Parma, 25. April 1893. Niccolò Paganinis Grab wird für den tschechischen Geiger Frantisek Ondricek geöffnet. Paganinis Sohn hat dies organisiert.
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25. April 1893
Paganinis Grab wird geöffnet
Es ist ein schöner Frühlingsmorgen. Warmes Sonnenlicht fällt auf die Marmorbüste, die der Gruppe schwarz gekleideter Menschen aus leeren Augen entgegenblickt. Es sind die ersten Friedhofsbesucher. Vor dem weißen Marmorbau mit der mächtigen Kuppel bleiben sie stehen. "Nicolo Paganini" prangt in goldenen Lettern auf dem Gewölbe.
Knirschend langsam bewegt sich die Grabplatte beiseite. Die Männer müssen kräftig zupacken, um Paganinis Sarg herauszuheben. Dann spricht der Priester ein Gebet. Wieder wird Paganinis Grabesruhe gestört. Als wäre die Odyssee des Toten nicht schon lange genug gewesen. 36 Jahre lang hatte Paganinis Sohn Achille darum kämpfen müssen, bis sein Vater, der "Teufelsgeiger", ein christliches Begräbnis bekam. Warum also die Graböffnung an diesem Frühlingsmorgen?
Der Geiger Frantisek Ondricek | Bildquelle: picture alliance/Heritage-Images
Vor wenigen Tagen hat Achille Paganini den tschechischen Geiger Frantisek Ondricek im Konzert erlebt. Sein atemberaubendes Spiel hat ihn so sehr an das seines Vaters erinnert, dass er dem Geiger anbot, Paganinis Mumie sehen zu dürfen. Ehrfürchtig tritt Ondricek an den Sarg heran. Diesen Anblick wird er nie vergessen: "Ich zitterte vor Aufregung und kann den erschütternden Eindruck dieses Augenblicks nicht beschreiben, der sich aber in tiefen Schmerz wandelte, als ich längere Zeit das fast versteinerte Antlitz des Künstlers anschaute, der vormals die ganze Welt mit seinem zauberhaften Bogen in Erstaunen versetzte."
Schwarze Haarlocken umrahmen das aschfahle Gesicht des Toten. Mit ihren eingefallenen Wangen und dem zahnlosen Mund bietet die Mumie zwar keinen schönen Anblick, aber von dem angeblich so dämonischen Aussehen des "Teufelsgeiger" ist nicht viel zu sehen. Zahlreiche Orden blinken auf Paganinis Frack. Ondricek erinnert sich: "Ich sah den Toten lange an, dieses traurige Ende jedes irdischen Ruhmes, dann trat ich still zurück."
Als die Arbeiter Paganinis Sarg zurücktragen, löst sich eine Schraube aus dem morschen Holz. Attila Paganini, der Enkel des großen Geigers, drückt sie dem verdutzten Ondricek in die Hand – "als Erinnerung an diesen heiligen Augenblick". Wie eine kostbare Reliquie verwahrt Ondricek das Metallstück in seinem Geigenkasten - drei Jahrzehnte lang. Nach Ondriceks Tod wird es – auf Wunsch des Verstorbenen – seiner Urne beigelegt.
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František Ondříček: Rhapsodie bohème, Op. 21 (live)
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