17. März 1824: Ein Zeitungskritiker rechnet mit Beethovens letzter Klaviersonate ab. Dieser Kritiker heißt Adolph Bernhard Marx und ist eigentlich ein bekennender Beethoven-Fan, ach was: ein glühender Anhänger. Und jetzt steht da in der Zeitung ein "Brief an den Redakteur". "Sie werden sich wundern", schreibt Marx, "statt der mir gefälligst aufgetragenen Recension der Sonate diese selbst zurück zu erhalten. Ich kann sie nicht recensieren."
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(Bild: Manuskript von Beethovens Klaviersonate Opus 111)
Er ist raffiniert, der Herr Marx. Denn statt der Besprechung sendet er dem Redakteur ein fiktives Gespräch: Da spielt er die Rolle eines in Ehren ergrauten Musikkritikers, der mit allen Wassern gewaschen ist und weiß, wie Kunst funktioniert. Er trifft auf einen jungen Kollegen und erklärt ihm, dass Beethoven überhaupt nie nicht gehört hat auf all die wohlmeinenden Ratschläge. Dass er stattdessen immer noch verschrobener wurde. Keine Regeln eingehalten habe, alles exzentrisch und überladen sei. Solche Dinge. Daher müsse ER, der Herr Kritiker, jetzt halt auch leider die furchtbare Sonate op. 111 in der Luft zerreißen.
Doch jetzt kommt dieser junge Kollege daher, dieser Rotzlöffel, und versucht IHM, dem Großkritiker, in jedem einzelnen Takt zu beweisen, dass all die alten Regeln und Kriterien nichts mehr gelten. Denn Beethoven betrete mit der Sonate eine neue Welt, eine neue Zeit, und in der sei nichts mehr klassisch ausgewogen, sondern subjektiv und organisch und wild und unerhört. Der alte Kritiker ist erst überheblich, dann polemisch, dann larmoyant, dann verunsichert, und dann still. "Wenn Werke, die aller unserer Regeln spotten, so feurige Anhänger gewinnen", sagt er, "so verstumme ich".
Und jetzt? Beginnt das, was man später die Romantik nennen wird. Adolph Bernhard Marx war einer ihrer ersten Apologeten …
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Beethoven: Sonata Op.111 No.32 in C Minor (Uchida)
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Sendung: "Allegro" am 17. März 2022 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK