Der Weg zum Radioklassiker war nicht einfach und wurde zu einer wahren Pionierleistung. Damit Wagners "Tristan und Isolde" live aus Bayreuth nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit an den heimischen Abspielgeräten empfangen werden konnte, musste 1931 ein enormer technischer Aufwand betrieben werden. Die Presse war zunächst skeptisch. Der Erfolg gab jedoch Winifred Wagner Recht. Sie hatte sich zuvor für die Liveübertragung eingesetzt. Ein Stück Radiogeschichte wurde geschrieben.
Bildquelle: BR, Historisches Archiv
Rundfunk und Bayreuth – wer diese beiden Worte liest, wird vielleicht verwundert den Kopf schütteln.
Die Skepsis der Presse war angebracht. Eine Radio-Liveübertragung aus dem Bayreuther Festspielhaus? Modernste Medientechnologie ausgerechnet im konservativen Gralstempel der Wagnerpflege? Hier, wo Wagners Töchter argwöhnisch wie Drache Fafner darüber wachten, dass alles unverändert blieb, buchstäblich bis aufs Haar. Schließlich hatte auf manchen Kostümen noch "das Auge des Meisters geruht". Will sagen: Seit Richard Wagners Zeiten hatte sich auf der Bayreuther Bühne wenig verändert. Und jetzt würde im exklusiven Festspielhaus, das doch der ehrfürchtigen Versenkung in die Kunst dienen sollte, das moderne Massenmedium Radio Einzug halten? Man würde also Festspielklänge daheim hören, womöglich zur Zerstreuung, bei den profansten Verrichtungen des Alltags! Der "Liebestod" live aus Bayreuth – beim Kochen. Oder Schlimmerem. Für Alt-Wagnerianer eine Horrorvorstellung. Doch letztlich konnte sich Winifred Wagner durchsetzen. Die junge Frau war gerade Nachfolgerin des im Jahr zuvor verstorbenen Festspielleiters Siegfried Wagner geworden. Auch Dirigent Wilhelm Furtwängler war einverstanden.
Die Bayerische Rundfunkgesellschaft schrieb die Teilnahme an der Übertragung weltweit aus – und das Interesse übertraf alle Erwartungen. Mehr als 200 Stationen in Europa, Nordamerika und Nordafrika wollten dabei sein.
Ein erhebender Gedanke, sich vorzustellen, dass die auf diese Weise in Millionen gehende Hörerschaft auch in entferntesten Gegenden der Welt ein deutsches Kunstwerk zu hören bekam.
Doch zuvor mussten die Techniker des Bayerischen Rundfunks Pionierarbeit leisten. Vier Mikrophone wurden im Festspielhaus installiert, zwei im legendären, steil abfallenden Orchestergraben, zwei an der Bühne. In einem Nebenraum wurde eine riesige Verstärkeranlage aufgebaut. Von dort mussten eigens zwei Kilometer Freileitung zum nächsten Fernmelde-Verstärkeramt gelegt werden. Von Bayreuth aus ging das Signal nach München, dann über Plauen und Leipzig nach Berlin und von dort in alle Welt. Sogar die NBC in Nordamerika und Marokko waren per Kurzwelle zugeschaltet. 24 Millionen Empfangsgeräte waren erreichbar. Es war die erste weltweite Liveübertragung in der Geschichte des jungen Mediums Radio. Um vier Uhr ging es los. Noch am Abend trafen Dankestelegramme aus London und Paris ein: Alles war gut angekommen, auch die live gelesenen Pausenvorträge auf Deutsch, Englisch und Französisch. Am nächsten Tag jubelte die Presse:
"…Töne von erstaunlicher Echtheit!"
"…eine Weltsendung größten Stils!"
"…das größte Ereignis seit Bestehen des Rundfunks!"
Es war die Geburt eines Radioklassikers. Und Winifred Wagner konnte sich freuen: über einen weltweiten Publicityerfolg und, hoch willkommen angesichts der chronisch klammen Festspielkasse, über 30.000 Reichsmark, überwiesen von der Deutschen Reichsrundfunkgesellschaft.
Nanny Larsen-Todsen – Isolde (Sopran)
Anny Helm – Brangäne (Sopran)
Rudolf Bockelmann – Kurwenal (Bariton)
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Wilhelm Furtwängler – Dirigent
Bildquelle: © Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo
Nanny Larsen-Todsen – Isolde (Sopran)
Gotthelf Pistor – Tristan (Tenor)
Orchester der Bayreuther Festspiele
Wilhelm Furtwängler – Dirigent
Bildquelle: © Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo
Nanny Larsen-Todsen – Isolde (Sopran)
Orchester der Bayreuther Festspiele
Wilhelm Furtwängler – Dirigent
Bildquelle: © Rue des Archives/PVDE/Süddeutsche Zeitung Photo
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Sendung: "Allegro" am 18. August 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK