Magdeburg, 11. April 1836: Der junge Richard Wagner schreibt einen Brief an den Gewandhaus-Kapellmeister Felix Mendelssohn. Der ist nur vier Jahre älter, aber schon richtig tief im Geschäft. Das ärgert Wagner – hindert ihn aber nicht daran, Mendelssohn für seine eigenen Zwecke auszunutzen.
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Etwas mulmig fühlt sich Richard Wagner schon, als er den Brief in den Umschlag steckt. Aber immerhin hat ihn Felix Mendelssohn selbst dazu ermutigt. Erst vor wenigen Tagen hat er persönlich die Bekanntschaft mit dem Kapellmeister des Gewandhauses gemacht. Beherzt packt Wagner also die Partitur seiner C-Dur-Symphonie dazu und schickt alles nach Leipzig zu Mendelssohn.
"Verehrter Herr! Ich führe den Streich aus, den Sie so gütig waren, im voraus einen gescheuten zu nennen, u. bitte Sie beiliegende Symphonie, die ich 18 Jahre alt schrieb, als Geschenk von mir anzunehmen; ich wüßte keine schönere Bestimmung. Vielleicht reicht sie hin, Ihnen einen Beweis meines redlichen Bestrebens und meines Fleißes zu geben, u. ich bedarf dieser günstigen Vormerkung von Ihnen, da Sie mich vielleicht verdammen würden, wenn Sie, ohne diese Basis meiner Studien zu kennen, sogleich meine neueren Kompositionen beurteilen sollten. Mit Verehrung Ihr ergebenster Richard Wagner Mus.Dir."
Insgeheim hofft Wagner, dass Mendelssohn seine Symphonie in Leipzig aufführt. Der reagiert jedoch überhaupt nicht. Wagner ist enttäuscht. Aber gegenüber seinem Freund Hans von Wolzogen gesteht er später auch: "Wie stümperhaft kam ich mir vor als junger Mann, nur vier Jahre jünger als Mendelssohn, der ich erst mühsam anfing Musik zu treiben, während jener schon ein ganz fertiger Musiker war."
Wagner ist erst 23, hat aber längst begriffen, dass seine wahre Bestimmung das Musiktheater ist. Nicht nur, weil er sich für ein Genie hält. "Ich nehme für jetzt gänzlich Abschied von dem Conzertsaal", schreibt Wagner an Theodor Apel bereits bevor der das Treffen mit Mendelssohn arrangiert hat. "Ich gebe mich den Flittern der Bühne hin; ich bin jetzt nur noch Opernkomponist."
Felix Mendelssohn Bartholdy | Bildquelle: picture alliance/Mary Evans Picture Library Gegenüber Mendelssohn verhält sich Wagner taktisch. Ein paar Jahre später sucht er ihn in Berlin auf, wo Mendelssohn seinen "Fliegenden Holländer" auf die Bühne bringt. Wagner dankt Mendelssohn dafür in einem schmeichlerischen Brief. "Mein lieber, lieber Mendelssohn, ich bin recht glücklich, daß Sie mir gut sind. Bin ich Ihnen ein klein wenig näher gekommen, so ist mir das Liebste von meiner ganzen Berliner Expedition." Sind sich Wagner und Mendelssohn wirklich persönlich näher gekommen? Wohl kaum. In seiner Autobiographie "Mein Leben", die Wagner viel später schreibt, liest sich das Ganze schon anders. Dass Mendelssohn auch bei diesem Treffen die Zusendung der Symphonie mit keinem Wort erwähnt, wurmt Wagner besonders: "Nach dem Schicksal der Partitur meiner großen Symphonie, frug ich ihn nicht; wogegen auch er in keiner Weise mir verriet, daß er sich dieses sonderbaren Geschenkes erinnere. In seiner reichlichen häuslichen Umgebung machte er einen kalten Eindruck auf mich, jedoch stieß er mich weniger ab, als ich vielmehr von ihm abglitt." Blanker Neid spricht aus diesen Worten.
1847 stirbt Mendelssohn. Drei Jahre später erscheint Wagners Schrift "Das Judenthum in der Musik", in der er Mendelssohns Musik mit völlig absurden Vorwürfen überhäuft. Erscheint die Schrift 1850 noch unter dem Pseudonym K. Freigedank, veröffentlicht Wagner sie im Jahr 1869 ein zweites Mal – diesmal unter seinem richtigen Namen. Inzwischen ist Wagner selbst als Komponist weltberühmt, weshalb das Pamphlet für umso mehr Wirbel sorgt. Wenigstens ist Mendelssohn die menschliche Enttäuschung erspart geblieben, dieses Machwerk lesen zu müssen.
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Richard Wagner - "Symphony in C Major"
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Sendung: "Allegro" am 11. April 2024 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK