Warum sollte man zur Einhornjagd nie ohne Jungfrau aufbrechen? Das Ensemble Céladon singt über die Geheimnisse des mittelalterlichen Minnedienstes.
Bildquelle: Ricercar
Wie ein Einhorn bin ich: wenn es außer sich beim Anblick der Jungfrau, den Blick nicht mehr von ihr lassen kann. So süß ist des Einhorns Unbehagen, dass es ohnmächtig vor der Jungfrau zu Boden geht und dann erst den tödlichen Verrat bemerkt.
Um diesen Liedtext aus dem Mittelalter von Thibault de Champagne zu verstehen, braucht es zumindest grundlegende Kenntnisse der Einhornjagd: Wer eines fangen will, sollte unbedingt eine Jungfrau mit auf die Pirsch nehmen, denn denen sind die scheuen Tiere verfallen. Nicht selten bleiben Einhörner beim Anblick einer Jungfrau wie versteinert stehen und sind dann leichte Beute. Nun sind Berichte über Einhorn-Sichtungen seit dem Mittelalter stark zurückgegangen, auch Jungfrauen stehen seltener als Jagdgenossinnen zur Verfügung. Das Einhorn ist bei Thibault de Champagne freilich nur ein Bild für die verheerende Wirkung der Dame seines Herzens auf ihn selbst, Hashtag Liebeskummer, die Zeitgenossen hätten es wohl Herzeleid genannt. Ein Ausflug in die mittelalterliche Welt des fin'amors, dem französischen Pendant zur Minne, scheint allemal verlockend. Das Ensemble Céladon bietet sich als Reiseführer an.
Ihren Ausgang nahm die höfische Liebesdichtung in Okzitanien, im heutigen Südfrankreich. Die dortigen Troubadoure des 12. und 13. Jahrhunderts fanden in den nordfranzösischen Trouvères und den Minnesängern im deutschen Sprachraum Nachahmer. Das Ensemble Céladon hat diese Überlieferungstradition nachvollzogen: Das Album Nuits occitans, okzitanische Nächte von 2013, das inzwischen neu aufgelegt wurde, legte den Grundstein. Es folgte eine CD mit mittelhochdeutschen Minneliedern von Walther von der Vogelweide und Co. Das neue Album mit dem Repertoire der nordfranzösischen Trouvères macht die Trias nun komplett.
Nach Weltmusik klingen die Tracks bisweilen. Und es gibt viel kreativ genutzten Raum zur Improvisation. Das liegt in der der Natur der Sache. Denn Angaben, wie diese mittelalterlichen Lieder zu begleiten sind, sind nicht überliefert. Das Ensemble Céladon versucht eine Annährung über zeitgenössische Abbildungen, wie die auf dem CD-Cover. Sie zeigt in gedeckten Herbst-Farben vor goldenem Hintergrund einen Trommler und einen Dudelsackspieler, die eine adelige Gesellschaft beim Tanz begleiten. Die wenigen überlieferten Instrumentalstücke machen das Repertoire der Aufnahme besonders. Und vor allem auch ein Lied von Maroie de Diergnau, einer der wenigen Frauen dieses Genres, deren Musik überliefert ist.
Fazit: Für Mittelalter- und Einhorn-Fans gleichermaßen ist dieses Album mit Trouvère-Musik ein absolutes Muss.
Trouvère-Lieder von Thibault de Champagne, Maroie de Diergnau, Gautier de Coincy, Étienne de Meaux, Guiot de Dijon
Ensemble Céladon, Leitung: Paulin Bündgen
Label: Ricercar
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 14. Juli 2024, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK