Die Oper ist schon erfunden, also konzentriert sich Giacomo Carissimi auf das Oratorium. Ausdrucksstarke Vertonungen Alttestamentarischer Erzählung sind seine Stärke – Zeitgenossen genau wie Nachgeborene sind beeindruckt.
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Als Giacomo Carissimi 1605 geboren wird, sind Jacopo Peri, Giulio Caccini und Claudio Monteverdi gerade dabei, die Oper zu entwickeln und zu etablieren. Carissimi, dessen erster nachweisbarer Wirkungsort der Dom in Tivoli ist, wo er zunächst singt und später Orgel spielt, wird sich einer anderen Gattung zuwenden. Und diese Gattung nachhaltig prägen, das Oratorium.
Die geistliche Kantate und das Oratorium – die Grenzen sind Mitte des 17. Jahrhunderts fließend – etablieren sich etwas später als die Oper, bedienen sich aber ähnlicher musikalischer Zutaten. Da gibt es Arien, rein instrumentale Abschnitte und Rezitative. Schon Carissimis Zeitgenossen sind voll des Lobes angesichts seiner ausdruckstarken Kompositionen, doch auch hundert Jahre später noch kann man in Johann Matthesons Schrift "Der vollkommene Capellmeister" über Carissimis Meisterschaft lesen:
"Die allerersten Cantaten, mit dem heutiges Tages üblichen Recitativ, hat der berühmte Capellmeister am Teutschen Collegio zu Rom, Giacomo Carissimi ums Jahr 1650 gesetzt; und zwar Nota bene nur geistlichen Inhalts. Es findet sich unter denselben eine vom jüngsten Gerichte, die mit dem Recitativ: Suonerà l’ultima Tromba anfängt, und auch mit dergleichen Satze schliesset." (Johann Mattheson "Der vollkommene Capellmeister“, 1739)
"Die italiänischen Musici hätten damahls auf den Carißimi gestichelt, und ihn nur den musikalischen Redner genannt"
Auch das weiß Mattheson zu berichten, und fügt dann noch an: "Solche Stichelworte sollten manchem sehr angenehm seyn." (Johann Mattheson "Grundlage einer Ehrenpforte", 1740)
Carissmis Oratorien sind eher kurz, nicht mal eine halbe Stunde lang. Manche sind auf lateinisch, manche auf italienisch. Sie erzählen affektvoll meist Geschichten aus dem Alten Testament. Seine musikalisch-rhetorischen Figuren, seine Rezitative, auch seine Chöre zeigen, wie die Musik die Handlung verstärken kann. Etliche spätere Komponisten lassen sich von ihm beeinflussen. Marc-Antoine Charpentier ist drei Jahre lang sein Schüler, Händel wird ihn in seinem Oratorium Samson zitieren.
1637 wird Carissimi zum Priester geweiht. Er habe ein bescheidenes Leben geführt und sei gelegentlich melancholisch gewesen, wird über ihn berichtet. Und er war seiner Wirkungsstätte, dem Collegium Germanicum et Hungaricum in Rom, treu. Mehrere Male schlug er Angebote aus, etwa an den Kaiserhof oder an den Markusdom in Rom.
Papst Clemens X. entscheidet, dass Giacomo Carissimis Handschriften in einem Archiv aufbewahrt und niemals verkauft werden sollen. Knapp hundert Jahre nach Carissimis Tod allerdings wird das Archiv zerstört. Wie gut, dass etliche Werke auch im Druck erschienen sind und sich längst weit verbreitet hatten.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 14. Januar 2024, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK