Dresden, 30. September 1821: Der kleine Richard Geyer betrachtet mit einer Mischung aus Neugier und Angst seinen schwer schnaufenden Stiefvater. Trotz der vielen Kissen im Rücken kann der sich nur mühsam aufrecht halten. Er bringt kaum ein Wort über die Lippen. Ludwig Geyer wird an diesem Septembertag sterben.
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Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass er "seinem" Richard, dem Jungen mit den wasserblauen Augen, Märchen erzählt hat! Stiefvater Geyer kennt nahezu alle Geschichten auswendig und hat Richard vertraut gemacht mit geheimnisvollen Flussbewohnern, Geisterwesen, Riesen und Trollen. Am liebsten hört Richard das Märchen vom Wassermädchen Undine.
Richard Wagner als junger Mann | Bildquelle: Martin Geck, Richard Wagner, Reinbek bei Hamburg 2004 Der Schauspieler, Dichter und Maler Ludwig Geyer leidet schon seit längerem an Brustwassersucht. Und damit einher geht eine lebensbedrohliche Atemnot. Vor sieben Jahren hat er die Witwe Johanna Rosine Wagner geheiratet. Geduldig hat Geyer ihrem Sohn Richard, einem ausgesprochen schlechten Schüler, die Welt des Theaters nahegebracht. Wenn sich im Salon von Geyer die künstlerische Elite Dresdens traf, saß der kleine Richard nicht selten bei einem der Gäste auf dem Schoß, so zum Beispiel bei Carl Maria von Weber.
Die Technik eines Wunderkindes hat er beileibe nicht, aber er spielt mit Inbrunst: "Er legt all seine Trauer darüber, nun zum zweiten Mal in seinem jungen Leben einen Vater zu verlieren, in die Musik." Noch in derselben Nacht stattet auch Carl Maria von Weber der Witwe einen Kondolenzbesuch ab. Und man hat sogleich ein Gesprächsthema – die Vorahnung des Sterbenden, als er Richard Klavier spielen hört: "Sollte er etwa Talent zur Musik haben?"
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Sendung: "Allegro" am 30. September 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK