BR-KLASSIK

Inhalt

Scott Ross stirbt an AIDS Der Bad Boy des Cembalos

Assas, 13. oder 14. Juni 1989: Der Cembalist Scott Ross stirbt. Er war genau so, wie man sich einen Cembalisten eigentlich nicht vorstellt: provokativ, streitlustig, lässig gekleidet mit Lederjacke und Holzfällerhemd. Nichtsdetoweniger zählt er zu den ganz Großen seines Fachs.

Der Cembalist Scott Ross | Bildquelle: picture-alliance / akg-images / Marion Kalter

Bildquelle: picture-alliance / akg-images / Marion Kalter

Ob er ein sanfter Mensch sei, wird Scott Ross in einer französischen Fernsehdokumentation gefragt, entstanden wenige Monate vor seinem Tod. Sanft – gegenüber seinen Katzen vielleicht, antwortet Ross und lacht. Keine 40 Jahre alt ist er damals und schon von AIDS gezeichnet. Ein alter Mann mit eingefallenen Wangen und buschigem Bart. Dazu eine schwarze Mütze und ein übergroßer, dunkelgrüner Wollpulli. Ein müder Matrose schaut da in die Kamera. Einer, der das Kämpfen hinter sich hat, ein Rebell im Ruhestand.

Aggressiv, streitlustig, launisch

Als Tyrann hat er sich selbst bezeichnet. Und tatsächlich hatte Ross einen ziemlichen Ruf weg, galt als schwieriger Typ. Bad Boy der Alten Musik, hat ihn sein Kollege William Christie genannt, der Gründer des Ensembles Les Arts Flosissants. Das meint sowohl den privaten als auch den öffentlichen Menschen. Scott trat aggressiv auf, war streitlustig und launisch, auch gegenüber Freunden, und er wollte partout nicht in das Bild passen von jemandem, der Cembalo spielt, er, mit seinem Hang zum Ungepflegten, mit seiner Liebe für Lederjacken und Holzfällerhemden.

Das Cembalo wird unter seinen Händen lebendig

Aber er war eben auch der Beste seiner Generation, ein unheimlich begabter, freier Musiker. 1971 gewinnt Scott Ross den Internationalen Musikwettbewerb in Brügge – und haut die Jury derart weg, dass über ein Jahrzehnt lang kein Erster Preis mehr vergeben wird. Auch interessant: Sein Spiel ist genau das Gegenteil von dem, was ihm als Person nachgesagt wird. Der Ton ist reich und sanft, die Phrasierungen rund, ein Wahnsinn, wie lebendig das Cembalo unter seinen Händen wird. Und unter allem liegt ein dunkel, ruhiger Puls. An den Tasten findet Ross hörbar Ruhe.

Lebensprojekt Scarlatti

Wahrscheinlich sei seine Beziehung zum Cembalo die einzige glückliche in seinem Leben gewesen, mutmaßte ein Freund nach seinem Tod. Den hat Scott Ross bereits vor Augen, als er sein Lebensprojekt in Angriff nimmt. Im Winter 1984 macht ihm eine Lungenentzündung zu schaffen. Ross, selbst homosexuell, ahnt, fürchtet, was das bedeutet. Und stützt sich in die Arbeit, stemmt sich der eigenen Endlichkeit entgegen. Alle 555 Sonaten von Scarlatti spielt er ein, als erster überhaupt. Über 15 Monate dauern die Aufnahmen, 98 Sessions, 8.000 Takes. Am Ende stehen 33 Stunden Musik, die noch heute Referenzcharakter haben. Viele davon entstehen im Chateua d'Assas, einem südfranzösischen Schloss aus dem Spätbarock, in dem Scott Ross seine letzten Lebensjahre verbringt. Er teilt sich dort ein Turmzimmer mit seinen Katzen, ein Einsiedler in historischer Kulisse.

Sensibler Antiheld

Scott Ross habe immer den romantischen Antihelden spielen wollen, hat William Christie mal in einem Interview gesagt, den toughen Typen, dabei sei er eigentlich ein sehr sensibler Mann gewesen. Man kann das noch heute hören, wenn Scott Ross das Cembalo anfasst. Ein sanfter Mensch.

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Scott Ross : Playing & Teaching (Leçon de musique) Subtitled | Bildquelle: AegonCouperin (via YouTube)

Scott Ross : Playing & Teaching (Leçon de musique) Subtitled

Was heute geschah

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 13:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 14. Juni 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Mehr zum Thema

Neu bei br-klassik.de

    AV-Player