Mit seinen dem frühen Jazz verwandten Rhythmen zählt Anton Dvořáks Streichquartett op. 96. zu den Schlüsselwerken, die der tschechische Komponist zwischen 1892 und 1894 in Amerika schrieb. Sein jüngster Sohn Otakar, der nach dem Tod des Vaters das Museum des Dvořák-Hauses in Vysoka leitete, erinnerte sich als 72-Jähriger 1957 in einem Gespräch mit Radio Prag an die amerikanischen Jahre. BR-KLASSIK stellt in seinem Beitrag das "Amerikanische Quartett" vor und lässt dafür auch Dvořáks Sohn mit Auszügen aus eben jenem Gespräch zu Wort kommen.
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"Die Seele des Komponisten brauchte Ruhe. Sie brauchte einen einfachen und schlichten Ort, kein Ausflugszentrum, kein Berghotel. Er brauchte, wie in der Heimat, ein wenig Dorfplatz, ein wenig Ernte, ein bisschen Plauderei übers Wetter. Das fehlte in New York, das bot Spillville." Das schreibt Dvořák-Biograph Miroslav Ivanov über den kleinen Ort 350 Kilometer westlich von Chicago. Hier verbringt Antonín Dvořák die Sommermonate des Jahres 1893, hier kann er sich erholen von der hektischen Großstadt New York, wo er seit einem Jahr Direktor des Konservatoriums ist.
In nur zwei Wochen komponiert er – inspiriert von der Landschaft am Turkey River – sein Streichquartett op. 96. Ein Werk, das auch die Einflüsse widerspiegelt, die auf den Europäer Dvořák aus der neuen Welt des Jazz einwirken. An manchen Stellen, wie etwa in der Durchführung des Kopfsatzes von op. 96, notiert Dvořák eine Rhythmik, die die klassische Streichquartettbesetzung vollends in eine groovende Jazzband zu verwandeln scheint. Neben Vertrautem entdeckt Dvořák in Spillville auch Neues. Er lauscht den Trillern von Vögeln mit sonderbar bunten Federn, die am Turkey River umherschwirren; und schreibt sie - so ähnlich jedenfalls – für den dritten Satz, das Scherzo, auf.
Antonín Dvořák mit seiner Familie in New York | Bildquelle: picture-alliance / akg-images Unter den Ausstellungsstücken des Dvořák-Hauses im böhmischen Vysoka findet sich auch das Manuskript von Dvořáks op. 96. Dessen Entstehungsgeschichte hat Sohn Otakar, ehemaliger Museumsdirektor in Vysoka als kleiner Junge hautnah miterlebt. Wie er in einem Gespräch für Radio Prag im jahr 1957 erläuterte: "Einmal geschah es in Spillville, dass mein Vater nach dem Essen sagte: Otokar, nimm deinen Freund und wir gehen zum Turkey River. Ich liege im Gras und höre den Vögeln zu und du kannst mit deinem Freund Fische fangen. Da gingen also mein Vater, mein Freund Kapler und ich los. Am Fluss holten wir unsere Angeln raus und mein Vater legte sich ins Gras. Wir hatten die Köder an die Haken gesteckt und die Angeln ausgeworfen, da kam mein Vater zu uns, und sagte: "Packt ein, wir gehen nach Hause." "Was, wieso willst du jetzt schon wieder zurück", fragte ich völlig überrascht. Und er antwortete mit ganz trockenem Ton: "Ich habe meine Manschetten schon vollgeschrieben und es gibt keinen Platz mehr, um noch Weiteres hinzuzufügen."
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Keine originalen indigenen Melodien
Dem Thema aus dem zweiten Satz von Dvořáks op. 96 wird gerne angedichtet, dass sie eine Indianermelodie sei. Dazu hat sich Dvořák selbst in einem Gespräch geäußert: "Tatsächlich benutze ich keine der indianischen Melodien. Ich habe originäre Themen geschrieben, in denen die Besonderheiten der indianischen Musik enthalten sind, und, diese Themen als Anregung benutzend, entwickelte ich danach mein Werk, mit allen Mitteln der Harmonie, des Kontrapunktes, der Orchestrierung und des modernen Rhythmus."
Schnelle Arbeit
"Dieses Quartett hat mein Vater in viereinhalb Tagen niedergeschrieben", sagt Otakar. "Das ist eine Wahnsinns-Leistung für einen Komponisten. Und auch Antonin Dvořák ist das nur einmal gelungen. Am Ende hat er unter die Noten geschrieben: 'Ich bin überaus glücklich, es ging sehr schnell'. Ich glaube, er hat sich selber darüber gewundert, dass er so schnell fertig war."
Die Tinte von Dvořáks Musik made in Spillville war kaum trocken, da wurde er auch schon in seiner sommerlichen Idylle aufgeschreckt. Die Chicagoer Tschechen wollten ihren berühmten Landsmann auf der Weltausstellung präsentieren, mit einem grandiosen Konzert am 12. August 1893, dem Tag der Tschechen. Das Konzert in der "Festival Hall" von Chicago wurde zum unvergesslichen Ereignis, das in stürmischen Ovationen an den Meister endete. Rückblickend auf die Schaffenszeit in Spilleville resümierte Dvořák selbst: "Diese Werke kann ich ruhig zu meinen besten, originellsten zählen. Auch die gesamte Kritik urteilte so und eine Zeitung, der New York Herald, schrieb sogar: Warum kam dieser Dvořák nicht schon früher in unser Land, wenn er hier in Amerika eine solche Musik schreiben kann?"
Antonín Dvořák:
Streichquartett Nr. 12, F-Dur op. 96, "Amerikanisches Quartett"
Stamitz Quartet
Label: Brilliant
Sendung: "Das starke Stück" am 19. März 2024, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK