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Ralph Vaughan Williams Symphonie Nr. 5 D-Dur

Ein Meister der englischen Musik: Ralph Vaughan Williams gehört zu den großen Komponisten der Insel, deren Musikleben stets abgeschottet schien vom Rest Europas. Englisch zu sein war wichtig für Vaughan Williams, um seine Identität als Komponist zu finden. Sich abzugrenzen gegen den Kontinent. Vaughan Williams schrieb neun Symphonien – eigenwillige Stücke durch und durch. Wiebke Matyschok hat mit dem Dirigenten Roger Norrington über dessen Fünfte Symphonie gesprochen.

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Drei Akkorde. Jenseitig irgendwie. Sie kreisen. Wechseln ohne Ziel. Das Englisch Horn erhebt seine Stimme. Ein dunkel gefärbter Klagegesang. "An jedem Ort stand ein Kreuz, und wenig unterhalb ein Grab. Dann sagte er: 'Er gab mir Ruhe durch sein Leiden und Leben durch seinen Tod.'", vermerkte Ralph Vaughan Wiliams im Manuskript über dem dritten Satz seiner Fünften Symphonie. Romanza. Lento. Langsam. Eine Musik von jenseitig wirkender Klarheit. Entrückt. Eine Symphonia Sacra? Am Ende scheint ein himmlischer Choralgesang anzuheben. War die Fünfte nun der testamentarische Abgesang eines altersmilden Komponisten?

Pastorale der Trauer

Eine Musik, komponiert gegen die Zeit. Uraufgeführt 1943 in der Royal Albert Hall in London. Nichts zu hören war da in der Musik von den Schrecken des Krieges. Den Bombennächten, in denen auch der Komponist schlaflos neben gepackten Koffern saß, um bei Sirenenalarm in den Luftschutzbunker hinabzusteigen. Vaughan Williams – siebzig Jahre alt – hatte den Lärm des Krieges schon in den Schützengräben des ersten Weltkrieges vernommen und als Antwort darauf seine Dritte Symphonie komponiert, die "Pastoral Symphony". Ein heiteres Idyll des englischen Landlebens? Ein trügerischer Titel. Es war eine Trauerklage auf eine verlorene Generation gewesen. Und nun, abermals im Krieg, schrieb er eine Kirchen-Symphonie ohne Kirche, während Europa in Schutt und Asche fiel.

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Musik aus der englischen Erde

Englische Landschaft in Dorset | Bildquelle: picture alliance / imageBROKER | Nicholas and Sherry Lu Aldridge/FLPA Englische Landschadrt in Dorset | Bildquelle: picture alliance / imageBROKER | Nicholas and Sherry Lu Aldridge/FLPA "In Deutschland ist Vaughan Williams sehr unterschätzt", äußert sich Roger Norrington über den Komponisten. "In England wird er oft gespielt, auch in Amerika ist er sehr populär. Für Vaughan Williams war wichtig, englisch zu sein. Er hat gedacht, warum soll nicht auch Musik aus der englischen Erde kommen? Deutsche Musik ist deutsch. Brahms ist sehr deutsch. Mahler ist sehr österreichisch. Und sein Lehrer Maurice Ravel ist sehr französisch. Warum soll es also nicht einen sehr englischen Komponisten geben? Er hat vier- oder fünfhundert Volkslieder gesammelt. Was ist englisch? Ein englisches Volkslied. Englische Landschaft. Schöne Landschaft. Oft bescheiden, und poetisch. Das ist vielleicht englisch. Und das trifft auch auf die Englische Musik zu: schön, intim und sensibel."

Erbe einer großen Tradition

Und wie bewertete Vaughan Williams selbst sein englisches Erbe in der Musik? "Wir Schüler von Parry haben, wenn wir klug waren, von Parry das große Erbe der englischen Chormusik übernommen, das Tallis an Byrd, Byrd an Gibbons, Gibbons an Purcell, Purcell an Batsihill und Greene und sie wiederum durch die Wesleys an Parry weitergaben. Er gab die Fackel an uns weiter, und es ist unser Pflicht, sie am Leuchten zu halten."  Der Komponist sah sich in einer langen Tradition der englischen Musik. Der Sohn eines englischen Pfarrers hatte in Cambridge studiert und in Berlin bei Max Bruch.

