Riga, 14. Januar 1943: Mariss Jansons wird geboren. Der Vater, Arvids Jansons, ist Geiger und Dirigent am Rigaer Opernhaus. Hier war schon Richard Wagner Musikdirektor. Kurz vor Jansons' Geburt übernimmt der deutsche Dirigent Leo Blech die Leitung des Hauses. Auf den Straßenschildern von Riga stehen alle Namen in drei Sprachen: auf lettisch, russisch und deutsch. Iraida Jansons, Mariss' Mutter, ist Opernsängerin. Sie hat eine deutsche Schule besucht, liest deutsche Bücher und beherrscht fließend die Sprache Goethes und Beethovens.
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Als Mariss Jansons am 14. Januar 1943, mitten im Zweiten Weltkrieg, in Riga geboren wird, steht die lettische Hauptstadt unter deutscher Besatzung. Iraida Jansons stammt aus einer jüdischen Familie. Die deutschen Besatzer wollen sie und ihren kleinen Sohn ermorden. Unter grauenhaften Bedingungen wird die jüdische Bevölkerung im Rigaer Ghetto zusammengepfercht.
Mariss Jansons mit Mutter am Klavier und Vater | Bildquelle: Mariss Jansons Mit Hilfe ihres Mannes gelingt es Iraida Jansons, sich und ihren neugeborenen Sohn vor den Nazi-Schergen zu verstecken. Mariss Jansons‘ Onkel und seine Großeltern werden ermordet. Darüber wird Jansons, einer der großen Dirigenten der vergangenen Jahrzehnte, später nur wenig und ungern reden: "Das war für meine Mutter eine sehr schwierige Zeit. Gottseidank konnte sie sich selbst und mich irgendwie verstecken. Und mein Vater half, dass wir durchkommen. Ich selbst habe keine Erinnerungen."
Trotz der Verfolgung hat Iraida Jansons ihre Liebe zur deutschen Sprache und Kultur nie verloren – auch nicht in späteren Jahren: "Sie bat mich immer, ihr Kreuzworträtsel auf Deutsch mitzubringen", erinnert sich Jansons. "Ich habe Tausende davon mitgebracht, die sie dann zu Hause gelöst hat. Natürlich hatte sie viele tragische Erinnerungen, es gab Negatives und Positives."
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Zum Gedenken | Dokumentation
Der Dirigent Mariss Jansons
Wenige Monate nach Jansons' Geburt, im Juni 1943, werden auch in Lettland Konzentrationslager errichtet. Wie genau es Iraida Jansons gelungen ist, dem Holocaust zu entgehen, konnte oder wollte Jansons nicht erzählen. Möglicherweise wurde in seiner Famile nicht viel darüber gesprochen. Auch in der Sowjetunion hielt seine Mutter ihre jüdische Herkunft nach Möglichkeit geheim – aus Angst vor Antisemitismus. Sicher ist, dass Arvids Jansons als Dirigent schon in den 60er-Jahren wieder zahlreiche Gastspiele in der DDR gab. Und dass sein Sohn Mariss 1968 bei einem Meisterkurs von einem gewissen Herbert von Karajan als großes Talent entdeckt wird. Später wird er zu einem der besten Dirigenten seiner Generation – bis hin zu seiner unvergessenen Ära beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Aber das ist eine andere Geschichte.
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Sendung: "Allegro" am 14. Januar 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK