Der griechische Gott Hypnos konnte die Menschen in tiefen Schlaf versetzen. Diese CD hält einen aber trotz dieses Schirmherren hellwach. Das Ensemble La Tempête und sein Leiter Simon-Pierre Bestion malen ein dunkel leuchtendes Bild zum Thema Requiem, der ewigen Ruhe. Und das quer durch die musikalischen Jahrhunderte.
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Ungewöhnliche Klänge für eine Alte Musik-CD. Der Komponist: Giacinto Scelsi, das Ensemble: Simon-Pierre Bestion und La Tempête. Bei dem Namen klingen dem einen oder der anderen jetzt vielleicht schon die Ohren. Von genial bis völlig überinterpretiert spreizen sich die Einschätzungen. Überraschend sind seine Interpretationen aber allemal, auch wenn man seinen Stil inzwischen kennt. Hier nimmt er sich nun das Requiem vor. Simon-Pierre Bestion baut sich seine eigene, locker gefügte Messe zusammen und bedient sich dafür aus dem Repertoire, das die Musik des Mittelalters, der Renaissance und eben der Neuen Musik zu bieten hat.
Dabei ist Scelsis kurzer, mikrotonaler Satz "Requiem" aus den Tre Canti Sacri, auch schon das avancierteste Stück der CD. Die Werke und Werksätze von Olivier Greif, Marcel Pérès und John Tavener sind in ihren Texturen milder, die Verbindung mit den Gesängen der Alten Musik ist fließend und unauffällig.
Alle 13 Stücke stammen von verschiedenen Komponisten, kein Komponist findet sich zweimal. Dass das Gesamtbild, vielleicht kann man von einer Art Collage sprechen, nicht auseinanderbricht, sondern im Gegenteil, eine ganz eigene Dramaturgie entwickelt, das ist ein besonderes Talent von Simon-Pierre Bestion. Sein Hauptkriterium für die Auswahl der Stücke ist vor allem ihre Anmutung. Und für die hat er einen Titel gefunden, der die Phantasie anregt: Der Name "Hypnos" prangt auf dem Cover, der griechische Gott des Schlafs. Bestion lässt sich komplett auf die Emotionalität der Musik ein, freilich ohne dabei die historische Aufführungspraxis aus den Augen zu verlieren.
Aber auch hier geht er eigene Wege. Die Musik etwa von Pierre de Manchicourt, Ludwig Senfl, Pedro Escobár und die beiden mittelalterlichen Gesänge sind nahezu durchgängig verziert. Vorbild ist primär der Mittelmeerraum und die byzantinische Musik. Das ist natürlich spekulativ, aber ein äußerst lebendiger Beitrag zur Erforschung vergangener Gesangspraktiken. Die Sängerinnen und Sänger von La Tempête nehmen uns mit auf eine, ganz dem Titel entsprechend, wahrlich hypnotische Reise. Und das i-Tüpfelchen dieses Konzepts ist eine dezente, aber deutliche Instrumentierung. Nur zwei Klangfarben spiegeln die beiden musikalischen Sphären wider: ein Zink und eine moderne Bassklarinette. Was leicht aufgesetzt wirken könnte, wird unter den Händen von Simon-Pierre Bestion zu einer seriösen musikalischen Äußerung mit einem Charisma, dem man sich nur schwer entziehen kann.
Heinrich Isaac, Ludwig Senfl, Antoine de Févin, Olivier Greif, Giacinto Scelsi, John Tavener, Pedro de Escobar
La Tempête, Leitung: Simon-Pierre Bestion
Label: Alpha
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 20. Februar 2022, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK