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Emahoy Tsegué-Maryam Guèbrou Äthiopische Nonne und Klavier-Legende

Addis Abeba, 12. Dezember 1923: Die äthiopische Komponistin, Pianistin und Nonne Emahoy Tsegué-Maryam Guèbrou wird geboren. Sie kam aus der reichen Oberschicht Äthiopiens, sprach sieben Sprachen, und ihr stand ein Jet-Set-Leben zwischen Zürich und Kairo bevor. Doch die Liebe zur Musik führte sie ins Kloster.

Emahoy Tsegué-Maryam Guèbrou | Bildquelle: PR

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Relaxte Klaviermusik weht durch das Kloster. Sie kommt aus einer kleinen Kammer, die Wände über und über mit Ikonen behängt, große und kleine, alle bunt und fröhlich. Eine Pritsche, ein kleiner Fernseher – und an der Wand das Klavier, auf dem das stolze Foto des letzten Kaisers von Äthiopien steht und ein eingerahmtes Konzertplakat. Lässig und locker gleiten die Hände der alten Nonne über die Tasten, ein gelassenes Lächeln unter den dunklen Augen, die schon so viel gesehen haben.

"Was Komponieren bedeutet?", sinniert sie, "wenn ich Probleme habe, gehe ich damit ans Klavier. Wenn es gute Neuigkeiten gibt, gehe ich damit ans Klavier. Wenn ich traurig bin, weil jemand gestorben ist, gehe ich damit ans Klavier. Das Klavier hat meine Probleme, meine Freude geteilt, alles."

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Labyrinth of Belonging Trailer | Bildquelle: Emahoy Music Foundation & Publisher (via YouTube)

Labyrinth of Belonging Trailer

Wer war Emahoy Tsegué-Maryam Guèbrou?

"Piano Queen" – so nennt man Emahoy Tségue-Maryam Guèbrou in ihrer Heimat Äthiopien. Sie stammt aus einer wohlhabenden abessinischen Familie, verbringt ihre Grundschulzeit in einem edlen Schweizer Internat und begeistert sich, zurück in Addis Abeba, für Mode und Musik. Dann kommt der Krieg, Mussolini besetzt Äthiopien, die Familie wird kurzzeitig nach Italien deportiert. Doch all das kann die musikbegeisterte Teenagerin nicht aufhalten: Es zieht sie ins pulsierende Kairo, wo sie Violine studiert. Mit 21 Jahren ist Guèbrou zurück in Äthiopien, eine selbstbewusste, lebenslustige Frau, die Auto fährt, vor dem Kaiser singt und in London Musik studieren will.

Rückzug ins Kloster

Doch dann platzt der Traum. Eine Intrige bringt Guèbrou um die ersehnte Reiseerlaubnis. Sie versinkt in Depressionen, ist dem Tode nah – und entscheidet sich für ein Leben als Ordensschwester. Ihr Rückzugsort: ein entlegenes Kloster in den Bergen. "Ich zog meine Schuhe aus und lief zehn Jahre lang barfuß. Keine Schuhe, keine Musik, nur Gebet."

Klaviermusik aus Äthiopien

Aber die Musik lässt sie nicht los. Mit Mitte dreißig kehrt Guèbrou nach Addis Abeba zurück und beginnt zu komponieren: eine eigenwillige Mischung aus klassischer Klaviermusik, äthiopischer Pentatonik, Blues und Ragtime. Die Titel ihrer Stücke heißen "Homesickness" oder "Golgotha", sie sind dem Andenken verstorbener Familienmitglieder gewidmet oder beschwören Erinnerungen herauf. Ganz entspannt perlt diese Musik dahin, in der sich Melancholie und Fröhlichkeit zu einer einzigartigen Symbiose vereinen.

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Maryam (Emahoy Tsegué Short) | Bildquelle: homer gefen (via YouTube)

Maryam (Emahoy Tsegué Short)

"Honky Tonk Nun"

Als Ordensschwester und Pianistin, als "Honky Tonk Nun", folgt Emahoy Tsegué-Maryam nun einer doppelten Berufung. Wenn sie Platten aufnimmt (auch in Deutschland) und (selten) Konzerte gibt, geht der Erlös an Waisenhäuser. Sie reist viel, arbeitet für den koptischen Patriarchen. Und dann folgt nochmal ein Lebenseinschnitt: Äthiopien wird sozialistische Militärdiktatur, versinkt in Bürgerkrieg und Hungersnot. 1984 flieht Emahoy nach Jerusalem und bezieht ihr Zimmerchen im äthiopisch-orthodoxen Kloster. Hier ist sie endlich angekommen: Fast vier Jahrzehnte lang wird sie das Kloster mit ihren Klängen erfüllen. Als sie 2023 stirbt, ist sie fast 100 Jahre alt.

Wir können nicht immer wählen, was das Leben uns beschert, aber wie wir darauf antworten, liegt bei uns.
Emahoy Tsegué-Maryam Guèbrou

Was heute geschah

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 12:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 12. Dezember 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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