Wien, 22. September 1905. Die Zensur verbietet die Premiere der "Salome" von Richard Strauss. Es ist ein Freitag, und laut Wetteraufzeichnungen etwas zu warm für die Jahreszeit. Viel zu warm – oder: zu heiß – ist der Stoff, um den es geht. Oscar Wilde hat ihn geschrieben, Richard Strauss vertont, und Gustav Mahler, der Wiener Operndirektor, hätte ihn gern uraufgeführt. Vergeblich.
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Bild: "Salome" – Zeichnung von Aubrey Beardsley nach Oscar Wildes Theaterstück
Die Expressionisten sind schuld. Ihnen wird die Prüderie des 19. Jahrhunderts zunehmend verhasst. Sie fangen an, für die Befreiung von moralischen Zwängen zu kämpfen und gegen die süßliche Idylle. Das heißt natürlich, dass Libertinage und Promiskuität schon auch ausgelebt werden sollen – in der Kunst und anderswo.
Die braven Bürger sind konsterniert und angewidert – und rufen nach der Zensur. Die hat nur darauf gewartet, steht ohnehin in den Startlöchern und kommt sofort. Ein Stück von Arthur Schnitzler hat sie soeben abgesetzt, wegen Pornographie. Jetzt muss und darf sie Richard Strauss in die Schranken weisen.
Die Behörde schreibt an Hofoperndirektor Gustav Mahler, der die "Salome" so gern an seinem Theater gehabt hätte: "Abgesehen davon, dass die Darstellung von Vorgängen aus dem Neuen Testament insbesondere auf einer Hofbühne grundsätzliche Bedenken erregt, wirkt die Vorführung einer perversen Sinnlichkeit, wie sie in der Figur der Salome verkörpert ist, sittlich verletzend. Wir wollen uns deshalb aus religiösen und sittlichen Gründen gegen die Zulassung des vorliegenden Operntextes aussprechen."
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Strauss' Salome: Dance of the seven veils
Und was passiert? Dresden bekommt die Premiere im Dezember desselben Jahres 1905. Übrigens: 36 Vorhänge soll es gegeben haben. Das Publikum ist begeistert, die Kritiker sind entsetzt. Und Wien muss noch jahrelang warten auf eine Aufführung. Was die Wiener Zensur gebracht hat? Zweierlei: Strauss kann sich endlich seine Villa in Garmisch leisten. Und das Urbild der sinnlichen, männermordenden Frau wird ganz schnell zu einer Kultfigur der Moderne.
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Sendung: "Allegro" am 22. September 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK