Augusta, Georgia, 15. September 1945. Die Sängerin Jessye Norman wird geboren. Sie entstammt einer schwarzen Mittelklasse-Familie und wollte ursprünglich Medizin studieren. Tatsächlich aber wurde sie eine der größten Sängerinnen des 20. Jahrhunderts. Im Opernfach wusste sie ebenso zu begeistern wie im Liedgesang und im Spiritual.
Bildquelle: picture-alliance/dpa
Das Kalenderblatt zum Anhören
Der Satz "Kunst kommt von Können, käme sie von Wollen, hieße sie Wulst" wird verschiedensten großen und nicht so großen Köpfen zugeschrieben. Arnold Schönberg hingegen meinte 1910, Kunst kommt von Müssen. Und da hatte er sicher recht. Wobei – auch dem Wollen kommt beim Kunstmachen eine wichtige Rolle zu, denn Kunst muss man auch wollen. Jessye Norman war eine Künstlerin – nein: eine Jahrhundertkünstlerin, die nicht nur besser konnte als die allermeisten, sondern auch wollte. Unbedingt. Auch, wenn sie zum Beginn ihrer Laufbahn eigentlich einen ganz anderen Weg für sich vorgesehen hatte: "Mit 17 bin ich an die Universität gegangen, ich wollte Medizin studieren", erinnert sie sich.
Möglicherweise wäre aus Jessye Norman eine bahnbrechende Wissenschaftlerin geworden. Aber dann hätte die Welt diese ebenso bahnbrechende Künstlerin nicht erleben dürfen. Eine Sängerin, die mit Anfang zwanzig konkurrenzlos den Internationalen Musikwettbewerb der ARD gewinnt, dann an der Deutschen Oper Berlin debütiert und noch während der Aufführung einen Vertrag angeboten bekommt. "Ich bin in Berlin aufgewachsen", resümiert Norman. "Ich bin dort hingegangen, ein Jahr, nachdem ich den Preis in München gewonnen habe, und machte mein Debüt als Elisabeth im 'Tannhäuser'. Das glaubt man gar nicht, das klingt wie ein Märchen, aber das ist kein Märchen, es ist wahr."
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Jessye Norman - A Portrait - When I Am Laid In Earth (Purcel
Geboren wird sie in eine schwarze Mittelklasse-Familie in den amerikanischen Südstaaten. Die Eltern sind in der Bürgerrechtsbewegung aktiv, Hausmusik ist fester Bestandteil des Familienlebens: "Der arme Händel. Wir haben so eine Linie in der Partitur gefunden, irgendjemand hat Trompete gespielt, mein Bruder Posaune und meine Mutter Klavier, und ganz alleine habe ich 'Halleluja' gesungen."
Mit zehn Jahren hört Jessye Norman die Alt-Rhapsodie von Brahms – in einer Aufnahme mit Marian Anderson unter der Leitung von Bruno Walter. Sie muss weinen, weil sie von der Schönheit der Stimme, von der Schwere der Musik überwältigt ist. Vielleicht hat dieses Stück Musik den Samen gepflanzt. Sie, die sie so ganz mühelos auf verschiedene Stimmlagen zurückgreifen konnte, hat das Werk später selbst eingesungen. Möglich, dass sie es einfach tun musste.
Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 13:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.
Sendung: "Allegro" am 15. September 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK