Gravesend, Themsemündung, in der Nacht zum 12. August 1839. Das Segelschiff "Thetis" geht leicht ramponiert vor Anker. An Bord, neben Erbsen und Hafer, ein riesiger Hund namens Robber. Ferner ein dicker Fisch, dem gleich diverse Schuldeneintreiber auf den Fersen sind. Sein Name: Richard Wagner. Und schließlich noch dessen Frau Minna, sechs Matrosen und Kapitän Wulff. Es war eine lange und vor allem beschwerliche Reise.
Bildquelle: Archiv des Bayerischen Rundfunks
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Keiner hat damit gerechnet, dass die Wagners mitten im Sommer im Skagerrak von orkanartigen Stürmen überrascht würden. Richard Wagner liegt leichenblass und steif wie ein Brett in der Kajüte des Kapitäns. Er glaubt bei jedem Knarzen der Takelage, der Leibhaftige, ein Gläubiger oder wenigstens der fliegende Holländer würde ihm erscheinen. Stattdessen belästigt ihn nur Matrose Koske. Wagner erinnert sich: "Zum Unglück war das Branntweinfass, aus welchem die Mannschaft sich während der harten Arbeit zu stärken hatte unter meiner Bank. Koske hatte jedesmal einen Kampf auf Leben und Tod mit Hund Robber zu bestehen, was mein Übelbefinden nur noch steigerte."
Kaum haben die Reisenden dieses Unwetter überstanden, wütet auf der Nordsee bereits das nächste. Ihr nur 25 Meter langes Segelboot wird von den Wasserwogen geschubst wie ein Papierschiffchen. Minna und Richard speien um die Wette und binden sich schließlich mit Tüchern aneinander, damit sie auch im Tod vereint wären. "Selbst der Kapitän schien es zu bereuen, uns an Bord genommen zu haben, da wir ihm offenbar Unglück gebracht hätten."
Alles schwankte fortgesetzt, der Boden, das Bett.
London mit dem Big Ben | Bildquelle: picture-alliance/dpa Im preußischen Pillau (heute: Baltijsk) hat Kapitän Wulff das Flüchtlingspaar aus Riga ohne Pässe auf das Schiff geschmuggelt. Zielort: London. Die Hauptstadt des Empire erreichen die Wagners dann auch, allerdings satteln sie für die letzten Kilometer auf ein ultramodernes Dampfschiff um. Alle, einschließlich dem geliebten Hund Robber, haben die Schnauze voll vom Segeln. Nach einer mehr als dreiwöchigen Reise gehen sie dann endlich in London von Bord. Das erste Mal spüren sie wieder festen Boden unter den Füßen! "Uns erfasste im Londoner Tumult ein freudig behaglicher Schwindel", schreibt Wagner. "Selbst Robber sprang wie besessen an den Straßenecken dahin. Nun hatten wir Zeit, uns dem Innewerden der Nachwirkungen von der Seefahrt bewusst zu werden. Alles schwankte fortgesetzt, der Boden, das Bett. Selbst aus dem Schlaf schnellten wir hilfeschreiend empor."
Ganze acht Tage bleiben Minna und Richard, gewinnen allmählich ihren Gleichgewichtssinn zurück und machen sich mit einer gezeichneten Karte von London auf "mannigfaltige Entdeckungsreise": "Das Staunen und die Freude über alles Wahrgenommene machte uns alles Überstandene gänzlich vergessen."
Die geschäftlichen Bestrebungen laufen leider weniger erfolgsreich als gehofft. Auf diesen Richard Wagner hat man in London nicht gerade gewartet, trotz dessen Ouvertüre "Rule Britannia". Dafür sind die privaten Erlebnisse umso bewegender. Wagner besucht das Denkmal Shakespeares in der Westminster Abbey. Er besteigt, nur zur Besichtigung, ein historisches Kriegsschiff, wohnt einer parlamentarischen Sitzung im Oberhaus bei und ist verdutzt über die gespenstische Leere Londons am Sonntag: "Nach diesem glücklichen Abenteuer schien mir London für dieses Mal erschöpft zu sein."
Am 20. August reist das das Paar mitsamt seinem Neufundländer auf einem Dampfschiff nach Frankreich – "wo wir des Abends in Boulogne sur mer mit brünstigen Wünschen, es nie wieder befahren zu müssen, vom Meere Abschied nahmen!".
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"Rule Britannia" Overture in D major - Richard Wagner
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Sendung: "Allegro" am 12. August 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Freitag, 16.August, 00:56 Uhr
Lorenz Margit
Richard Wagner
Ich schätze diese Beiträge in der BR-Klassik Reihe sehr und freue mich, dass ich diese wertvollen Beiträge lesen kann (Handy). Vergangene Woche erlebte ich Tristan und Isolde In Bayreuth.
Donnerstag, 15.August, 17:45 Uhr
Ulrich von Wrochem
Wagner Rule Britannia
Soviel Heroismus ist unerträglich, zumal er in London so kläglich ankam.Wie gut, daß Wagner nichts Ähnliches vorher und später über das Königreich Bayern komponiert und sich vorwiegend moll -Tonarten bedient hat.