Experimente mit leuchtenden Klangfarben

"The English Hymnal" war 1906 erschienen. Eine Sammlung von englischen Chorälen. Die Idee einer "National Music" sollte der Volksliedsammler Vaughan Williams zeit seines Lebens verfolgen.  Als Schüler von Maurice Ravel in Paris holte er sich noch ein wenig "französischen Schliff" und entdeckte das Experimentieren mit leuchtenden Klangfarben. Und blieb doch durch und durch "englisch". Als Dirigent des Londoner Bach-Chores beschäftigte er sich seit den zwanziger Jahren mit historischer Musik. Schien da also auf seltsam versöhnliche Weise ein Nachhall auf das Erbe auch "deutscher Musik" in dieser Fünften Symphonie zu tönen? Bach und Brahms. Preludio und Chaconne. Programmatische Titel fast.

Vaughan Wiliams war sehr idealistisch. Sehr gegen Pomp and Circumstance.
Sir Roger Norrington

Religiosität ohne Kirche

Sir Roger Norrington | Bildquelle: picture alliance Sir Roger Norrington | Bildquelle: picture alliance Roger Norrington spricht über die Sätze der Symphonie wie folgt: "Im 'Preludio' steckt viel mehr, als sein Titel verrät. Es ist keine Programmmusik. Es ist sehr unruhig, aber auch schön. Der zweite Satz ist etwas diabolisch, ein bisschen wie das Scherzo aus Beethovens Neunter. Very strange Stuff. Böse. Der dritte Satz ist dann sehr entspannt. Eine Romanze. Sehr, sehr schön. Vom Land. Und der letzte Satz ist eine Chaconne. Er klingt ein bisschen wie ein Stück von Purcell oder von Bach. Und am Ende treten wir eine Reise in den Himmel an. Vaughan Williams war sehr spirituell. Komischerweise er war nie in der Kirche. Ein bisschen wie Beethoven. Er war sehr idealistisch. Sehr gegen 'Pomp and Circumstance'. Er hat den Adelstitel, der ihm angeboten wurde, nicht angenommen. Er hat gesagt: Nein, nein, Mister Vaughan Williams ist genug."

Musik gegen die Moderne?

"Ich glaube, dass keine große Musik entsteht, indem sie die Traditionen bricht, sondern indem sie ihr etwas hinzufügt. Sibelius hat uns gezeigt, dass der neue Gedanken, der im alten Material verborgen liegt, unerschöpflich ist", hatte Vaughan Williams viele Jahre nach dem Krieg, 1955 im "Daily Telegraph", geschrieben. Er allerdings schien mit seiner schön klingenden, fein gezeichneten Musik, die voller farbiger Details ist, der Moderne zu trotzen. Sibelius war als Komponist bereits Ende der Zwanziger Jahre nicht nur angesichts der eigenen Schwermütigkeit verstummt. "Ich habe soviel Musik in meinem Kopf, dass ich weiß, ich werde nie die Zeit haben, sie niederzuschreiben". Vaughan Williams hinterließ neun Symphonien. Er suchte weiterhin das Neue im Alten. Wie auch in der Fünften Symphonie schon, die er Jean Sibelius gewidmet hatte.

Vision des Friedens

Am Ende des Werks steht die Idee einer großangelegten Passacaglia über einer unruhig kreisenden Bassmelodie. Eine Melodie der Geigen. Schlicht. Erhaben. Auftsteigend. Ein himmlischer Reigen. Ein endlos ausgesungener Choral. Ohne Worte. Erklingt da die Vision des allumfassenden Friedens in Zeiten des Krieges? "Was geschieht am Ende?", fragt Roger Norrington. "Der Himmel öffnet sich. Alleluja. Amen. Alles ist gut in dieser Welt. Die anderen Symphonien sind nicht so – die Dritte, Vierte, Siebte. Aber hier, in der Fünften, ist für einen Moment alles möglich. Gott ist gut. Die Welt ist gut. Das ist wirklich sehr spirituell."

Musik-Info

Rakph Vaughan Williams:
Symphonie Nr. 5 D-Dur


London Philharmonic Orchestra
Leitung: Roger Norrington

Label: Decca

Sendung: "Das starke Stück" am 14. März 2023, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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