Pinteño geht es aber nicht um diese großen, bis heute populären Kompositionen, sondern um "La Folia" und ihre tänzerischen Verwandten sozusagen in der Urform. Also größtenteils improvisiert und mit Instrumenten, die auch in der damaligen Straßenmusik verwendet wurden: Gitarre, Violine, allerlei Trommeln, auch ein richtig jazziger Kontrabass ist dabei. Entsprechend klingt es auch: manchmal leicht schräg, aber immer scharf gewürzt.

Mit Trommeln und Kastagnetten

Viele der Stücke, die meistens aus Spanien kommen, haben Wiedererkennungswert. Denn außer der Folia knöpfen sich die Musiker von Concerto 1700 auch Highlights der damaligen Zeit wie den Hit-verdächtigen Fandango von Padre Antonio Soler vor, spucken in die Hände und schwingen Trommeln und Kastagnetten.

Das Einzige Nicht-Authentische an dieser Aufnahme: So perfekt auf den Punkt wird es vor fast 400 Jahren wohl nicht geklungen haben. Wem eine analoge Reise in die Hitze des Südens momentan zu anstrengend erscheint, der ist mit dieser mediterranen Aufforderung zum Tanz bestens beraten: Ein kühles Getränk, ab in den Schatten und diese Musik auf die Ohren. Das ist Sommer.

Back to Follia

Concerto 1700
Daniel Pinteño, Leitung
Label: 1700 classics

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 9. Juni 2024, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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