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Der Musiker Harry Partch Genie oder Scharlatan?

Oakland, Kalifornien, 24. Juni 1901. Harry Partch wird geboren. Für die einen ist er einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, andere hielten ihn für einen Scharlatan. Harry Partch hat mit seiner mikrotonalen Musik neue Klangräume erschaffen – und die passenden Instrumente gleich dazu.

Harry Partch | Bildquelle: Schott-Archiv Peter Andersen 1972

Bildquelle: Schott-Archiv Peter Andersen 1972

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"Ich will wirklich hoffen, dass wir nicht in ein Zeitalter eintreten, in dem die einzigen Musiker von Bedeutung diejenigen sind, denen das Zitieren von Bach, Beethoven, Brahms und Tschaikowsky leicht von der Hand geht." Irgendwann hat Harry Partch genug. Genug von der westlichen Musik, genug von der Wohltemperierten Stimmung und genug davon, sich Geld für seine Arbeit von Stiftungen und Universitäten zusammen zu betteln. Er ist 34 Jahre alt und gerade von einer Studienreise aus Europa zurückgekehrt. Das Geld ist knapp, die Wirtschaftskrise in den USA in vollem Gange, und an Komponieren ist nicht zu denken. Partch verbrennt seine Manuskripte und macht sich auf, ohne Ziel.

Als Gelegenheitsarbeiter unterwegs

Die nächsten Jahre wandert er als Hobo, als obdachloser Gelegenheitsarbeiter, durch die Vereinigten Staaten und fährt als blinder Passagier auf Güterzügen durchs Land. An einem Autobahnkreuz bei Barstow in Kalifornien entdeckt er Graffiti, die die Hobos vor ihm hinterlassen haben: "Es ist der 26. Januar, und ich friere. Ed Fitzgerald, 19 Jahre. Ein Meter 80, schwarzes Haar, braune Augen. Ich wünschte, ich wäre tot, aber heute bin ich ein Mann." Aus diesem und anderen Textfragmenten entsteht sein Werk "Eight Hitchhiker Inscriptions", acht Inschriften von Trampern, für Gesang und Veränderte Gitarre.

Eigene Instrumente und Stimmungen

Cloud Chamber Bowls | Bildquelle: picture-alliance/dpa Cloud Chamber Bowls, eine Erfindung von Harry Partch. Sie werden in der Washington University in Seattle aufbewahrt. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Schon als junger Mann fragt sich Partch, der als Jugendlicher in Stummfilmkinos Klavier gespielt und Musik an der University of Southern California studiert hat, wieso eigentlich die gesamte westliche Musik auf nur 12 Tönen aufgebaut ist. 1923 entdeckt Partch dann die Schrift "Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik" des deutschen Universalgelehrten und Hobbypianisten Hermann von Helmholtz. Darin versucht von Helmholtz, Physik und Physiologie, Musikwissenschaft und Ästhetik, Akustik und Sinneseindrücke zueinander zu bringen. Eine seiner Entwicklungen: ein Harmonium, das in reiner Stimmung intoniert ist.

György Ligeti oder Paul Simon bewundern Partchs Musik

Auch Harry Partch entwickelt seine eigene Stimmung – und weil es dafür keine Instrumente gibt, baut er sie selbst. Sein Chromelodeon ist ein Harmonium, das alle 43 Töne der Partch’schen Oktave spielen kann. Seine Schöpfungen werden heute in der Washington University in Seattle aufbewahrt – darunter eine zwei Meter große griechische Harfe, die riesige Marimba Eroica oder die sogenannten Cloud Chamber Bowls. Ein Schlaginstrument aus Glasschalen, die Partch sich im Strahlungslabor der University of California besorgt hatte.

Partchs Werke – Ballette, Kammermusik, eine Oper nach Oedipus Rex – hatten und haben viele Bewunderer, darunter György Ligeti oder den Songwriter Paul Simon. Aufgeführt werden sie allerdings selten – schließlich steht in keinem Konzertsaal der Welt ein Harmonium, auf dem man eine Oktave mit 43 Tönen findet.

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Harry Partch introducing The Bewitched, WTTW-Chicago, "Imprint", 1957 | Bildquelle: Neuma Records (via YouTube)

Harry Partch introducing The Bewitched, WTTW-Chicago, "Imprint", 1957

Was heute geschah

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Sendung: "Allegro" am 24. Juni 2024 um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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