Die Frische seiner Komposition, die musikalische Qualität der Arabesken und der Läufe sowie der poetische Ausdruck sind das Zeichen der Genialität von Frédéric Chopin. BR-KLASSIK hat mit dem Pianisten William Youn über Chopins 2. Klavierkonzert gesprochen.
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"Ich finde, es ist eine unkontrollierte Emotion – naiv würde ich nicht sagen, aber eine pure Emotion, die man nur mit jugendlichen Jahren haben kann. Als ich 21 Jahre alt war, habe ich eine Gelegenheit bekommen für eine Aufnahme mit Orchester. Und da habe ich gesagt, die Konzerte, die ich aufnehmen möchte, sind die Konzerte von Chopin, weil ich dachte, diese Emotion kann ich jetzt verstehen."
Das Verständnis des koreanischen Pianisten William Youn für das Werk und die schmachtende Seele Chopins ist weitreichend. Frédéric Chopin selbst war achtzehn Jahre alt bei der Vollendung seines Zweiten Klavierkonzertes. Konstanze Gladkowska, Chopins Mitschülerin am Konservatorium im Fach Gesang wurde zu seiner Herzensdame – diese Gefühle behielt er jedoch lange Zeit für sich. Lediglich seinem Freund Titus Woyciechowski vertraute der junge Frédéric sich an. In einem seiner zahlreichen Briefe an Titus schrieb er: "Vielleicht bin ich zu meinem Unglück meinem Ideal begegnet, dem ich treu seit sechs Monaten diene, ohne ein Wort von meinen Gefühlen gesagt zu haben. Die hat mich zu dem Adagio meines Klavierkonzertes in f-Moll und heute Morgen zu dem kleinen Walzer inspiriert, den ich Dir schicke. Niemand wird etwas davon erfahren, außer Dir. Beachte die mit einem Kreuz bezeichnete Stelle. Wie schön wäre es, könnte ich es Dir vorspielen, mein geliebter Titus. Es ist unerträglich, wenn einen etwas drückt und man kann seine Last nicht absetzen: Du weißt, worauf ich anspiele. Ich erzähle am Klavier, was ich Dir ab und zu anvertraue."
Der Pianist William Youn | Bildquelle: Irène Zandel William Youn sagt zu seinem Interpretationsansatz: "Ich versuche das so zu spielen, dass es meine Geschichte wäre. Das war eines seiner letzten Stücke, die er noch in Warschau geschrieben hat. Er wusste, dass da was kommt in seinem Leben – eine große Veränderung. Ich habe auch sehr viele Veränderungen erlebt in meinem Leben, und ich kenne dieses Gefühl, etwas zu erwarten. Vielleicht etwas Angst zu haben, aber sich auch darauf zu freuen. Wenn ich das Stück spiele, denke ich sehr viel nach – über die Zeit, meine ersten Jahre, die ich in Deutschland verbracht habe. Und wenn ich mich daran erinnere, dann kommen diese Gefühle von jugendlicher Zeit – Sturm und Drang. Ich finde, das sieht man sehr deutlich in Chopins Zweitem Konzert."
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Vom tragischen, pessimistischen und dennoch tröstlich klingenden Thema des ersten Satzes über den emotionsgeladenen, poetischen zweiten Satz bis hin zur temperamentvollen polnischen Folklore mit dem Geist der aufblühenden nationalen Musik: Chopin legt in seinem Zweiten Klavierkonzert eine farbenreiche Gefühlspalette offen. Sehnsucht, Träumerei, die Kühnheit der jugendlichen Jahre, Schmerz und Hoffnung werden hier vereint. All das verwandelte Chopin meisterhaft in weitgeschwungene Melodiebögen und perlenden Läufe. Dabei kann es über die übliche Tempobezeichnung hinweggesehen werden, um diesem Moment der Inspiration einen Raum zu geben.
Ich möchte jedem Ton eine Bedeutung geben.
"Eine Melodie wird eine Sprache – man muss das deklamatorisch verstehen", sagt William Youn über Chopins Tonwelten. "Es gibt ganz viele Ornamente, die in seiner Musik vorkommen. Und ich weiß genau, er hat eine gesangliche Passage gemeint – also nicht pianistisch in dem Sinne von Schnelligkeit. Sondern es muss gesprochen und gesungen werden. Ich habe oft Pianisten gehört, die das sehr schnell gespielt haben – sehr brillant. Das klingt dann so wie eine Etüde. Genau das wollte ich vermeiden bei meiner Aufnahme – ich wollte jedem Ton eine Bedeutung geben."
Es ist nicht die Virtuosität, die das zweite Klavierkonzert ausmacht – es ist die Emotion dahinter. Die richtige Interpretation zu finden, ist nicht einfach. Chopin schrieb seine Werke sehr schnell und vielleicht an manchen Stellen etwas ungenau. Punktangaben über den Noten, manche Pedaleinsätze oder die unterschiedlichen Phrasierungsbögen sind in Chopins Partituren nicht eindeutig definierbar. Erst ein tiefes Verständnis für Chopins Denken und Fühlen lässt die vom Komponisten gewünschte Interpretation zu. Und die kann zweideutig sein – dennoch immer richtig.
Frédéric Chopin. Daguerreotypie, Paris 1849 | Bildquelle: picture alliance / akg-images Dabei setzte Chopin nur auf die Nuancen des Klaviers. Er war radikal und kümmerte sich wenig um das Orchestrale und um die symphonischen Strukturen. Den ursprünglichen Part für das zweite Klavier schrieb der junge Komponist für ein Orchester um. Durch diese offensichtliche Vernachlässigung des Orchesters ist es für den Dirigenten nicht einfach, die subtile Verbindung dazwischen herzustellen. "Ich habe es so oft erlebt, dass die Dirigenten es nicht mögen, dieses Konzert zu spielen, weil das Orchester nicht so viele Töne zu spielen hat", sagt William Youn. "Aber es ist sehr heikel, das Klavier bei diesem Stück zu begleiten. Es ist, wie eine Oper zu dirigieren. Ich weiß, Krystian Zimerman hat das Konzert zum ersten Mal mit Carlo Maria Giulini aufgenommen. Er wollte unbedingt das Konzert mit einem Dirigenten interpretieren, der sehr viel Oper dirigiert. Und das sehe ich auch so. Ein Operndirigent muss mitsingen mit den Sängern, die auf der Bühne stehen, und beim Chopin-Konzert ist das genauso – er muss mit dem Klavier mitspielen, mitfühlen."
Die Musik berührt einfach unsere Seele.
Und was ist William Youns Fazit über Chopins zweites Klavierkonzert? "Die Musik berührt einfach unsere Seele – vom ersten Ton bis zum Ende. Ich denke, wenn man von dieser Musik nicht berührt wird, dann muss man ein bisschen nachdenken, woran es liegt."
Frédéric Chopin:
Klavierkonzert Nr. 2, f-moll, op. 21
William Youn (Klavier)
Nürnberger Symphoniker
Leitung: Friedemann Riehle
Label: Ars
Sendung: "Das starke Stück" am 6. Februar 2024 um 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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